Seit Freitag, den 16. Februar, kennt wohl die ganze Welt die 47-jährige Julia Nawalnaja. Kurz nachdem sie vom Tod ihres Mannes Alexej Nawalny in einem sibirischen Straflager erfahren hat, spricht sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf der Bühne. Sie habe intensiv mit sich gerungen, ob sie jetzt zu ihren Kindern fliegen solle, aber dann habe sie sich gefragt, was Alexej jetzt an ihrer Stelle tun würde. Und er hätte gesprochen, erklärt sie, auf dieser Bühne, deshalb sei sie jetzt genau hier.
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Schon wenige Stunden nach dem Tod, als man ihr noch die Fassungslosigkeit und das Ringen mit der Trauer ansieht, bringt Julia Nawalnaja die Kraft auf, um die Rolle ihres Mannes auszufüllen. Und wenige Tage später kündigt sie das offiziell auf dem YouTube-Kanal ihres Mannes an: "Ich werde die Arbeit von Alexej Nawalny fortführen, werde weiter für unser Land kämpfen und ich rufe euch dazu auf, an meiner Seite zu stehen."
Großer Zuspruch bei den Exil-Russen und Russinnen in München
Kann das funktionieren? Hat die Menschenrechtsaktivistin mit den weißblonden Haaren, die ihren Mann in all den Jahren unterstützt, diese Strahlkraft? In Russland ist Widerstand und Meinungsäußerung sehr schwierig. Hunderte Menschen wurden in der vergangenen Woche allein deshalb verhaftet, weil sie Blumen für Nawalny niederlegten. Was die große Mehrheit in Russland über Julia Nawalnaja denkt, kann man nur mutmaßen. Doch bei den vielen Tausenden Russinnen und Russen im Exil, verstreut auf viele Länder, genießt Nawalnaja großes Ansehen.
Die 35-jährige Natalja Korotkova gehört dem Verein Russians e.V. mit Sitz in München an. Mit ihren Mitstreitern geht sie regelmäßig auf die Straße. Denn sie wollen klar zeigen, dass sie alle gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und gegen die Inhaftierung von Oppositionellen oder Kriegsgegnern sind. Stattdessen wollen sie Meinungsfreiheit, unabhängige Gerichte und echte Wahlen in Russland.
Jede öffentliche Kritik an Putin ist ein Risiko, auch hier in München
Jedem von ihnen ist bewusst, dass sie mit dieser öffentlichen Kritik, auch hier in München, dass sie mit jedem Post in den sozialen Medien, einiges riskieren, erklärt Natalja Korotkova. "Viele haben Eigentum oder Besitz, vieles, was sie mit dem Land verbindet und wenn sie sich öffentlich äußern oder öffentliche Aktivitäten beitreiben, so wie ich das zum Beispiel tue, dann kann es durchaus passieren, dass sie dann einfach alles verlieren." Viele hätten noch Familie in Russland und riskierten, dass dieser dann vor Ort in Russland nachgejagt werde.
Sowohl Alexej Nawalny, aber eben auch seine Frau stehen für diesen Mut, sich trotzdem nicht einschüchtern zu lassen, trotzdem Haltung zu zeigen. Dass Julia Nawalnaja sich bereit erklärt, all diese Gefahren auf sich zu nehmen, die Widerstand gegen das russische Regime bedeuten, gibt vielen kritisch Denkenden gerade jetzt die nötige Hoffnung.
Generation Nawalny
Natalia Korotkova erklärt die starke Verbindung so: "Wir sprechen von der Generation Nawalny, also von Menschen, die mit ihm als Galionsfigur der russischen Opposition aufgewachsen sind. Sein Engagement hat vielen geholfen, ein sogenanntes bürgerliches Bewusstsein zu erlangen. Viele stehen jetzt ohne diesen Lehrer da. Julia führt seine Sache weiter, aber nicht mehr als Lehrerin, sie ist ein Symbol, eine Widersacherin des Regimes, eine starke Frau, viele werden ihrer Sache folgen. Wir werden unser politisches Leben im Exil mit Julia und ihrem Team teilen."
Viele der Russen im Exil bewundern den Mut von Julia Nawalnaja, auch der 28 Jahre alte Jurist Mikhail Uvarov, der bei Berlin lebt. Er kannte Alexej Nawalny persönlich, hat jahrelang in seinem Team gearbeitet, das Korruption bei russischen Behörden aufgedeckt hat. Außerdem hat er einsitzende Mitstreiter vor Gericht verteidigt. Weil er weiß, dass auch ihm wegen all dem eine jahrelange Haft droht, wenn er in Putins Russland zurückkehren würde, setzt er jetzt seine ganze Hoffnung auf Julia Nawalnaja als neue Oppositionsführerin.
Zeit für eine Frau als Oppositionsführerin
Natürlich wisse man noch nicht, wie sie als politische Person agieren werde, das müsse man sehen. Aber sie sei eine starke Frau und er ergänzt: "Für die russische Politik ist es etwas Neues, dass eine Frau Oppositionsführerin ist. Denn in Russland gibt es nur sehr wenige Frauen in der Politik. Ich würde gerne eine Frau als Präsidentin Russlands sehen."
Julia Nawalnaja bekomme extrem viel Zuspruch auf allen sozialen Netzwerken – gerade auch von der Exil-Opposition. Und diese sei nicht zu unterschätzen, sagt Uvarov. Er selbst hat als politisch Verfolgter ein humanitäres Visum für Deutschland erhalten. In Deutschland, schätzt er, gibt es rund 2.000 weitere wie ihn.
Aber nicht nur hier gebe es eine große Diaspora, sondern auch in Frankreich oder in Georgien. Mehrere Tausend seien sie und sie alle seien vernetzt und hätten ein gemeinsames Ziel, Russland von außen zu verändern. Uvarov: "All diese Menschen vereinen sich aktiv, sie gründen verschiedene Organisationen, gemeinnützige Organisationen, Initiativen, und dementsprechend arbeiten sie daran, die Menschenrechte in Russland zu schützen, während sie im Ausland sind. Jemand gründet zum Beispiel einen neuen Info-Kanal oder neue Menschenrechtsprojekte, ein anderer sammelt Geld für Anwälte in Russland. Alle diese Leute, die im Exil sind, sind mit irgendetwas beschäftigt."
Verbunden in Gefahr und Hoffnung
Ihnen allen dürfte klar sein, dass sie mit jeder noch so kleinen Aktion ein Risiko eingehen, dass sie selbst oder ihre Verwandten in Russland dafür bestraft werden könnten. Gerade deshalb scheint für sie Julia Nawalnaja eine besondere Strahlkraft zu haben, weil sie den Preis, den man zahlen kann, ganz genau kennt und trotzdem nicht aufgibt.
Im Video: Botschaft von Julia Nawalnaja nach dem Tod ihres Mannes
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