Es war der 4. Juni 2013: Nach einem Dammbruch an der etwa drei Kilometer entfernten Isar schwappt eine Flutwelle nach Fischerdorf, einem Stadtteil von Deggendorf. Zehn Tage lang steht dort alles teils bis zum ersten Stock unter Wasser – besser gesagt, in einer stinkende Brühe: ein Gemisch aus Kanalisation und Heizöl, in der tote Wildtiere, Schlamm, Müll und Schrott treiben.
Donaubrücke wird zum Rettungsanker
Der schmucke Verkaufsraum von Autohändler Albert Schwinghammer zum Beispiel wurde binnen weniger Stunden eine Ruine. Allein bei ihm versinken am Ende 272 Autos unter der stinkenden, dreckigen Schlammflut. Von seiner Wohnung bleibt nichts mehr.
"Ich habe bis kurz vor halb sieben noch im Betrieb ausgehalten. Dann kam die Feuerwehr und sagte zu mir, ich solle schnellstens verschwinden, weil die Welle kommt. Zusammen mit meiner Frau bin ich dann mit Vollgas Richtung Donaubrücke gefahren." Albert Schwinghammer, Autohändler in Fischerdorf
Die markante Bogenbrücke über die Donau ist damals die einzige Rettung für die Fischerdorfer – über sie können sie sich wenigstens in Sicherheit bringen. Ihre Heimat aber, ihr Hab und Gut und vor allem die vielen lieb gewonnen Dinge in ihren Wohnungen - Fotoalben, Erinnerungsgegenstände, einfach alles - wird ihnen vom Hochwasser genommen.
Tausende helfen beim Aufräumen
Oberbürgemeister Christian Moser (CSU) zeigt auf der Fischerdorfer Brückenseite auf die Straße, als wäre dort eine Linie: "Da war die Wasserlinie. Ein Landwirt kam auf mich zu, klopfte mir auf die Schulter und sagte: Das schaffen wir schon, oder? Da habe ich mir gedacht: Ok, ich bin noch nicht mal ein Jahr im Amt."
Es ist in den Tagen, Wochen, Monaten nach der Flutkatastrophe ein Funktionieren. "Man macht einfach in solchen Situationen", sagen die Fischerdorfer. Zum Nachdenken bleibt keine Zeit. Hunderte, Tausende Freiwillige melden sich, helfen beim Aufräumen.
"Meine Freunde aus Fischerdorf sagen immer, uns haben sie vor zehn Jahren geholfen. Da waren so viele Hilfskräfte da. Und wenn wir jetzt irgendwo gebraucht werden, sind wir die ersten, die helfen und diese Hilfe zurückgeben wollen." Christian Moser, Deggendorfs Oberbürgermeister
Neue Zeitrechnung: Vor oder nach dem Hochwasser
Denn jetzt - nach zehn Jahren - haben es die Fischerdorfer geschafft. Die Folgen der Flutkatastrophe sind überwunden. Auch wenn sich vieles verändert hat, beobachtet Feuerwehrkommandant Roland Berger: "Optisch ist Fischerdorf nicht mehr das, was es vor der Flut war. Es ist einfach alles anders."
Der finanzielle Schaden, den die Flut verursacht hat, wird auf rund eine halbe Milliarde Euro geschätzt. Im gesamten Landkreis Deggendorf müssen 229 Häuser abgebrochen und neu aufgebaut werden. 666 Häuser werden grundlegend saniert. Es fließen Millionen Hilfs- und Spendengelder für den Wiederaufbau, dazu kommen Versicherungssummen.
Wiederaufbau beendet, Narben bleiben
Wirtschaftlich sind die Folgen der Flut überwunden – die Narben, die das Wasser bei den Betroffenen hinterlassen hat, werden dagegen nie verheilen. "Wir haben hier eine eigene Zeitrechnung", sagt ein Fischerdorfer. "Vor oder nach dem Hochwasser – das ist bei uns so."
Und trotzdem wird an diesem Wochenende - zehn Jahre nach der Katastrophe - gefeiert: das 150-jährige Gründungsjubiläum der Feuerwehr. Ein bewusst auf den Jahrestag der Flutkatastrophe gelegter Termin.
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