Sie kommt aus dem Raum Aschaffenburg und fand Anschluss im nahegelegenen Hessen. Dort, wo sich einer der größten Hotspots der Salafisten-Szene befindet - in Frankfurt am Main und Offenbach. Insgesamt zweimal soll Sibel H. mit Salafisten aus Hessen ins Gebiet des sogenannten Islamischen Staats gereist sein. Als ihr erster Mann im Jahr 2014 ums Leben kam, sei die heute 32-Jährige wenig später nach Deutschland zurückgekehrt, heißt es.
Im Frühjahr 2016 folgte Sibel H. nach Erkenntnissen der Ermittler erneut dem Ruf der Terrormiliz IS. Diesmal war die Deutsch-Türkin mit Deniz B. unterwegs, den sie nach islamischem Ritus heiratete. Seit April 2018 ist Sibel H. zurück. Auch die beiden gemeinsamen Kinder, die im Kriegsgebiet geboren wurden, befinden sich in Deutschland. Die 32-Jährige muss sich vor dem Oberlandesgericht München als mutmaßliches Mitglied der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) verantworten. 16 Verhandlungstage sind angesetzt.
Bundesregierung will Ehemann zurückholen
Ehemann Deniz B. sitzt im Irak in Gefangenschaft. Seine Anwälte, Seda Basay-Yildiz und Ali Aydin, haben schon vor Monaten Klage gegen die Bundesrepublik erhoben. Sie wollen vor dem Berliner Verwaltungsgericht erzwingen, dass ihr Mandant nach Deutschland zurückgebracht wird. Nun könnte Bewegung in den Fall kommen. Nach BR-Informationen bemüht sich die Bundesregierung um die Rückholung von Deniz B. Wann diese erfolgt, ist unklar.
Ist Wohnen beim IS strafbar?
Deniz B. beteuert, er sei ausgereist, um humanitäre Hilfe zu leisten. Er soll sich im Internet über Reisemöglichkeiten zum IS informiert und eine Kontaktperson ausfindig gemacht haben. Anschließend seien er und seine Frau Sibel H. in die Türkei geflogen und von dort mit Hilfe eines Schleusers nach Syrien gelangt. Die Ermittler gehen davon aus, dass das Ehepaar schließlich im Irak landete. Deniz B. soll dort als Pfleger in einem vom IS verwalteten Krankenhaus gearbeitet haben. Laut Bundesanwaltschaft lebte das Paar in einer Wohnung und zwei Häusern, die vom IS verwaltet wurden. Genau das könnte der in München angeklagten Sibel H. nun zum Verhängnis werden.
In der Anklage gegen die 32-Jährige heißt es, die rechtmäßigen Bewohner der Immobilien seien vor der Terrororganisation geflüchtet. Für die Bundesanwaltschaft ist das Aneignung und damit ein Kriegsverbrechen, das im Völkerstrafgesetzbuch unter Strafe steht.
Schwierige Anklage von IS-Rückkehrerinnen
Schon länger versucht die Bundesanwaltschaft, verstärkt gegen Frauen vorzugehen, die beim IS und anderen Terrororganisationen waren. Bisher landeten nur wenige Rückkehrerinnen vor Gericht. Ein Grund: Während Männern oft Fotos und Videos aus Syrien und dem Nordirak zum Problem werden, sei dies bei Frauen wegen ihrer Vollverschleierung nicht der Fall, sagen Ermittler.
Kurz nach ihrer Rückkehr wollte die Bundesanwaltschaft gegen Sibel H. einen Haftbefehl erwirken. Zu diesem Zeitpunkt beschränkte sie ihre Vorwürfe allerdings noch darauf, dass Sibel H. im Kalifat gelebt und dort für ihren Mann den Haushalt geführt habe. Doch der Bundesgerichtshof sagte "Nein": Das Leben im Kalifat sei noch keine mitgliedschaftliche Beteiligung. Auch für eine ebenfalls strafbare Unterstützung des IS sahen die Richter keine Anhaltspunkte.
Angeklagte auf freiem Fuß
Im August 2019 reichte es dann doch für einen Haftbefehl gegen Sibel H. Dieser wurde aber wenig später außer Vollzug gesetzt. Die deutschen Behörden sahen keine Fluchtgefahr. Erst jetzt kommt es zum Prozess in München.
Das Völkerstrafrecht, das zum Schutz der Zivilbevölkerung bestimmte Verbrechen in bewaffneten Konflikten bestraft, ist ein neuer Hebel, um IS-Rückkehrerinnen anzuklagen. Strafverteidiger sehen das Vorgehen der Bundesanwaltschaft aber kritisch. "Ich bin der Auffassung: Wenn der IS einem ein Haus gibt, dann kann man das Haus auch nicht ablehnen", sagt Verteidiger Serkan Alkan, der immer wieder Rückkehrerinnen vor Gericht vertritt, auf BR-Anfrage. Deshalb sei der Vorwurf "Plündern durch Wohnen" sehr oberflächlich.
Dem Verteidiger zufolge ist teilweise vollkommen unklar, wem die Häuser in Besitz des IS vorher gehört haben: "Die Ermittler in Deutschland gehen automatisch davon aus, überall wo der IS gewesen ist, sind die Vorgänger geflüchtet. Das können die Ermittler aber eigentlich gar nicht wissen, weil sie nicht selbst vor Ort waren."
Im kurdischen Gebiet verhaftet
Der Ansatz der Bundesanwaltschaft könnte auch beim Prozess in München gegen Sibel H. zu Diskussionen führen. Der Angeklagten werden auch andere Vergehen angelastet, unter anderem Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Sibel H. hatte aus Sicht der Ermittler zeitweilig Zugriff auf zwei vollautomatische Gewehre des Typs Kalaschnikow AK47 mit Magazinen und später auf eine Kalaschnikow AK47 und ein Sturmgewehr Colt M16.
2017 wurde die Lage für die heute 32-Jährige und ihrem Ehemann immer unsicherer. Die militärische Niederlage des IS zeichnete sich ab. Das Paar, so die Bundesanwaltschaft, habe sich mit Hilfe eines Schleusers in kurdisches Gebiet begeben. Dann wurden sie festgenommen.
Die "Schwarze Witwe"
Es gibt ein Foto, das Sibel H. und Deniz B. gemeinsam zeigt. Deniz B. hat einen Vollbart, Sibel H. trägt einen Niqab, einen schwarzen Gesichtsschleier mit Augenschlitzen. Die Familie von Deniz B. hat das Bild kurz nach dessen Ausreise veröffentlicht. Über dem Foto steht: "Vermisstenmeldung! Gesucht wird Deniz B. Er befindet sich vielleicht auf dem Weg nach Syrien – angeworben durch eine sogenannte Schwarze Witwe." Bei der schwarzen Witwe handelt es sich um die Angeklagte Sibel H.. Wie fanatisch sie wirklich war, dürfte der Prozess in München zeigen. Inzwischen durchläuft die 32-Jährige ein Aussteigerprogramm.
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