Auf einem Laptop ist das Bild eines Sternenkinds zu sehen, das bei seiner Mutter auf der Brust liegt.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Ina Fassbender

Es gibt Fotografen, die ins Krankenhaus oder nach Hause kommt, damit die Eltern Fotos von ihren Sternenkindern als Erinnerung haben. (Symbolbild)

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Wenn die Hoffnung stirbt: Hilfe für Eltern von Sternenkindern

Schlagartig von Freude in tiefe Trauer: Rund 3.500 Babys sterben jährlich in Bayern während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt. Der Tod der Sternenkinder ist oft ein Tabuthema. Das wollen Selbsthilfegruppen ändern. Ein Beispiel aus Hof.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Monja Huber blättert durch ein Fotoalbum, lächelt beim Anblick der Fußabdrücke von ihren Zwillingen. Sie spenden Trost. Denn die beiden Mädchen haben auf ihren kleinen Füßchen niemals die Welt erkundet. Sie wurden in der 20. Schwangerschaftswoche geboren und starben viel zu früh. Sie sind "Sternenkinder". In der Klinik haben die Hebammen damals die bunten Fußabdrücke gemacht, die junge Mutter abgeschirmt von den anderen – glücklichen – Eltern auf der Entbindungsstation.

"Am Tag nach der Entbindung hat die Hebamme die zwei zu mir ins Zimmer gebracht, in einem Körbchen. Ich konnte sie berühren, fotografieren, Abschied nehmen von ihnen." Monja Huber

Sternenkinder sind immer Teil der Familie

In einer Selbsthilfegruppe fand sie damals wieder Kraft, Freude am Leben – inzwischen lebt sie mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Hof. Auch ihre "Sternenkinder" sind immer Teil der Familie. Im Herbst 2022 hat die Sozialpädagogin und systemische Familientherapeutin spontan mit einem Aufruf in den sozialen Medien die Selbsthilfegruppe "Sternenmamas Hof & Umgebung" gegründet. Und damit offenbar den Nerv von vielen Frauen getroffen. Schnell schlossen sich mehr als 100 Mütter an – sie sind zwischen Anfang 20 und Mitte 60 - haben ihre Kinder erst vor wenigen Wochen verloren oder schon vor Jahren, Jahrzehnten. Einige mussten diesen Schicksalsschlag mehrfach durchleben.

Manche Frauen werden zu Ausschabung gedrängt

Der Tod der Babys sei oft noch ein Tabuthema. Auch in den Krankenhäusern gebe es immer wieder Sprachlosigkeit. Es komme vor, dass die Frauen zu einer Ausschabung gedrängt werden und nicht gesagt werde, dass sie das verstorbene Kind auch noch einige Tage später entbinden können, so Monja Huber. Neben ihr sitzt Ilona Vielberth aus der Gruppe. Sie erzählt, dass sie ihr verstorbenes Kind nach der Entbindung nicht mehr sehen konnte, ein Gespräch gab es nicht.

Ähnliche traumatische Erfahrungen hat auch Santina D'Agosta in einer Kinderwunschklinik gemacht, als ihre Kinder in der 13. Schwangerschaftswoche verstorben sind: "Da wurde eigentlich nur vom nächsten Versuch gesprochen, dass wir es bald noch mal probieren sollen." Was die Fehlgeburt mit dem Körper und der Seele der Frauen mache, sei kein Thema gewesen. "Ich habe vieles eine lange Zeit verdrängt."

Betroffene fühlen sich häufig alleingelassen

Dass ein Kind während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder kurz danach verstirbt – das ist kein Einzelschicksal. Jede dritte Frau – so die bundesweite Statistik – ist betroffen. In Bayern lag nach Angaben des Gesundheitsministeriums die Zahl der Fehlgeburten – wenn das Kind bis zur 22. oder 23. Schwangerschaftswoche verstirbt – im Jahr 2021 bei 2.895 Fällen. Dazu kamen 2022 noch 474 Totgeburten – das entspreche einem Anteil von 0,38 Prozent bei insgesamt 124.897 Lebendgeborenen. Die Zahlen seien in den letzten Jahren relativ konstant gewesen, so das Gesundheitsministerium auf Anfrage von BR24.

Die betroffenen Frauen fühlen sich auch vom privaten Umfeld oft alleingelassen. "Viele haben mich behandelt wie ein rohes Ei, haben gar nicht geredet. Oder es kamen so Sprüche wie 'Du bist ja noch jung', oder 'Wer weiß, wofür es gut war, das Kind war doch bestimmt krank'", erinnert sich Ilona Vielberth. Was als Trost gemeint war, verstärke eher den Schmerz. Dabei ist Beistand für die Mütter – und auch Väter – so wichtig. Der Rat von Monja Huber: Einfach da sein für Eltern: "Einfach zuhören, bieten Sie Hilfe an, fragen Sie, was gewünscht ist. Und einfach auch sagen, dass die Worte fehlen."

Drei Frauen stehen an einem Tisch und unterhalten sich.
Bildrechte: BR
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Rund 3.500 Babys sterben jährlich in Bayern. Der Tod der Sternenkinder ist oft ein Tabuthema. Das wollen Selbsthilfegruppen ändern, auch in Hof.

Angebote häufig zu wenig bekannt

Einmal im Monat treffen sich immer zehn, fünfzehn Frauen der Selbsthilfegruppe zum Gespräch in Räumen des Vereins Familienzentrum Mütterclub Hof. Zur Trauerarbeit gehören zum Beispiel auch Entspannungskurse. Platz wäre auch für eine Väter-Gruppe, doch bislang hat auf dieses Angebot eines Sozialpädagogen, der selbst den Tod seines Kindes erlebt hat, nur ein Mann reagiert. "Wir können keine medizinische Beratung oder Therapie ersetzen, aber wir vermitteln gerne an die entsprechenden Stellen", betont Monja Huber.

Die Leiterin der Hofer Selbsthilfegruppe legt viel Wert auf ein starkes Netzwerk. Sie steht im Kontakt mit Frauenärzten, Kliniken, Schwangerenberatungen, dem Hospizverein, den Kirchen, einem Bestatter. Sie verteilt Flyer, bietet auch Fortbildungen für Mitarbeitende im Jugendamt und Kitas. Überall spüre sie Offenheit für die Situation der Frauen und Familien. Grundsätzlich gebe es in Bayern in viele Einrichtungen – aber oft sei deren Angebote immer noch zu wenig bekannt.

Um das Thema verstärkt in die Öffentlichkeit zu bringen, hat "Sternenmamas Hof & Umgebung" einen eigenen Instagram-Account. Dort erfährt man zum Beispiel mehr über die Petition für einen besseren Mutterschutz – denn bislang gilt der erst, wenn das Kind nach der 24. Schwangerschaftswoche oder ab einem Gewicht von 500 Gramm verstorben ist. Ansonsten müssen die Frauen eigentlich sofort wieder arbeiten. Auch dass die Mütter nach einer Fehl- oder Totgeburt von einer Hebamme begleitet werden können, sei wenig bekannt.

Särge, die kleiner sind als eine Männerhand

Ein weiteres Angebot der Selbsthilfegruppe: Es gibt eine Fotografin, die ins Krankenhaus oder nach Hause kommt, damit die Eltern einige Fotos von ihren Sternenkindern als Erinnerung haben. Auch bei den Bestattungen werden die Eltern unterstützt. Aus gespendeten Hochzeitsroben nähen Ehrenamtliche Kleidchen oder kleine Decken. Außerdem lässt Monja Huber extra kleine Särge anfertigen – mit diesem Wunsch ist sie bei Christian Schuster von der Geschäftsstelle Hof des Berufsförderungswerks Nürnberg sofort auf Unterstützung gestoßen.

"Da geht es nicht nur um die kleinen Menschen, die keine Chance hatten, sondern auch um die Eltern. Wir wollen sie in ihrer Trauerarbeit unterstützen". Zusammen mit seinem Team fertigt er kleine Särge, die zum Teil gerade mal zehn Zentimeter lang sind – kleiner als eine Männerhand.

Müttern wird der Zutritt zum Kreißsaal verwehrt

Für Familien ohne eigenes Grab gibt es auf dem Hofer Friedhof – wie in vielen anderen Städten – mehrmals im Jahr Sammelbestattungen, organisiert von der Klinikseelsorge mit einem Bestatter. An diesem Kindergrabfeld finden viele Frauen Trost. "Es ist so wichtig für die ganze Familie. Ich bringe auch immer meine kleine Tochter mit und erzähle ihr, dass hier ihre großen Schwestern liegen", erzählt Santina D'Agosta.

Beim Gang über den Friedhof werden immer wieder auch schmerzhafte Erinnerungen wach. Selbsthilfegruppen-Leiterin Monja Huber hört immer wieder, dass verschiedene Klinken den Frauen bei einer Geburt vor der 20. Schwangerschaftswoche den Zutritt zum Kreißsaal verwehren. Die Frauen müssten dann entweder allein auf der Toilette entbinden, mit einer Einhängeschüssel zum Auffangen. Oder im Krankenbett – während im Nachbarbett vielleicht gerade eine andere Mutter gleich mit ihrem Neugeborenen kuschelt. "Das ist furchtbar für alle. Das ist doch eine unwürdige Situation", kritisiert Monja Huber. Sie wünscht sich mehr Sensibilität für diese Frauen und ihre Familien – da gibt es noch viel zu tun.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!