München: Ein Zug der S-Bahn München fährt an der Baustelle der zweiten S-Bahn-Stammstrecke entlang.
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S-Bahn in München

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BR24live: Kostenexplosion bei 2. Stammstrecke - Wer ist schuld?

Nach dem Spitzengespräch zur zweiten Stammstrecke ist klar: Sie wird teurer und kommt später. Kosten von sieben statt knapp vier Milliarden Euro, erst 2035 soll sie fertig sein. Der Verkehrsausschuss will wissen, wer schuld ist.

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Als Ministerpräsident Markus Söder vor eineinhalb Wochen zusammen mit Bauminister Christian Bernreiter (beide CSU) und Bahn-Chef Richard Lutz vor die Presse trat, betonte er eines: Der Freistaat plane und baue nicht, Bayern zahle nur. Übersetzt: Der Freistaat ist nicht schuld daran, dass die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München deutlich später kommt und fast doppelt so teuer wird. Dabei hatte die Staatsregierung durchaus Möglichkeiten durchzugreifen, sagen Experten.

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Experten: Freistaat hätte in Stammstrecken-Planung eingreifen können

"Grundsätzlich sollten dem Auftraggeber eingetretene Kostenerhöhungen mitgeteilt werden", sagt etwa Wulf Hahn, Geschäftsführer der Fachagentur für Stadt-, Verkehrs-, Umwelt - und Landschaftsplanung RegioConsult. Die Agentur berät Kommunen, Initiativen und Unternehmen bei diversen Verkehrsprojekten. "Die ausführenden Unternehmen müssen außerdem Sachstandsberichte senden." Der Auftraggeber habe dann jederzeit die Möglichkeit, sich mit dem Unternehmen zusammenzusetzen und zu überlegen, was getan werden kann, um die Kosten zu reduzieren oder die Bauzeit zu verkürzen.

Ähnlich äußert sich auch Volker Wittberg. Er ist Prorektor an der Fachhochschule des Mittelstandes und beschäftigt sich unter anderem mit der Handwerkswirtschaft. Wenn es Planänderungen gebe, dann würde der Auftraggeber informiert. "Als Erstes muss man dann fragen: Wem ist es anzulasten, dass es länger dauert oder teurer wird?"

Wenn es sich um einen Ausführungsfehler handele, dann würde das ausführende Unternehmen das wirtschaftliche Risiko tragen. Liegt der Fehler aber in der Planung, dann müsse eine politische Aktion folgen. Volker Wittberg beschreibt dann drei Handlungsmöglichkeiten: Eine Regierung könne sagen, das Projekt sei so wichtig, dass sie es auch teurer oder länger bauen lässt. Sie kann das Projekt absagen. Oder sie kann mit allen Beteiligten darüber sprechen, ob gekürzt werden kann oder das Projekt auf eine andere Weise beschleunigt werden kann. Im Fall der zweiten Stammstrecke gilt der Freistaat als Auftraggeber, da er sich 2016 öffentlich als erster Partner für das Projekt verbürgt hat. Eine Beschleunigung hat es aber nicht gegeben.

Bahn legte Staatsregierung 2020 Plan zur Beschleunigung vor

Mittlerweile ist bekannt: Im September 2020 hatte sich die Deutsche Bahn an die Staatsregierung gewendet. Aus ihrer Präsentation kann man schließen, dass es deutlich länger dauern wird, bis die zweite Stammstrecke in Betrieb genommen werden kann. Außerdem schlägt die Bahn mehrere Maßnahmen vor, mit denen der Prozess beschleunigt werden kann, insgesamt um zwei Jahre. BR24 konnte die Präsentation einsehen. Darin schlägt die Bahn zum Beispiel vor, auf der Baustelle in einem 24/7-Schichtbetrieb zu arbeiten. Bis zu neun Monate sollten allein auf diese Weise gespart werden.

Es wird aber auch angeführt, dass dadurch Mehrkosten entstehen könnten und die Machbarkeit untersucht werden müsste. Auch bei der Tunnelbohrung und beim Abtransport von Baumaterial werden Änderungen vorgeschlagen – und schnellere Genehmigungen durch eine gemeinsame Projektleitung zu den Planungen rund um den Hauptbahnhof. Beteiligt wären dabei der Freistaat und die Landeshauptstadt München. Der damalige Bahn-Vorstand Ronald Pofalla zog die Vorschläge jedoch wenige Tage später zurück. Aus welchem Grund? Auch das will der Verkehrsausschuss wissen.

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Wie hätte Kostenexplosion verhindert werden können?

Im Gremium sollen Bauminister Bernreiter und der Bahn-Vorstand für Infrastruktur, Berthold Huber, den Abgeordneten nun Rede und Antwort stehen. Wer wusste zu welchem Zeitpunkt von der Kostenexplosion? Wieso gab es keinen runden Tisch zwischen Freistaat, Bahn und Stadt München zu einem früheren Zeitpunkt? Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses und Fachsprecher der FDP-Fraktion Sebastian Körber will auch wissen: "Warum wurde nicht früher gespart und teure Zusatzwünsche weggelassen?"

Ein Aspekt, der das Projekt teurer und komplizierter macht, ist etwa die neue U-Bahnlinie U9. Ferner will der FDP-Verkehrspolitiker wissen, welche Funktion die fünf vom Verkehrsministerium beauftragten Ingenieure hatten. Sie wurden Ministerium dafür bezahlt, Verlauf und Kosten der zweiten Stammstrecke im Blick zu behalten, so Körber. Er fragt: "Was hat eigentlich die beauftragte Baubegleitung gemacht? Waren sie im Austausch mit der Bahn oder haben sie in einem eigenen Universum gearbeitet?"

FDP droht mit Untersuchungsausschuss

Die Ingenieure hätten laut Körber 4,6 Millionen für ihre Dienste über die Jahre erhalten. Körber erwartet volle Transparenz seitens des Ministeriums – aber auch von der Bahn. So stelle sich die Frage, warum der Staatskonzern wirklich drei Jahre lang keine konkreten Zahlen für das Gesamtprojekt vorgelegt habe, wie zuletzt von der Staatsregierung kommuniziert. Der FDP-Abgeordnete kündigt an: "Das ist die letzte Chance der Staatsregierung, endlich für Klarheit beim Thema Stammstrecke zu sorgen. Andernfalls muss sie mit parlamentarischen Mitteln, gegebenenfalls auch einem Untersuchungsausschuss rechnen."

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