Wer angesichts der aktuellen Wehrpflicht-Debatte etwas darüber lernen möchte, wie sehr der Wehrdienst das Land einst gespalten hat, der ist in einem Münchner Hinterhaus genau richtig. Eine Holztreppe führt hinauf in eine Wohnung. Die "Deutsche Friedensgesellschaft" nutzt sie als Büro. Flyer zeugen von Demos der Vergangenheit. In einem Regal steht ein Megafon. Ordner mit Zeitschriften der Friedensbewegung öffnen ein Zeitfenster in die Jugend von Thomas Rödl, Jahrgang 1955.
Häuserruinen in der Landeshauptstadt
Seine Generation habe noch mitbekommen, "was Krieg wirklich bedeutet", sagt er. Er spricht über ein München, in dem noch Trümmer liegen. Eine Stadt, in der Männer ohne Beine genauso dazugehören wie Veteranengespräche oder ein Loblied auf Adolf Hitler. Kurz: Der Zweite Weltkrieg ist präsent, als Rödl aufwächst.
Parallel rüstet Deutschland wieder auf. Und dann ist da der Krieg in Vietnam, der ihn als Jugendlichen politisiert: "In den Illustrierten hat man wöchentlich Bildberichte aus Vietnam gehabt. Mein Vater hat AFN-Nachrichten auf Englisch gehört und wir haben in der Familie über den Krieg geredet. Man verteidigt die Freiheit und so weiter – Quatsch!"
Gewissensprüfung im Kreiswehrersatzamt
Rödl wird zum erklärten Kriegsgegner. Er verweigert 1973. Das ist zwar damals wie heute ein Grundrecht. In den frühen 70ern aber ist es eine große Sache, wenn ein junger Mann nicht zur Bundeswehr will. Er muss das ausführlich begründen, schreibt "zwölf oder sogar 15 Seiten". Und er muss im Kreiswehrersatzamt vorsprechen – vor einer Kommission, die sein Gewissen prüfen soll.
Er erlebt das als Demütigung, empört sich noch heute darüber. Er muss sich Fragen gefallen lassen wie: 'Ein Bomber mit einer Atombombe fliegt auf München zu, Sie stehen an einem Flugabwehrgeschütz, was machen Sie?' Rödl sagte damals, er könnte das System ja gar nicht bedienen. Dennoch ist Rödl erfolgreich. Er verweigert und leistet Zivildienst. Später berät er viele Jahre lang andere Männer, die verweigern wollen. Doch das wird einfacher im Laufe der Zeit und die Nachfrage nach Beratungen sinkt.
Wehrpflichtaussetzung: Kein Grund zum Feiern
Vor 14 Jahren hat Rödl auch das vorläufige Ende der Wehrpflicht verfolgt. Ein Grund zum Feiern war das damals nicht für ihn. Schließlich lehnt er auch eine Berufsarmee ab.
Heute – wo kein junger Mann zur Bundeswehr muss – melden sich wieder Einzelne mit Fragen rund um die Verweigerung bei ihm. Grund sei die angespannte Sicherheitslage, die Angst vor einem Krieg sowie die Debatte über ein Comeback der Wehrpflicht in neuer Form. Rödl blickt mit großer Skepsis auf die Überlegungen. Rund 14 Jahre lang habe sich kein junger Mensch mit all diesen Fragen ernsthaft beschäftigen müssen. Er glaube nicht, dass viele bereit seien, etwas zu riskieren. Möglich, dass "die Null-Bock-Einstellung" wiederkomme, sagt Rödl. Mehrere Umfragen aus den vergangenen eineinhalb Jahren stützen diese These. Ihnen zufolge blicken Jüngere, für die eine Wehrpflicht gelten würde, skeptischer auf diese, als ältere Menschen in Deutschland.
Wenn Sie dieses Thema interessiert und Sie Thomas Rödl "näher kennenlernen" wollen, sollten Sie sich unbedingt die neue Staffel des BR-Podcasts "Die Entscheidung" anhören. Thematisiert wird, was sich durch das Aussetzen der Wehrpflicht vor rund 15 Jahren geändert hat und, ob junge Männer bald wieder zur Bundeswehr müssen. "Die Entscheidung" gibt es überall, wo Sie Podcasts hören. Zum Beispiel in der ARD-Audiothek.
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