Mitten in Augsburg, am Königsplatz, steht das Haus, in dem einer der Teilnehmer von "Wem gehört die Stadt?" mal gewohnt hat. Büros in den unteren Etagen, im obersten Stockwerk drei Wohnungen. 2015 war er mit Freundin und Kind hier eingezogen, bis 2019 wohnte er dort: "Das ganze Gebäude wurde zweimal verkauft in der Zeit, in der wir dort gelebt haben."
Ihm fällt kurz nach dem Einzug auf, dass eine Etage dauerhaft leer steht, die Wohnung nebenan wird nach einem Auszug nicht wieder vermietet. Das Verhältnis zum Eigentümer war aber immer gut, Reparaturen zum Beispiel wurden immer zügig erledigt, erzählt er. Dann kündigt der Eigentümer an, das Haus an einen größeren Investor weiterverkaufen zu wollen und bietet ihm einen Mietaufhebungsvertrag an: 15.000 Euro dafür, dass er und seine Familie ausziehen. "Das Haus sollte in ein Ärztehaus umgewandelt werden. Ich glaube, die wussten, dass Bewohner ein Bauvorhaben nach hinten rausschieben oder unsicher machen könnten, deshalb waren Mieter nicht mehr unbedingt erwünscht." Ein leeres Haus lässt sich teurer verkaufen. Solche Geschichten kennt man eigentlich eher aus Metropolen wie München oder Berlin.
Steigende Mieten und die schwierige Suche nach bezahlbarem Wohnraum
Diese und andere Zuschriften erreichten den BR und das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv im Rahmen der Aktion "Wem gehört die Stadt?". Ab Mitte Januar waren Bürgerinnen und Bürger sechs Wochen lang aufgerufen, sich an der Recherche zum Wohnungsmarkt zu beteiligen. Den BR erreichten so auch viele Geschichten aus Augsburg: Menschen, die von ihren Sorgen erzählen und ihrer Angst, das eigene Zuhause zu verlieren, von Zwangsversteigerung, Wohnungsräumung und Mieterhöhungen. Aber auch von Bürgerinnen und Bürgern, die mit ihren Vermietern ein gutes Verhältnis haben.
Insgesamt sind aus Augsburg etwa 150 Einsendungen eingegangen, diese geben selbstverständlich kein repräsentatives Bild ab, zeigen jedoch eine Tendenz. Die Eigentümerstruktur setzt sich - in den Dateneinsendungen - folgendermaßen zusammen: Mehr als die Hälfte der Wohnungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wird von privaten Eigentümern vermietet, privatwirtschaftliche Unternehmen folgen als zweite große Gruppe. Der Rest verteilt sich auf Genossenschaften, die Kirche und die Stadt.
Augsburg hat viele Privatvermieter
Die Erkenntnis aus der Datenrecherche spiegelt sich auch im offiziellen Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2018 wider: Sowohl in Augsburg als auch in München ist die Anzahl der Privatvermieter recht hoch - ebenso wie beispielsweise in Köln. In Berlin hingegen gibt es deutlich weniger private Vermieter, dort sind es - laut Mikrozensus - mehr privatwirtschaftliche Vermieter.
💡 Wer sind die größten Vermieter in Augsburg?
Größter Vermieter ist die städtische Wohnbaugruppe Augsburg mit ca. 10.000 Wohnungen. Größter privatwirtschaftlicher Vermieter ist die WSB Bayern mit 3.000 Wohnungen, gefolgt von der Vonovia mit 2.000 Wohnungen. Auch die katholische Kirche gehört mit über 1.600 Wohnungen zu den großen Vermietern. (Quellen: Verband der Wohnungswirtschaft Bayern, WSB Bayern, Vonovia, Diözese Augsburg)
Vermieter sehen sich in der Verantwortung
Durch die Bürgerrecherche wird auch die Perspektive der Vermieterinnen und Vermieter sichtbarer. Eine Augsburgerin, die selbst eine Wohnung in Augsburg vermietet, schrieb: "Die Wohnung in der Innenstadt von Augsburg habe ich vor acht Jahren geerbt, umfassend saniert und dann zu - wie ich meine - einem sehr verträglichen Quadratmeterpreis an sehr nette Mieter vermietet. Da mir an der langfristigen Vermietung gelegen ist und nicht daran, möglichst hohen Profit aus der Immobilie zu schlagen, habe ich die Miete in den vergangenen Jahren auch nicht erhöht und habe dies auch in nächster Zeit nicht vor."
Auch ein anderer Augsburger Vermieter möchte aus seiner Immobilie nicht ausschließlich Profit machen, er stellte sein Wohnungsangebot ins Netz und teilte dem BR seine Beobachtungen mit: "Nach drei Tagen geschalteter Anzeige auf einem Immobilienportal habe ich immer weit über 250 Bewerbungen auf die Wohnung. Mir tun viele Interessenten sehr leid, weil sie wenig bis gar keine Chance auf dem Augsburger Wohnungsmarkt haben. Es sind viele Familien mit zwei bis drei Kindern dabei, für die die Wohnung komplett ungeeignet ist, die sich aber nichts größeres leisten können."
Andere Wohnformen - genossenschaftliches Wohnen
Bei solch einem Ansturm auf freien Wohnraum rücken auch immer wieder genossenschaftliche Wohnmodelle in den Vordergrund. In Augsburg sind laut dem Verband bayerischer Wohnungsunternehmen circa 7.700 Wohneinheiten in genossenschaftlicher Hand. Allerdings liegt der Anteil an allen Wohnungen in der Stadt bei nur circa fünf Prozent - in Würzburg ist dieser doppelt so hoch. Die Stadt Augsburg gibt auf Anfrage an, dass sich eine weitere Genossenschaft in Gründung befindet.
Auch sind proportional gesehen weniger Wohnungen in öffentlicher Hand als beispielsweise in München. Hinzu kommt: Gab es vor zwölf Jahren noch mehr als 10.000 Sozialwohnungen, sind es aktuell rund 8.400 geförderte Wohnungen. Die Stadt weist auf Nachfrage darauf hin, dass sich die Zahl der Wohnungen, die nach einkommensorientierter Förderung (EOF) gefördert wurden, in den kommenden fünf Jahren verdoppeln soll.
Der Markt ist angespannt. Dass es nicht leicht ist, ein neues Zuhause für die Familie zu finden, hat Claudia Raufer am eigenen Leib erlebt. Sie ist vor kurzem zum dritten Mal Mutter geworden. Jetzt wird es zu fünft langsam richtig eng in der Dreizimmerwohnung. Seit zwei Jahren schon versuchen sie und ihr Mann eine größere und bezahlbare Wohnung in ihrer Heimatstadt zu finden – bisher ohne Erfolg.
Privateigentümer verkaufen an Investoren
Der Wohnungsmarkt und die Mieten in Augsburg haben laut Gabriele Seidenspinner vom Verein "Haus und Grund" noch lange nicht Münchner Verhältnisse angenommen. Aber: "Wenn Investoren einsteigen, werden Immobilien teurer". Sie beobachtet, dass vor allem ältere Privateigentümer von Vorgaben zum Beispiel im Bereich Modernisierung überfordert sind und deshalb oft die eigene Immobilie verkaufen. Die Käufer seien dann häufig Investoren. Wenn dadurch eine Wohnung im Innenstadtbereich schon so viel koste wie ein Haus, könne sich das kein Privateigentümer mehr leisten.
Das Haus, in dem der Teilnehmer der Bürgerrecherche vom Beginn dieses Artikels wohnte, wollte der Eigentümer an einen Investor verkaufen - deshalb bot er der Familie 15.000 Euro für den Auszug aus ihrer Wohnung an. Sie haben das Angebot angenommen und entgegen aller Warnungen von Freunden und Bekannten in Augsburg recht schnell wieder eine schöne Wohnung gefunden.
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