Es ist eine Ausnahme: Helena Novotna aus dem tschechischen Brno durfte die Guillotine sehen, durch die ihr Urgroßvater sterben musste. Normalerweise erlauben das Bayerische Nationalmuseum und der Freistaat Bayern das nicht. Sie steht unter Verschluss im Depot des Museums. Die Ausnahme gibt es nur, weil Helena Novotna eine Angehörige ist, so das Museum.
Bei dem Verbot spielt auch eine Rolle, dass sieben Mitglieder der Weißen Rose auf ihr hingerichtet wurden. "Es geht hier einerseits um die Gefühle der Angehörigen (...)", heißt es in der Begründung von 2014. "Und es geht andererseits auch um die gebotene Hochachtung gegenüber Menschen, die durch dieses Fallbeil den Tod gefunden haben." Außerdem solle das Fallbeil nicht zum "bevorzugten Reiseziel für Eventtouristen und Voyeure" werden.
- Zum Artikel: "Guillotine von Stadelheim bleibt weiter im Depot"
Todesurteil mit tiefen Wunden für die Familie
Als das Fallbeil am 19. September 1944 auf Karel Hladečeks Nacken fiel, war er 36 Jahre alt. Mehrere Jahre lang hatte er in Prag gegen die deutschen Besatzer Widerstand geleistet. Dafür bekam er das Todesurteil.
Seine Tochter musste als 7-Jährige mit ansehen, wie die Gestapo ihn abholte - sie braucht noch heute regelmäßig Beruhigungstabletten und spricht nie über ihn. Seine Frau war gerade wieder schwanger, Hladečeks Sohn hat seinen Vater nie kennengelernt. Heute als alter Mann stehe das Foto seines Vaters in seinem Schlafzimmer und er spreche manchmal mit ihm, erzählt seine Enkelin Helena Novotna.
Urenkelin auf Spurensuche
Fast 80 Jahre nach dem Tod ihres Urgroßvaters begab sich die 31-Jährige auf seine Spuren, um ein Buch über seine Lebensgeschichte zu schreiben: "Ich habe den Wunsch, etwas zu tun", sagt sie. "Ich fühle die Verpflichtung, sein Andenken zu bewahren. Das ist es, was ich fühle und was ich tun muss."
Zunächst besuchte Helena Novotna sein Grab am Friedhof am Perlacher Forst - direkt neben der JVA München-Stadelheim. Dort liegt er im sogenannten Ehrenhain II in einem Sammelgrab. Helena würde die sterblichen Überreste ihres Urgroßvaters gerne nach Hause holen, das wäre für den inneren Frieden der Familie wichtig - vor allem seine Kinder könnten dann ruhiger schlafen, sagt sie. Schließlich sollten Familien im Grab vereint sein und ihr Urgroßvater sollte nicht im Land der Täter begraben sein, findet sie.
Überführung der sterblichen Überreste nicht möglich
Leider ist es nicht möglich, Karel Hladečeks sterbliche Überreste nachhause zu holen, da der Sarg aus Holz war und somit längst verrottet ist. Man könnte seine Knochen darum nicht aus dem Sammelgrab entfernen, ohne die Totenruhe der anderen zu stören, so das Ergebnis von Helenas Recherche.
Angehörige wünscht sich einen Gedenkraum mit Guillotine
Die Guillotine zu sehen, durch die ihr Urgroßvater hingerichtet wurde, war keine einfache Erfahrung für Helena - zu sehen, dass man mit dieser Maschine während des Dritten Reichs zum Tode verurteilten Menschen den Kopf abschlug - abgesegnet durch die NS-Gesetzgebung. In München starben so mehr als 1.200 Menschen und im Deutschen Reich waren es etwa 12.000.
"Es war auch deshalb nicht einfach, mir das vorzustellen, weil die Guillotine im Depot des Nationalmuseums auseinandergenommen ist", so Helena hinterher. Die Hinrichtungsbank, auf der ihr Urgroßvater lag, steht heute zwischen anderen solchen Bänken, unter ein Regal geschoben, der Fallbeilrahmen für das Messer ist an der gegenüberliegenden Wand zwischen anderen Gegenständen befestigt und die zugehörigen Messer sind in einem weiteren Raum verstaut.
"So ist für uns Nachkommen kein würdiges Gedenken möglich", sagt Helena Novotna. "Ich würde mir deshalb wünschen, dass das Museum einen Gedenkraum einrichtet, in dem die Guillotine zusammengebaut und würdig präsentiert wird." Auch, wenn der Raum der Öffentlichkeit nicht zugänglich sei.
"Wegsperren der Guillotine ist für ein zivilisiertes Land keine Option"
Helena Novotna versteht nicht, dass der Freistaat Bayern die Guillotine überhaupt im Depot versteckt, anstatt der Öffentlichkeit einen Zugang zu ermöglichen. "Ich war wirklich sehr, sehr überrascht, dass das in so einem zivilisierten Land wie Deutschland möglich ist, und ich hoffe, dass es geändert werden kann", sagt sie. "Das wäre angemessen. Es ist keine Lösung, die Guillotine zu verstecken. Es ist die Verantwortung von unserer Generation, damit angemessen umzugehen."
Guillotine seit 1945 versteckt - bis heute
Das Fallbeil des Gefängnisses München-Stadelheim galt nach dem Zweiten Weltkrieg lange als verschollen. Man munkelte, es sei bei Straubing in der Donau versenkt worden. Stattdessen stand es lange in den Gefängnissen von Straubing und Regensburg. Erst 1974 war sich die bayerische Justiz offenbar sicher, dass man die Guillotine nicht mehr brauchen würde, und brachte sie ins Bayerische Nationalmuseum - dort verschwand sie im Depot.
Erst 2014 deckte der Bayerische Rundfunk ihre Existenz auf. Im Anschluss entschied das zuständige Kunstministerium dann, dass die Guillotine nicht ausgestellt wird und dass niemand sie sehen darf. Grundlage dafür war das Votum eines Runden Tisches aus Fachleuten und Angehörigen. Mehrere Teilnehmer sprachen jedoch später über ihren Eindruck, dass das Votum von politischer Seite vorher schon festgestanden habe, dass das Meinungsbild des Runden Tisches nicht einhellig gewesen sei und dass man das Thema längst nicht ausdiskutiert habe.
In Brandenburg und Ludwigsburg werden Guillotinen ausgestellt
Andernorts können NS-Guillotinen besichtigt werden. In der Justizvollzugsanstalt Brandenburg-Görden - allerdings nach Anmeldung und mit Führung - und im Strafvollzugsmuseum Ludwigsburg. An beiden Orten berichten die Ausstellungsleiterinnen, dass es bislang nie zu ungebührlichem Verhalten von Besuchern oder sonstigen Problemen - etwa mit Rechtsradikalen - gekommen sei.
Video: Johann Reichhart - Bayerns letzter Henker
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