Erst im Februar dieses Jahres hatten sich zwei junge Männer im Oberallgäu auf den Weg zum rund 1.800 Meter hoch liegenden Schrecksee gemacht. Die Tour bei Bad Hindelang ist bereits im Sommer anspruchsvoll, vom Winter ganz zu schweigen. Später stellte sich heraus: Die Männer hatten im Sommer ein Video gesehen und daraufhin den Beschluss gefasst, auf dem Schrecksee Schlittschuh zu laufen. Die Sache ging schief und die beiden mussten mit dem Hubschrauber gerettet werden.
Jeder Berg ist anders
Mit diesem Trend müssen sich vor allem Bergwachten und Notfallhelfer auseinandersetzen. Auf dem Allgäuer Bergrettungstag wurde klar, was es bedeutet, wenn zahlreiche Menschen nur aufgrund spektakulärer Fotos auf Instagram und Co. in die Berge aufbrechen. Die Bergretter stehen vor der Aufgabe, einerseits den "Spielplatz Alpen" abzusichern. Andererseits wollen sie nicht "die Kraftreserve der alpinen Selbstverwirklichung" sein, fasst Klaus Gruber, Regionalleiter der Bergwacht Chiemgau, die Stimmung zusammen.
Aus Sicht der Bergretter muss klar sein: Wer Wander- oder Klettertouren in den Bergen plant, darf nicht davon ausgehen, Verhältnisse wie in einer Turn- oder Kletterhalle vorzufinden, in der alles abgesichert ist. "Wenn ich einen Marathon in der Großstadt laufe und nach zehn Kilometern merke, das ist nichts für mich, dann höre ich auf und fahre mit der U-Bahn nach Hause", sagt Roland Ampenberger von der Bergwacht Bayern. In den Bergen sehe die Situation anders aus, etwa wenn die Zeit plötzlich knapp wird oder es kälter ist als erwartet und die passende Kleidung fehlt.
Nicht Können, sondern Fotos bestimmen das Ziel
Der "Global Travel Trend Report 2023", eine Studie von American Express, hat ergeben, dass knapp die Hälfte der Befragten ihre Reiseziele so auswählen, dass sie Fotos von dort in den sozialen Medien vorzeigen können. Drei Viertel der Reisenden suchten bei Instagram und Co. konkret nach Inspirationen für ihre nächste Reise.
Die Erfahrungswerte der Bergretter zeigen: Bergtouren werden oft unterschätzt und nicht wenige Menschen brauchen dann Hilfe, weil sie erschöpft oder überfordert sind und nicht mehr weiterkommen. "Es sind wahnsinnig viele, die nicht einschätzen können, was sie erwartet", sagt Martin Fiedermutz, Arzt am Zentrum für Gebirgsmedizin in Immenstadt. Seiner Beobachtung nach werden vor allem junge Leute durch soziale Medien regelrecht "angefixt".
Erhöhte Einsatzzahlen an Foto-Hotspots
Tatsache ist, dass immer mehr Menschen gerne in die Berge gehen, allerdings unterschiedlich gut ausgerüstet. Die Bergwachtstatistik besagt, dass sich die Zahl der Einsätze im Allgäu im Schnitt über die Jahre hinweg nicht signifikant nach oben verändert hat.
Sehr wohl aber an einzelnen Hotspots wie im Hintersteiner Tal. Die örtliche Bergwacht muss seit der Corona-Pandemie deutlich häufiger ausrücken, weil an sich unverletzte Menschen aus Angst keinen Schritt mehr weiter gehen können, sie sind blockiert. Auch der Schrecksee gehört dort zu den beliebten Fotomotiven.
Gewissenhafte Vorbereitung hilft
Riki Daurer, selbst begeisterte Bergsteigerin und Gründerin einer Online-Marketing-Agentur für Bergsport, will die sozialen Medien nicht generell verteufeln. Sie sieht auch die klassischen Medien in der Pflicht, aufzuklären und für Gefahren zu sensibilisieren.
Aus Sicht von Daniel Heim, Leiter der Allgäuer Bergwacht, gibt es bereits viele gute und leicht zugängliche Informationen zu aktuellen Wetter- und Bergverhältnissen, die sich jeder auch unbedingt vor einer Tour genau anschauen sollte. Und geht dann doch irgendwas schief – dann sind die Bergretter da, die aus der Klemme helfen. Sie betonen: Lieber zu früh anrufen, bevor es wirklich zu spät ist.
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