Ein Sommertag im Juli: Im Englischen Garten findet ein großes Picknick statt. Mehr als 200 Menschen sind dort zusammengekommen. Die Stimmung ist ausgelassen. Mittendrin: İpek K. Die 43-Jährige hat das Netzwerk "Münihli Göçmen Anneler" – auf Deutsch: "Münchner Migrantenmütter" zusammen mit einer Freundin ins Leben gerufen.
Es ist ein Netzwerk türkischer Frauen, meist mit akademischer Ausbildung, die nun im Raum München leben. Und so ist dieses "Familien-Picknick" auch gleichzeitig eine Art Netzwerk-Treffen der Neu-Münchnerinnen, ein Wiedersehen, ein Kennenlernen – und ein Austausch über die Hürden im deutschen Alltag.
Fachkräfte: Startprobleme in Bayern
İpek K. weiß, wie schwer es sein kann, sich ein neues Leben aufzubauen. Sie ist vor sieben Jahren mit ihrem Mann und ihrem damals fünfjährigen Sohn von Istanbul nach München gezogen. Es sollte ein Neuanfang sein, ein Abenteuer. Sie wünschte sich für ihren Sohn, dass er in einem internationalen Umfeld aufwächst. Ihr Mann hatte einen Job gefunden, doch für İpek K. lief es nicht so, wie erhofft.
"Ich kam mit Null Deutsch. Ich habe erst hier Deutsch gelernt. Die Kommunikation war am Anfang schwierig", erinnert sie sich. In der Türkei hat İpek K. als Journalistin und später in großen Konzernen im Kommunikationsbereich gearbeitet. Doch in Deutschland war die Sprache das Problem. Sie lernte über die Jahre Deutsch, aber für ihren alten Job reichte es nicht.
Die erste Orientierung fällt am schwersten
Miriam Diop ist Projektmanagerin für die "Mentoring-Partnerschaft München" im Sozialreferat bei der Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen. Sie berät ausländische Fachkräfte, die in München leben und oft unterqualifiziert arbeiten. Das Projekt wird im Rahmen des Förderprogramms "IQ – Integration durch Qualifizierung“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die EU gefördert sowie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge administriert.
Auch in Augsburg, Nürnberg, Regensburg und Passau gibt es das Mentoring-Programm. Diop kennt die Schwierigkeiten, mit denen Fachkräfte konfrontiert sind: bürokratische Hürden beim Aufenthalt und bei der beruflichen Anerkennung, hoch formalisierte Bewerbungsprozesse und die hohen Ansprüche an die Sprache. Auch das Leben muss gemeistert werden: "Die erste Orientierung ist die größte Herausforderung. Die Frage: Wo gehen meine Kinder in die Kita? Wo werden wir wohnen? Und das sind ja bekanntlich zwingende Fragen im Großraum München", sagt Diop.
Migrantinnen-Netzwerk: Den Alltag gemeinsam meistern
Auch İpek K. hatte viele Fragen am Anfang und wusste nicht, wo sie Informationen rund um den Alltag finden konnte. "Aber dann habe ich ein paar türkische Frauen kennengelernt. Und wir haben uns gesagt: Warum gründen wir nicht eine Facebook-Gruppe und helfen einander?"
Das Netzwerk "Münihli Göçmen Anneler" war geboren und wuchs schnell an. Heute gibt es im Raum München mehr als 2.300 Mitglieder. İpek K. moderiert und organisiert das Ganze ehrenamtlich und hat mittlerweile Unterstützung von anderen Freiwilligen aus der Gruppe. Sie hätte sich gewünscht, dass am Anfang die Stadt auf sie zukommt und mit allen nötigen Informationen versorgt. Nun gibt sie das Wissen weiter, was sie sich über die Jahre mühsam angeeignet hat.
Die Fragen reichen von Führerschein, Wohnungssuche, Kitaplatz, Geburtsvorbereitung bis hin zu Karrierefragen. Denn die meisten sind hochausgebildet und wollen nicht zu Hause bleiben. Doch der Wiedereinstieg in den Beruf ist nicht immer leicht - vor allem für Frauen.
Küchenhilfe statt IT-Ingenieurin
Viele Frauen aus der Gruppe haben einen Universitätsabschluss und waren Ingenieurinnen, Ärztinnen oder Juristinnen. In Deutschland gibt es laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit mehr als 702.000 offene Arbeitsplätze. Davon sind knapp 133.000 in Bayern. Doch in Deutschland ist es für viele Fachkräfte oft schwierig, in ihrem alten Beruf zu wieder einzusteigen.
İpek K. arbeitet mittlerweile als Türkischlehrerin und Sekretärin: "Wir waren in der Türkei sehr gut gebildet und sprechen viele verschiedene Sprachen. Wir hatten eine Karriere damals in der Türkei", sagt sie. Für sie war es ein Schock, als ihre Ausbildung und ihre Arbeitserfahrung im neuen Land nicht mehr viel wert waren.
Eine Freundin aus dem Netzwerk hat auf ihre Bewerbungen nur Absagen bekommen: "Ich war Software-Ingenieurin und nun arbeite ich als Küchenhilfe in einem Restaurant. Ich fühle mich deswegen nicht gut", erzählt Melike O. Vor drei Jahren ist sie nach Deutschland gezogen. Die 35-Jährige wollte hier arbeiten, anstatt zu Hause zu bleiben.
Skepsis gegenüber Abschlüssen aus Nicht-EU-Ländern
Auch Miriam Diop sieht bei Frauen größere Herausforderungen als bei Männern. Das spürt sie auch in der Beratung: "Ungefähr 67 Prozent sind Frauen. Und es liegt sicher auch daran, dass diese statistisch gesehen häufiger in Berufen mit komplexen Anerkennungsverfahren arbeiten, also zum Beispiel im pädagogischen Bereich oder in den Gesundheitsfachberufen", erklärt sie.
Doch es kommt häufig noch ein anderer Grund hinzu: die Kinderbetreuung. "Frauen haben eben doch häufiger die sogenannte Babypause, die sich im Lebenslauf niederschlägt. Und dadurch dauert es dann auch länger, bis der Prozess der Anerkennung oder auch der Spracherwerb abgeschlossen ist", sagt Diop.
Die Beraterin sieht aber auch Probleme bei den Arbeitgebern: "Es gibt eine große Skepsis gegenüber ausländischen Abschlüssen, gerade wenn sie eben aus Drittstaaten kommen, also nicht aus der EU." Zudem gebe es aus ihrer Sicht nicht so viel Bereitschaft, tatsächlich Maßnahmen zu treffen, die dazu dienen, die ausländischen Fachkräfte gut einzugliedern, wie beispielsweise Sprachtraining, ein längeres Mentoring, Hospitationen oder gezieltes Onboarding.
Beide Gemeinschaften profitieren
Doch neben der Arbeit spielt auch die soziale Integration eine wichtige Rolle. "Jeder möchte ja in seiner Freizeit eingebunden sein und sich zugehörig fühlen. Also die Frage der sozialen Teilhabe ist auch immer noch eine Herausforderung", sagt Miriam Diop.
İpek K. ist mit dem türkischen Frauen-Netzwerk auch gelungen, dass sich hier viele neue Freundschaften gebildet haben. Mittlerweile organisiert sie Flohmärkte, Kindertheater, auch zweisprachig, und Lesungen für Kinder in den Stadtbibliotheken auf Türkisch. "Wir haben viel zu geben, in die deutsche und in die türkische Community", sagt sie.
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