Auf einen gerichtlichen Beschluss hin hat das Bayerische Landeskriminalamt monatelang Telefonate der Klimaaktivisten-Gruppe "Letzte Generation" abgehört. Darunter auch die Nummer der Aktivisten für Presseanfragen.
Gegen die Gruppe wird wegen des Anfangsverdachts der Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Wegen des Abhörens der Telefonate mit Journalisten gibt es heftige Kritik an den Behörden. Experten sehen die Pressefreiheit in Gefahr. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat nun auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks Stellung genommen. Dort hält man das Vorgehen der Behörden für verhältnismäßig.
- Zum Artikel: Abhörung von Aktivisten: "Klarer Eingriff in Pressefreiheit"
Journalisten von Abhöraktion betroffen
Wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft dem BR am Vormittag in einer schriftlichen Antwort bestätigte, hörte das Bayerische LKA im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen sieben Mitglieder des Klimabündnisses "Letzte Generation" tatsächlich auch Telefonate eines Teils dieser Beschuldigten ab. Das Amtsgericht München habe die Maßnahmen beschlossen und dabei den Anfangsverdacht der Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zugrunde gelegt.
Klarzustellen sei allerdings, dass diese Beschlüsse sich nicht gegen Journalistinnen oder Journalisten richteten. "Diese waren aufgrund von Anrufen über die überwachten Telefonnummern allerdings von den Maßnahmen betroffen", so die Generalstaatsanwaltschaft. Zunächst hatte die "Süddeutsche Zeitung" von der Abhöraktion berichtet.
Warum wurde der Pressekontakt der "Letzten Generation" überwacht?
Weil bei den überwachten Telefonanschlüssen auch Presseanfragen eingingen, sei vor und während der Abhöraktion die Verhältnismäßigkeit ständig geprüft worden. Die Generalstaatsanwaltschaft und das Amtsgericht München seien dabei zu der Auffassung gelangt, dass die Abhörmaßnahmen "vor dem Hintergrund des Tatvorwurfes der Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung als Straftat von erheblicher Bedeutung verhältnismäßig" gewesen seien. "Bei dieser Abwägung wurde der Verfassungsrang der Pressefreiheit selbstverständlich entsprechend gewichtet", so die Generalstaatsanwaltschaft.
Weitere Angaben könnten wegen der noch laufenden Ermittlungen derzeit nicht gemacht werden. Unklar bleibt, warum ausgerechnet die auf der Website der Aktivisten als Pressekontakt ausgewiesene Telefonnummer überwacht wurde. Auf die Frage, ob die Abhöraktion weiterlaufe, reagierte die Generalstaatsanwaltschaft nicht. Auch auf Fragen um Einsicht in den Beschluss des Amtsgerichts Münchens sowie die Ermittlungsvermerke wurde nicht reagiert.
Bei Abhören von Pressestellen werden Journalisten mit abgehört
Ob Rechtsanwälte, Mitglieder eines Parlaments, Journalisten oder Geistliche – sie alle haben eines gemeinsam: Sie zählen laut Strafprozessordnung zu den sogenannten Berufsgeheimnisträgern. Somit sind Journalisten bei der Beschaffung brisanter Informationen grundsätzlich geschützt. Dennoch sind Abhörmaßnahmen möglich, aber nur dann, wenn es um eine – Zitat - "Straftat von erheblicher Bedeutung" geht. Konkreter ist dieser Artikel 160a der Strafprozessordnung nicht formuliert, somit ist der Begriff "erhebliche Bedeutung" dehnbar.
Der in der Strafprozessordnung formulierte besondere Schutz bezieht sich auf Maßnahmen gegen Medienvertreter - wie etwa das Abhören von deren Telefonen. Aber auch die Pressestelle einer Organisation dürfte diesen presserechtlichen Schutz genießen. Denn in der Strafprozessordnung ist von Ermittlungsmaßnahmen die Rede, von der Berufsgeheimnisträger wie Journalisten betroffen wären. Da Pressestellen üblicherweise von Medienvertretern angerufen werden, wären sie von Abhörmaßnahmen ebenfalls betroffen - die "Letzte Generation" hat etwa Journalisten häufig kurz vor Aktionen über den jeweiligen Ort informiert.
Experten sehen Eingriffe in die Pressefreiheit
Der Landesvorsitzende des Bayerischen Journalistenverbandes (BJV), Harald Stocker, hatte gestern im Bayerischen Rundfunk Stellung genommen zu den Vorgängen. Stockers Auffassung nach war das Vorgehen der bayerischen Ermittlungsbehörden "ein ganz klarer Eingriff in die Pressefreiheit".
Journalisten seien Berufsgeheimnisträger, und der Journalismus stehe unter besonderem Schutz des Grundgesetzes, so Stocker im BR: "Wenn der Staat unsere Telefonate abhört mit der Idee, dass Menschen vielleicht Journalisten gegenüber offener sind, dann können wir unserer Aufgabe nicht mehr nachgehen." Denn viele Informanten und Whistleblower würden ihre Informationen nicht mehr an Journalisten geben, wenn sie Angst hätten, dass diese überwacht werden, erklärte der Landesvorsitzende im Bayerischen Journalistenverband.
Wer Pressekontaktnummer überwacht, überwacht Journalisten mit
Darüber hinaus habe der Bericht der ersten Abhörung schon ergeben, dass diese Telefonnummer nicht ergiebig sei. "Damit ist eigentlich der Beweis erbracht, dass die Abwägung zu keiner Zeit in die Richtung ausschlagen kann, dass man Journalisten mit abhört", fasst Stocker zusammen. "Das war in dem Fall ein ganz klarer Eingriff in die Pressefreiheit. Wir haben Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ersten Abhöraktion - wie gesagt, es kann immer sein, dass mal Journalistengespräche mit aufgezeichnet werden, die muss man dann halt löschen und darf sie auf keinen Fall dokumentieren und mit in die Unterlagen nehmen."
Ein klarer Angriff auf die Pressefreiheit liegt Stocker zufolge vor, wenn die eigenen Telefonnummern von Journalisten direkt abgehört werden. Andere Telefonnummern abzuhören, sei eine Abwägungsfrage. Aber wenn eine Nummer abgehört werde, die als Kontaktnummer für Journalisten ins Internet gestellt wurde, wie es hier der Fall gewesen sei, sei das ebenfalls ein Eingriff in die Pressefreiheit: "Wir müssen uns die Frage stellen, inwieweit der Schutz der Pressefreiheit gewährt ist, weil, wer will denn da anrufen, außer Journalisten?" Journalistengespräche dürften nicht aufgezeichnet und auf keinen Fall dokumentiert werden.
Medienanwältin bezweifelt Rechtmäßigkeit
Im Fall der "Letzten Generation" hat auch Renate Schmid, Anwältin für Medienrecht, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abhöraktion. "Möglicherweise haben die gar nicht abgewogen, und wenn sie abgewogen haben, dann wurde hier meiner Meinung nach eine falsche Abwägung getroffen", sagte sie im Gespräch mit dem BR. Schließlich sei die Pressefreiheit als hohes Gut im Grundgesetz verankert.
Journalisten hätten zudem ein in der Strafprozessordnung verankertes Recht auf Zeugnisverweigerung vor Gericht. Darum könne sie sich nicht vorstellen, dass im aktuellen Fall die Pressefreiheit zurücktreten müsse: "Für mich ist es ein klarer Eingriff in die Pressefreiheit", so Schmid.
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