"Halt’s Maul" – das liest Theresa Bittermann ziemlich häufig. So etwas schreiben Instagram-User unter ihre Posts. Der Grund: Theresa Bittermann ist queer und zeigt das auf ihrem Instagram-Account. Bei ihr heißt das: Sie ist bisexuell, findet Männer und Frauen anziehend oder wie sie sagt: alle Geschlechter.
Früher tat sie nichts, diesmal erstattete sie Anzeige
Es gibt noch viel krassere Entgleisungen: "Beleidigungen, Androhungen von Gewalt, dass ich psychisch krank sei, mir werden Sachen unterstellt, ich werde diffamiert, ich werde bloßgestellt, das ist sehr, sehr unangenehm", schildert die 34-Jährige. Die GIFs, also die animierten Bilder, die manche unter ihrem Account posten, haben es ebenso in sich: schießende Maschinengewehre, Flammenwerfer, feuernde Panzer, viele Kotzsmileys.
Früher dachte Theresa, sie müsse das aushalten. Sie ist DJ und Produzentin von elektronischer Tanzmusik, deshalb braucht sie Social Media. Doch jetzt hat sie sich gewehrt: Sie erstattete Anzeige bei der Polizei. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einige der Kommentare wegen Volksverhetzung.
Etwa 7,4 Prozent der Bevölkerung sind LGBTIQ
Volksverhetzung, Beleidigung, Sachbeschädigung oder gar Körperverletzung: LGBTIQ sind eine der Gruppen, die es bei solchen Delikten besonders trifft. Laut dem bayerischen Sozialministerium identifizieren sich 7,4 Prozent der in Deutschland lebenden Bevölkerung in ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität mit der Bezeichnung LGBTIQ. Das heißt: Sie bezeichnen und/oder empfinden sich selbst als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intersexuell oder queer (queer: ebenfalls Sammelbegriff für verschiedene Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen).
Neue Zahlen zeigen jetzt: Die registrierten Straftaten gegen queere Menschen sind in Bayern weiter gestiegen: Letztes Jahr gab es 190 queerfeindliche Straftaten, das sind doppelt so viele wie noch 2022. Das zeigt die Antwort des bayerischen Innenministeriums auf eine Anfrage der Grünen. Die Zahlen stammen vom Bayerischen Landeskriminalamt. Sie beruhen auf dem Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität. Zahlen aus den vorherigen Jahren lassen sich nicht vergleichen, weil sich die Erhebungsmethode mehrmals geändert hat.
Betroffene zeigen mehr bei der Polizei an
Die Zahlen haben sich seit 2022 verdoppelt – heißt das, Bayern wird queerfeindlicher? Das könne man so nicht sagen, sagt David Beck, Hate-Speech-Beauftragter der Bayerischen Justiz. "Was wir sehen, ist, dass queerfeindliche Straftaten vermehrt angezeigt werden. Dass die Hemmschwellen sinken, die Sachverhalte auch bei uns zur Anzeige zu bringen. Aber ob das dann einfach eine Erhellung eines bestehenden Dunkelfeldes ist oder ob das Dunkelfeld anwächst, das können wir nicht sagen."
Betroffene wie Theresa Bittermann zeigen also mittlerweile mehr an. Das liege auch daran, so das bayerische Innenministerium, dass das Thema Queerfeindlichkeit mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sei. Und auch die Bevölkerung selbst häufiger mit Hasskriminalität in Berührung komme.
Grüne: Queere Menschen unter Druck
Laut Florian Siekmann, Sprecher der Grünen für queeres Leben, zeigen die gestiegenen Zahlen, dass queere Menschen in Bayern stärker unter Druck geraten. "Wir haben eine starke Verbreitung von Onlinehass, wir haben aber auch mehr tätliche Übergriffe, die tatsächlich mit gefährlicher Körperverletzung draußen auf der Straße stattfinden. Das liegt auch daran, dass Hass stärker geschürt wird", so der Grünen-Abgeordnete. Die Verdopplung der Straftaten nennt er erschreckend und warnt: "Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs. 80 bis 90 Prozent wird immer noch nicht angezeigt, sei es aus Scham oder aus Angst." Er fordert eine Ansprechperson für Opfer queerer Gewalt in allen Polizeipräsidien. "Damit die Menschen schneller zur Polizei gehen, bereit sind anzuzeigen. Damit wir auch die geringen Aufklärungsquoten verbessern."
Nur höchstens die Hälfte der Straftaten wird aufgeklärt
Die Aufklärungsquote ist immer noch mau. 2023 lag sie bei Hasskriminalität insgesamt bei knapp 70 Prozent, bei Delikten, die LGBTIQ-feindlich sind, höchstens bei 50 Prozent, teilt das bayerische Innenministerium mit.
Theresa Bittermann hat Sorge, wenn sie in ihre Kommentarspalte auf Instagram schaut. Sie fragt sich: "Ob ich Angst haben muss vor tätlichen Angriffen im öffentlichen Raum. Es besorgt mich schon und ich frage mich, ob das passieren kann." Weniger im Netz posten, das wird sie aber nicht. Eher mehr.
Im Audio: Gespräch mit Michael Weinzierl, Polizei-Beauftragter gegen Hasskriminalität
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