Seit 1965 sind in Bayern fast 70 Prozent der Streuobstbestände verschwunden. Das soll sich ändern: Vor gut zwei Jahren haben deshalb Staatsregierung und Vertreter aus Landwirtschaft, Wirtschaft und Naturschutzverbänden den Bayerischen Streuobstpakt geschlossen. Das gemeinsame Ziel: Die wertvolle Kulturlandschaft erhalten und obendrein noch eine Million zusätzliche Obstbäume bis 2035 pflanzen. Für dieses ambitionierte Ziel investiert die Bayerische Staatsregierung eine Menge Geld: mehr als 600 Millionen Euro. Doch manche Förderprogramme sind nicht auf die Bedürfnisse der Bewirtschafter abgestimmt.
Baumschnitt: Eigenleistung wird nicht gefördert
Jürgen Ködel etwa kümmert sich im Nebenerwerb um rund 800 Obstbäume im unterfränkischen Erlabrunn. Im Winter schneidet er seine teils 100 Jahre alten Bäume. Ein regelmäßiger Schnitt kann die Lebensdauer von Bäumen um Jahrzehnte verlängern, ansonsten vergreisen sie und werden instabil. Diese wichtige Pflegemaßnahme für den Erhalt der Streuobstwiesen wird durch den Streuobstpakt auch gefördert: Alle fünf Jahre gibt es z.B. über das Kulturlandschaftsprogramm KULAP bis zu 120 Euro pro Baum. Allerdings nur wenn man einen qualifizierten Baumpfleger damit beauftragt, eine Rechnung erhält und diese einreicht.
Für Ködel und viele andere Obstbauern, die ihre Bäume selbst schneiden, eine unsinnige Regelung. Denn selbst wenn er sich durch eine Fortbildung zum Baumpfleger qualifizieren würde – an die Förderung käme er nicht ran, weil Arbeiten in Eigenleistung nicht anerkannt werden. Das Bayerische Landwirtschaftsministerium begründet die Regelung damit, dass mit der neuen Fördermaßnahme vor allem diejenigen motiviert werden sollen, die sich bisher kaum um die Pflege ihrer Streuobstbäume gekümmert haben. Für rund 11.000 Streuobstbäume sei die neue KULAP-Maßnahme auch bereits beantragt worden.
Im Video: Kritik am Streuobstpakt: Neue Bäume und Artenschutz - aber auch viel Bürokratie | Unser Land
Qualifizierte Baumpfleger fehlen
Einige davon hat auch Krischan Cords geschnitten, der Geschäftsführer der Main Bienen Streuobst eG, ein Zusammenschluss von Streuobstbauern, Kommunen, Privatleuten und vielen mehr. Cords ist selbst qualifizierter Baumpfleger und erhält wieder mehr Aufträge für den Baumschnitt, sowohl von Privatleuten als auch von Kommunen. Zwar bildet er über Kurse auch Baumpfleger aus, trotzdem fehlen qualifizierte Leute: "Denn die Generation, die sich bisher um die Bäume gekümmert hat, ist inzwischen zu alt oder schon verstorben", so Cords. Umso wichtiger sei es, die Besitzer der Streuobstwiesen bei der Stange zu halten und Neue zu motivieren – mit Fördergeldern und ohne Bürokratie.
Pflege der Streuobstwiesen erfordert viel Handarbeit
Denn Geld lässt sich auf Streuobstwiesen kaum verdienen. Damit sie nicht verbuschen, müssen sie gemäht werden. Auf den schmalen, steilen Streifen im Maintal nördlich von Würzburg bedeutet das viel Handarbeit mit Balkenmäher und Motorsense. Für die extensive Bewirtschaftung der Streuobstwiesen über das Vertragsnaturschutzprogramm gab es bisher u.a. 350 Euro pro Hektar für den Verzicht auf Düngemittel. Die gibt es künftig nur noch, wenn das Mähgut auch weggebracht wird. Durch die neue Vorgabe soll weniger Stickstoff in den Boden gelangen. Gut für den Artenschutz, aber noch mehr Arbeit: Das Gras muss per Hand zusammengerecht und in der Kompostieranlage in Würzburg entsorgt werden. Denn Tierhalter, die das Gras verwerten, gibt es in der Region kaum mehr. "Auch wenn sich 350 Euro nach viel Geld anhören – auf die kleinen Grundstücke umgerechnet sind das nur ein paar hundert Euro. Und dafür investieren die Privatleute oder kleinen Nebenerwerbslandwirte oft ihre Wochenenden", betont Krischan Cords.
Noch dazu fehlen den Obstbäumen im trockenen Franken Wasser und Nährstoffe, das haben auch Experten der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau festgestellt. Bleibt der Grasschnitt wie bisher liegen, hält er den Boden feucht und liefert zum Beispiel Stickstoff.
Mehr Bürokratie trotz Streuobstpakt?
Jürgen Ködel und sein Mitstreiter Thomas Herrmann vom Erlabrunner Obst- und Gartenbauverein ärgern sich über die vielen aus ihrer Sicht zum Teil unsinnigen Vorschriften. Sie hatten in der Vergangenheit viele kleine Streuobsteigentümer geworben, sich wieder um ihre Wiesen zu kümmern und mitzumachen bei den Förderprogrammen. "Die viele Bürokratie, ständig ändert sich etwas – das schreckt ab". Vertrauen gehe verloren gegenüber dem Staat, "der uns bisher etwas angeboten hat für diese Landschaftspflege und jetzt plötzlich das Geld wieder zurückzieht. Und das in Zeiten des Streuobstpaktes!", beschreibt Herrmann die Lage.
Trotz aller Kritik hat der Streuobstpakt auch Gutes bewirkt: Laut Landwirtschaftsministerium wurden bereits 75.000 Bäume über das Förderprogramm "Streuobst für alle!" gepflanzt und jeweils mit 45 Euro bezuschusst. Das entspreche einer Fördersumme von 3,2 Millionen Euro, so das Ministerium. Und vielleicht bekommen Leute wie Jürgen Ködel in Zukunft ihren Baumschnitt doch noch honoriert: Das Landwirtschaftsministerium hat auf BR24-Nachfrage zumindest eine "Förderlücke" erkannt. Anpassungen würden überprüft, heißt es.
Dieser Artikel ist erstmals am 26.04.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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