Sie fühle sich wie die NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl - mit diesem Vergleich hat eine junge Rednerin bei einer Querdenken-Demo in Hannover am Wochenende für Empörung gesorgt. Ein Twitter-Video, in dem diese Aussage dokumentiert ist, wurde bereits mehr als zwei Millionen mal geklickt.
In den Kommentarspalten zeigen sich noch immer unzählige Menschen fassungslos über diesen Vergleich. Auch Politiker und andere Prominente haben sich zu diesem Vorfall geäußert: "Das ist eine Schande! Die Verhöhnung der Opfer des Faschismus und Diffamierung der Widerstandskämpfer gegen das Naziregime dürfen wir auch politisch Verwirrten nicht durchgehen lassen!", twitterte zum Beispiel der SPD-Politiker Ralf Stegner. Und Bundesaußenminister Heiko Maas teilte mit: "Das verharmlost den Holocaust und zeigt eine unerträgliche Geschichtsvergessenheit. Nichts verbindet Coronaproteste mit Widerstandskämpfer*Innen. Nichts!"
Wofür haben Sophie Scholl und die anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" gekämpft und was mussten sie erleiden?
"So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen"
Vor fast 78 Jahren, am 18. Februar 1943, wurden führende Mitglieder der "Weißen Rose" nach einer Flugblattaktion an der Münchner Universität verhaftet und vier Tage später hingerichtet. Unter ihnen Sophie und Hans Scholl. Die Geschwister gelten heute als wichtigste Persönlichkeiten im deutschen Widerstand gegen das totalitäre NS-Regime.
"So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir es damit schaffen, Tausende von Menschen aufzurütteln und wachzurütteln", lauten die vielzitierten letzten Aufzeichnungen von Sophie Magdalena Scholl, niedergeschrieben am 22. Februar 1943 - am Tage ihrer Hinrichtung.
Der Scharfrichter Johann Reichhart sagte später, dass er noch nie jemanden gesehen habe, der so tapfer war wie Sophie Scholl. Wie aus dem Vernehmungsprotokoll der Gestapo bis heute ersichtlich ist, hat die 21-jährige Studentin bis zuletzt niemanden verraten und die anderen Mitglieder der "Weißen Rose" geschützt, indem sie sich und ihren Bruder Hans als die Hauptakteure der Widerstandsbewegung darstellte.
Erste Zweifel, während die anderen mitlaufen
Sophie und Hans Scholl stammen aus einer kinderreichen Familie aus Baden-Württemberg. Die Beschäftigung mit Literatur, Kunst, Musik und Religion spielt in ihrem Elternhaus eine große Rolle. Auch später in ihren Flugblättern berufen sich die Geschwister immer wieder auf humanistische Ideale und christliche Grundwerte.
Als ab Dezember 1936 fast alle Jugendlichen in Deutschland (etwa 98 Prozent) durch das "Reichsjugendgesetz" in der Hitlerjugend zusammengefasst werden, wird auch Hans Scholl Hitlerjugend-Leiter. Doch während die anderen den "Führer" verehren, kommen den Geschwistern erste Zweifel. Zufällig haben sie von einer Bekannten der Mutter von dem Euthanasie-Programm der Nazis erfahren, sie wissen auch bald von den Verfolgungen jüdischer Familien aus der Umgebung. "Wir waren einfach zu gescheit, dem ganzen entwachsen. Wir waren den meisten überlegen, die uns vorgesetzt waren", erinnerte sich Sophie Scholls ehemalige Freundin Susanne Zeller-Hirzel in einem Interview.
Der anfängliche Zweifel wird bald zur Rebellion. Schließlich fliegen Sophie und ihre Schwestern aus der "Hitlerjugend". Ihre Mutter sagt, dass sie Angst habe, Sophie könne die Familie ins Unglück stürzen. Sie rede immer zu offen.
Ein politisch engagierter Freundeskreis wird zur Widerstandsgruppe
Als Hans dann in München studieren darf, geht auch Sophie in die bayerische Landeshauptstadt. Sie schreibt sich an der Ludwig-Maximilians-Universität für die Fächer Biologie und Philosophie ein, in den Semesterferien muss sie in der Rüstungsproduktion in einem Ulmer Betrieb arbeiten.
Ihr Bruder Hans, der Medizin studiert, lernt an der Uni Alexander Schmorell kennen. Sie verstehen sich auf Anhieb, haben gleiche Ideale und Visionen. Später kommen noch Christoph Probst und die Geschwister Willi und Anneliese Graf dazu. Ein politisch engagierter Freundeskreis wird zu einer aktiven Widerstandsgruppe.
Im Sommer 1942 verfassen Alexander Schmorell und Hans Scholl vier "Flugblätter der Weißen Rose". Dank zahlreicher Unterstützer drucken und verschicken sie die Blätter auch an Intellektuelle rund um München, Hans' jüngere Schwester Sophie hilft ebenfalls dabei mit. Nach und nach weitet die "Weiße Rose" ihren Widerstand aus. Die Gruppe druckt immer höheren Auflagen, die Flugschriften gelangen nach Köln, Stuttgart, Berlin und Wien.
Vision von einem geeinten Europa
Im fünften Flugblatt fordert Hans Scholl ein Ende des Krieges. Und er entwickelt eine Vision: ein demokratisches Deutschland in einem geeinten Europa. Im Dezember 1942 ziehen die Mitglieder der "Weißen Rose" Professor Kurt Huber ins Vertrauen. Er verfasst das sechste und letzte Flugblatt: ein Aufruf zum Aufstand der Jugend gegen Hitlers Diktatur. Huber fordert die Studenten auf, das NS-Regime zu stürzen und ein "neues geistiges Europa" zu errichten.
Was die Widerstandsgruppe allerdings nicht weiß: Zu diesem Zeitpunkt vermutet die Gestapo die Autoren der Flugblätter bereits in Münchner Studentenkreisen, denn auch auf Hauswänden und am Gebäude der Universität sind Parolen wie "Freiheit!" und "Nieder mit Hitler!" zu lesen. Ab Januar 1943 setzt die Gestapo deshalb eine Sonderkommission ein.
Das letzte Flugblatt der "Weißen Rose"
Am 18. Februar 1943 verteilen Sophie und Hans Scholl zum letzten Mal Flugblätter an der Münchner Uni. In ihren Taschen befinden sich hunderte Blätter. Als sie schon beim Hinterausgang an der Amalienstraße sind, kehrt Sophie gegen 11.15 Uhr noch einmal um und versetzt dem zuvor an der obersten Brüstung ausgelegten Stapel einen Stoß. Die Blätter fliegen vom zweiten Stock in den Lichthof der Universität.
Der Hausmeister Jakob Schmid sieht die Aktion zufällig - und verrät die Geschwister.
Vier Tage nach der Flugblatt-Aktion wird Sophie Scholl hingerichtet
Unter den Freunden von Hans und Sophie, die noch am 18. Februar 1943 von der Gestapo verhaftet werden, sind auch die Geschwister Willi und Anneliese Graf. Hans Scholl hat bei seiner Festnahme einen Flugblattentwurf von Christoph Probst dabei, so dass auch dieser festgenommen wird. Die Gestaop lässt weitere Mitglieder der "Weißen Rose", auch in anderen Städten, verhaften. Familienangehörige kommen in "Sippenhaft".
Nur vier Tage später, am 22. Februar 1943, werden Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst vom Volksgerichtshof unter Vorsitz von Roland Freiser zum Tode verurteilt und noch am selben Tag im Gefängnis München-Stadelheim von Scharfrichter Johann Reichhart hingerichtet.
Kurt Huber, Willi Graf und Alexander Schmorell werden am 19. April 1943 in einem zweiten Prozess vor dem Volksgerichtshof ebenfalls zum Tode verurteilt. Kurt Huber und Alexander Schmorell sterben am 13. Juli 1943 im Gefängnis München-Stadelheim, die Hinrichtung Willi Grafs erfolgt am 12. Oktober 1943, nachdem die Gestapo über Monate hinweg versucht hat, aus ihm Namen aus dem weiteren Umfeld der Widerstandsgruppe herauszupressen.
Hausmeister: Man habe ja nur "seine Pflicht getan"
Durch Helmuth James Graf von Moltke, Begründer der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis, gelangte das letzte Flugblatt nach Großbritannien. Dort wurde es im Herbst 1943 nachgedruckt, von britischen Flugzeugen über Deutschland abgeworfen und durch den Sender BBC verbreitet.
Der Hausmeister Jakob Schmid, der Sophie Scholl verriet, erhielt eine Belohnung von 3.000 Reichsmark. Am 11. Mai 1945, drei Tage nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, wurde Schmid von den US-Amerikanern verhaftet und von der Münchner Spruchkammer zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt. Da er damit auch seinen Anspruch auf öffentliche Bezüge verlor, legte er dagegen zweimal Berufung ein - erfolglos. Seine Begründung: er habe lediglich seine Pflicht getan.
💡 Kurzinfo zu den Geschwistern Scholl
Sophie Scholl wurde 1921 geboren, ihr älterer Bruder Hans 1918. Zusammen mit vier weiteren Geschwistern wuchsen sie in Baden-Württemberg auf. Sophie und Hans Scholl waren Gründungsmitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nach einer Flugblattaktion gegen den Krieg und die Herrschaft des NS-Regimes wurden die Geschwister am 18. Februar 1943 verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und vier Tage später, am 22. Februar 1943, hingerichtet.
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