In einem Haus im Münchner Stadtteil Schwabing wohnen 37 psychisch kranke Menschen. Sie werden von einer gemeinnützigen Organisation betreut, die das Haus auch angemietet hat. Michaela Weiß, Geschäftsführerin der Organisation, dachte, das Haus sei vor Immobilien-Spekulation geschützt. Denn das Gebäude liegt in einem Gebiet, in dem die Stadt München ein sogenanntes Vorkaufsrecht hat. Doch als das Mietshaus vergangenen März den Eigentümer wechselt, nutzt die Stadt ihr Vorkaufsrecht nicht. Bei den Bewohnern seien viele Tränen geflossen, oftmals kamen Angstzustände hoch, berichtet Michaela Weiß. Zum Jahresende müssen die psychisch kranken Menschen ihr gewohntes Umfeld verlassen.
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Vorkaufsrecht: Strengere Regeln zum Mieterschutz
In München gibt es derzeit 27 Gebiete mit Erhaltungssatzung. Fast 300.000 Mieter leben dort. Dass die Stadt ihr Vorkaufsrecht nutzt, können Investoren verhindern, indem sie eine sogenannte Abwendungserklärung unterschreiben. Darin müssen sie auf Luxussanierungen verzichten und gedeckelte Mieten akzeptieren. Das geschieht immer seltener, seit die Stadt München 2018 die Regeln verschärft hat. So konnte sie in den vergangenen drei Jahren 36 Mietshäuser erwerben. Fast eine halbe Milliarde Euro gab sie dafür aus. Für Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist das eine Erfolgsgeschichte: "Ich habe es so bezeichnet: 'Wir kaufen unsere Stadt zurück!' Aber das ist natürlich auch irgendwo endlich, selbst einer gutsituierten Stadt wie München werden die Mittel dafür irgendwann ausgehen."
Hohe Preise bremsen Stadt München aus
Im Fall des Mietshauses in Schwabing hat der Investor keine Abwendungserklärung unterschrieben Die Stadt hätte daher das Gebäude erwerben können. Doch laut Kaufvertrag lag der Preis bei 21,2 Millionen Euro – und somit 25 Prozent über dem festgestellten Verkehrswert der Immobilie. Das war für die Stadt inmitten der Corona-Krise zu teuer. Sie erwarb das Haus nicht.
Volker Rastätter vom Mieterverein München erklärt: "Diese Erhaltungssatzungen haben einen Nachteil, nämlich dass die Stadt zu dem Preis kaufen muss, der in diesem Vertrag steht. Und dieser Preis ist in der Regel sehr hoch."
Erhaltungssatzung wird mit Share-Deals ausgehebelt
Warum war der Kaufpreis für das Mietshaus so hoch? Unterlagen, die dem BR vorliegen, belegen: Innerhalb kürzester Zeit wechselte das Gebäude mehrmals den Eigentümer. Im August 2017 zahlte ein Käufer rund 13 Millionen Euro für die Immobilie. Zweieinhalb Jahre später wechselte das Gebäude dann, für 21,2 Millionen Euro den Eigentümer. Ein Wertanstieg von 63 Prozent.
Ein Grund für diesen enormen Preisauftrieb: In der Zwischenzeit hat die Immobilie einmal "unbemerkt" den Eigentümer gewechselt - im Zuge eines sogenannten Share-Deals. Der lief so: Zwei Investoren kauften nicht das Mietshaus, sondern Anteile an der Firma, der die Immobilie zu der Zeit gehörte.
Durch so einen Share-Deal sparen die Investoren Grunderwerbssteuer und hebeln zugleich das Vorkaufsrecht der Stadt aus. Oberbürgermeister Dieter Reiter ärgert das: "Ich gehe davon aus, dass die Share-Deals nicht nur steuerrechtlich vorteilhaft sind, sondern natürlich auch preistreibende Wirkung haben. Deswegen kritisieren wir seit vielen, vielen Jahren dieses Thema Share Deals. Leider hat der Gesetzgeber noch nicht reagiert."
💡 Was ist ein Share-Deal?
Beim Share Deal können Unternehmer ein Steuerschlupfloch nutzen, um Grunderwerbsteuer zu sparen: Beim Kauf einer Immobilie wird dabei nicht das Gebäude an sich erworben, sondern die Anteile einer Firma, die diese Immobilie besitzt. Wenn mindestens 5,1 Prozent der Anteile dabei an einen weiteren Akteur gehen, ist der Verkauf von der Grunderwerbsteuer befreit. Das Vorgehen ist umstritten, die Bundesregierung arbeitet an einer Verschärfung der Regelung. (Erklärt von Lisa Wreschniok, BR Recherche)
Wie Immobilien-Preise hochgeschraubt werden
Share-Deals sind nicht die einzige Möglichkeit für Investoren, an der Preisschraube zu drehen. Dies zeigt ein weiterer Fall: Anfang des Jahres wechselten drei Mietshäuser in Erhaltungssatzungsgebieten in München für insgesamt 30 Millionen Euro den Eigentümer. Weil der Käufer keine Abwendungserklärung abgab, konnte die Stadt München durch ihr Vorkaufsrecht einschreiten und die drei Häuser erwerben. Allerdings lag der Preis bei einem Haus 46 Prozent über dem Verkehrswert, bei einem anderen 39 Prozent.
Verkauft wurden die Gebäude von Firmen der Grünwalder Rock Capital Group. Käufer war eine Firma namens Luxx Living GmbH aus Passau. Auf BR-Anfrage teilt die junge Firma mit: "Nach unserer Einschätzung waren die Kaufpreise keine Schnäppchen, aber marktkonform."
BR-Recherchen vor Ort in Passau ergeben: Die Firma sitzt in einem Haus, das einen verlassenen Eindruck macht. Laut Grundbuch gehört es einem Gesellschafter von Rock Capital. Der Käufer hat seinen Firmensitz also im Haus des Verkäufers. Rock Capital will sich zu dem Vorgang auf Anfragen nicht äußern.
Letztlich kaufte die Stadt München die drei Immobilien zu einem reduzierten Preis. Möglich war das über eine sogenannte Kaufpreislimitierung: Wenn ein zwischen Käufer und Verkäufer vereinbarter Preis 20 Prozent über dem Verkehrswert liegt, dann kann die Stadt laut Baugesetzbuch den Preis begrenzen. Oberbürgermeister Dieter Reiter sagt: "Wir werden auch weiterhin vom Vorkaufsrecht Gebrauch machen. Und wir werden auch weiterhin darauf drängen, dass diese Verkäufe und damit tatsächlich die danach entstehenden Spekulationsgewinne irgendwann vom Gesetzgeber eingedämmt werden."
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