Der bundesweite Verkehrsstreik von Verdi und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) am Montag wirft seine Schatten voraus. Die Auswirkungen der Ankündigung werden bereits am Sonntag für Reisende zu spüren sein. Unterdessen ebbt die Kritik an den Gewerkschaften nicht ab – doch viele zeigen auch Verständnis für die Lohnforderungen der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes.
Städte- und Gemeindebunds-Chef Landsberg sieht "Generalstreik"
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) verurteilt den angekündigten bundesweiten Verkehrsstreik. "Der Streik am Montag kommt einem Generalstreik ziemlich nahe und geht weit über einen Warnstreik hinaus", sagte der Hauptgeschäftsführer der Organisation, Gerd Landsberg, der "Rheinischen Post" (Samstag). "Es ist auch unhöflich von den Gewerkschaften, weil ja genau am Montag die nächste Verhandlungsrunde stattfindet", kritisierte Landsberg.
Für Eltern mit kleinen Kindern sei dieser Warnstreik besonders bedenklich, denn Verdi nehme "auch die Kitas wieder ins Visier". Die Kitas würden schon seit Wochen immer wieder bestreikt, zudem gebe es bei den Erzieherinnen und Erziehern einen hohen Krankenstand. "Das ist für Familien nach dem Corona-Horror schon wieder eine Riesen-Belastung und oft gar nicht zu lösen, wenn beide arbeiten", gab Landsberg zu bedenken.
Wirtschaftsweise Schnitzer: Hohe Lohnforderungen verständlich
Die Vorsitzende des Rats der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, äußerte Verständnis für die Streikenden. "Wir sehen hier einen Tarifkonflikt, der weder ungewöhnlich noch unverständlich ist", sagte Schnitzer der "Rheinischen Post". Sie verwies auf die Belastungen für die Beschäftigten durch die hohe Inflation.
"Die Beschäftigten haben in Deutschland im vergangenen Jahr wegen der hohen Inflation im Durchschnitt einen Reallohnverlust von über drei Prozent hinnehmen müssen", sagte Schnitzer. "Auch für dieses Jahr erwarten wir eine Inflation von 6,6 Prozent." Vor diesem Hintergrund seien hohe Lohnforderungen verständlich.
Sind die Lohnforderungen der Gewerkschaften überzogen?
Allerdings müsse auch vermieden werden, "dass eine Lohn-Preis-Spirale die Inflation weiter antreibt", mahnte Schnitzer. Daher habe die Bundesregierung ja auch steuerfreie Einmalzahlungen der Arbeitgeber an die Beschäftigten ermöglicht und Maßnahmen zur Dämpfung der hohen Energiekosten beschlossen.
DStGB-Chef Landsberg kritisierte die Forderungen von Verdi. Bund und Kommunen hätten schon ein ordentliches Angebot in der Tarifrunde gemacht. Verdi wolle aber noch mehr herausholen. "Ob im Moment die Zeit für solche Rituale ist, ist zu bezweifeln", so Landsberg. "Ob durch diesen Streik das Verständnis in der Bevölkerung für die Gewerkschaften wächst, ist fraglich."
Mehrheit der Deutschen findet Forderungen gerechtfertigt
Allerdings blickt eine Mehrheit der Menschen in Deutschland einer dpa-Umfrage zufolge verständnisvoll auf den Warnstreik: Rund 55 Prozent der Befragten halten den gemeinsamen Arbeitskampf der Gewerkschaften Verdi und EVG für "eher" oder "voll und ganz" gerechtfertigt.
Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur hervor. Gut 38 Prozent finden die Aktion "eher nicht" oder "gar nicht" gerechtfertigt, acht Prozent machten keine Angabe.
Auch das Gros der BR24-Nutzer zeigt Verständnis
Unter den Nutzern von BR24 zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Julia We schreibt auf Facebook: "Man sollte Herrn Landsberg mal erklären, was ein Generalstreik ist. Das bisschen Streik am Montag sicherlich nicht." Nutzerin Angelika Zöller findet es richtig, dass die Mitarbeiter für faire Löhne kämpfen. "Jedoch muss uns allen klar sein, dass danach die Preise für so ziemlich alles einen großen Sprung nach oben machen.
Facebook-Userin Uta Löbl zieht den Vergleich zu Frankreich, wo aktuell die Proteste gegen die Rentenreform des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht abreißen. "Frankreich macht es vor wie es geht. Wir Deutschen lassen uns viel zu viel gefallen. Wenn dann einmal alles lahm gelegt wird ist das nur die logische Konsequenz daraus", schreibt Löbl. Und wenn man möchte habe man bis Montag Zeit sich zu überlegen, wie man in die Arbeit kommt.
"Was haben wir auf Balkonen gestanden und geklatscht"
User Pantoffeltierchen schrieb unter einem Artikel auf BR24: "Was haben wir während der Pandemie auf den Balkonen gestanden und geklatscht. Für Krankenschwestern, Müllmänner, Supermarktverkäuferinnen, Busfahrer etc. Und jetzt, wo es ans Eingemachte geht, ist das Geschrei ohrenbetäubend, dass das alles ja auch tatsächlich Geld kostet. Ja sowas!" Dem User zufolge sei es angebracht, die Streikenden nun moralisch in ihren Forderungen nach einem gerechten Lohn zu unterstützen. "Und ob das jetzt 8 oder 9 oder 10 Prozent mehr Lohn sind: Hauptsache, diese wahren Säulen der Gesellschaft haben auch wirklich angemessen mehr im Geldbeutel."
Auf BR24 kommentierte der User "Zuschauer": "Das Verständnis der Öffentlichkeit hält sich in Grenzen. Wir haben alle mit gestiegenen Preisen zu kämpfen. Aber in der freien Wirtschaft hat nicht jeder die Möglichkeit für Fantasieforderungen zu streiken."
Bahn: Deutlich mehr Fahrgäste vor Verkehrswarnstreik am Montag
Eingeschränkt ist von den Auswirkungen indes nur eine Minderheit: Insgesamt 69 Prozent der Befragten gaben laut der Yougov-Umfrage an, voraussichtlich nicht von dem Warnstreik betroffen zu sein. Jeder fünfte gab an, als Nutzer oder Nutzerin von Bussen und Bahnen im Nah- und Regionalverkehr die Auswirkungen zu spüren. Sieben Prozent waren als Fernreisende mit der Bahn betroffen. Zwei Prozent äußerten sich als betroffene Flugreisende.
Diejenigen, die nun umdisponieren müssen, gehen laut der Umfrage unterschiedlich damit um: Etwa 28 Prozent nutzen als Alternative zum eigentlich geplanten Reisemittel nun das eigene Auto. Jeder vierte Betroffene möchte ganz auf geplante Fahrten verzichten.
Dass die Menschen umdisponieren, dürfte man in den Zügen an diesem Wochenende sehen. "Schon jetzt stellt die Deutsche Bahn vor dem bundesweiten Warnstreik der EVG am Montag ein deutlich erhöhtes Fahrgastaufkommen und eine hohe Auslastung der Züge insbesondere im Fernverkehr fest", teilte ein Bahnsprecher am Samstagvormittag mit. Man empfehle Reisenden deshalb, einen Sitzplatz zu reservieren. "Zugreisende werden außerdem gebeten, am Sonntag so früh wie möglich ihr vorgesehenes Fahrtziel zu erreichen, da es bereits am Abend zu Beeinträchtigungen im Bahnverkehr kommen kann", hieß es weiter.
Was fordert Verdi – was bieten die Arbeitgeber?
In Bayern laufen aktuell mehrere Tarifkonflikte parallel. Im öffentlichen Nahverkehr gibt es zwar gleichlautende Forderungen wie im öffentlichen Dienst, die Verhandlungen sind aber separat. Im öffentlichen Dienst will Verdi für die bundesweit 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Die Arbeitgeber bieten schrittweise 5 Prozent mehr bei zweijähriger Laufzeit sowie 2500 Euro Einmalzahlung. Die dritte Verhandlungsrunde startet am Montag und ist bis einschließlich Mittwoch angesetzt.
Mit Informationen von dpa und AFP
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