Attentäter von Halle feuert mit einer selbstgebauten Waffe.
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Attentäter von Halle feuert mit einer selbstgebauten Waffe.

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2019 – das Jahr des Rechtsextremismus

Christchurch, der Lübcke-Mord und der Anschlag von Halle: Drei Ereignisse, die 2019 den Rechtsextremismus weltweit und besonders in Deutschland in den Fokus gerückt haben. Ein Jahresrückblick nach rechtsaußen.

Neues Jahr, neue Lage beim Verfassungsschutz: Die radikalen AfD-Gruppierungen "Flügel" und Junge Alternative gelten als "Verdachtsfälle". Damit kann die Behörde personenbezogene Daten der Mitglieder speichern sowie V-Leute und andere nachrichtendienstliche Mittel einsetzen. Dass der Verfassungsschutz die Gesamtpartei öffentlich als "Prüffall" bezeichnete, hält vor Gericht nicht stand. Die AfD hatte erfolgreich geklagt.

Fackelmarsch auf dem Zeppelinfeld

Im Februar posiert eine Neonazi-Gruppe an der ehemaligen Rednertribüne auf dem Nürnberger Zeppelinfeld. Eine bewusste Provokation: In den 1930er-Jahren sprach dort Adolf Hitler vor den Reichsparteitagen der NSDAP. Die Gruppe inszeniert sich mit einem Fackelmarsch und stellt ein Video von der Aktion ins Netz. Die Aktivisten kommen aus dem Umfeld der NPD. Im April ergeben BR-Recherchen: Einer von ihnen war damals Mitglied der CSU. Die Partei schloss den Mann aus.

"Wir sehen uns in Walhalla"

Im März tötet ein Rechtsterrorist im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen und verletzt 50 weitere schwer. Er überfällt zwei Moscheen und streamt seine Tat zeitgleich im Netz. Teil des obszönen Propaganda-Feldzugs ist eine 74-seitige "Begründung", die ebenfalls online abrufbar war. Überschrieben ist das Dokument des Hasses mit "Der große Austausch“. Gemeint ist die auch bei der Identitären Bewegung in Deutschland verbreitete Verschwörungstheorie, westliche Regierungen vertrieben die "angestammte" Bevölkerung durch Zuwanderung.

Todesschüsse auf der Terrasse

Anfang Juni wird der CDU-Politiker Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses bei Kassel mit einem Kopfschuss getötet. Der Generalbundesanwalt geht schnell von einem rechtsextremen Hintergrund aus. Zwei Wochen nach der Tat nimmt die Polizei den Hauptverdächtigen Stephan E. fest. Er gesteht zunächst, widerruft seine Aussagen aber später. Ihm wird Mord vorgeworfen. Stephan E. war viele Jahre in der rechtsextremen Szene in Hessen aktiv.

Blutbad im Supermarkt

Anfang August erschießt ein mutmaßlicher Rechtsextremist 22 Menschen im texanischen El Paso an der Grenze zu Mexiko. Er dringt in einen der meistbesuchten Supermärkte der USA ein und eröffnete das Feuer. Vor der Attacke veröffentlichte der 21-Jährige auf der Internetplattform 8chan ein Manifest gegen Einwanderer aus Lateinamerika. Das Blutbad entfacht eine Debatte über die einwanderungsfeindliche Rhetorik von US-Präsident Donald Trump - und stößt eine erneute Debatte über das Waffenrecht in den USA an.

Europol warnt

Im September weist die Polizeiagentur Europol in einem vertraulichen Papier darauf hin, dass die Zahl der Verhaftungen im Zusammenhang mit rechtem Terrorismus in Europa in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich und signifikant gestiegen sei: von zwölf Festnahmen im Jahr 2016 auf 44 im Jahr 2018. Eine wichtige Rolle spielen laut Europol Kampfsportveranstaltungen. Der bayerische Verfassungsschutz geht davon aus, dass Rechtsextremisten "im mittleren zweistelligen Bereich" in Bayern Kampfsport betreiben – bei wachsendem Interesse. Behörden und Experten sind sich einig: In der rechten Szene gilt Kampfsport als Möglichkeit, sich für den angeblich bevorstehenden "Kulturkampf", den sogenannten "Tag X" vorzubereiten.

Halle und der globalisierte Netzterror

"Alle Waffen haben versagt", schimpft der Attentäter von Halle in dem Video, das er per Helmkamera während der Tat ins Internet streamt. Da hat er bereits zwei Menschen erschossen. Das Versagen der Waffen aus dem 3D-Drucker verhindert, dass Anfang Oktober noch mehr Menschen sterben müssen. Dem antisemitischen Attentäter gelingt es nicht, während eines Gottesdienstes in die Synagoge der Stadt einzudringen. Der Anschlag ist die Terror-Blaupause einer radikalisierten Internet-Subkultur. Der Terror als Highscore-Jagd: Ein schales Licht fällt auf die Gamer-Szene.

"Geistige Brandstifter"

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mahnt nach dem tödlichen Angriff eine politische Auseinandersetzung mit dem zunehmenden Antisemitismus in Deutschland an. "Das eine sind diese schrecklichen Gewalttäter, wo wir bestmöglich davor geschützt sein müssen oder versuchen müssen, sie rechtzeitig zu erkennen", sagt er im BR-Interview. Das andere seien die "geistigen Brandstifter": "Da sind leider auch gerade einige Vertreter der AfD in sehr unverschämter Weise in den letzten Jahren immer mehr aufgefallen."

Rechtsextremistische Listen

Halle holt erneut die Rolle des Internets bei der Verbreitung rechtsextremistischer Propaganda in den Fokus. In Deutschland laufen die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden oft ins Leere. Eine antisemitische Plattform listet zum Beispiel die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde für München und Oberbayern, Charlotte Knobloch – markiert mit einem Davidstern. Knobloch erstattet im Oktober Anzeige, die Staatsanwaltschaft ermittelt wochenlang. Einen Täter findet sie in den Abgründen des World Wide Web nicht.

Uniter und der "Tag X"

"Wenn wir über Extremisten in der Bundeswehr reden, kommen wir an Uniter nicht vorbei" – Worte des SPD-Politikers Uli Grötsch, Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium. Der Verein Uniter: Möglicherweise haben dort 2.000 aktive oder ehemalige Angehörige der Spezialkräfte im Heer, der Polizei und Mitarbeiter anderer Sicherheitsbehörden mitgemacht. BR-Recherchen ergeben Ende Oktober: Einige von ihnen bereiten sich auf den "Tag X" vor – und horten Waffen und Munition.

Morddrohungen und Hassbotschaften

Joe Kaeser, Uli Grötsch, Cem Özdemir, Claudia Roth, Mike Mohring sind nur fünf Beispiele: Rechtsextremisten bedrohen Politiker, Exponenten der Wirtschaft und Gesellschaft mit dem Tod. Nicht erst seit dem Mord an Walter Lübcke eine ernstzunehmende Gefahr. Im November schnürt die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket gegen Hetze und Rechtsextremismus im Internet. Soziale Netzwerke sollen Morddrohungen und Volksverhetzung dem Bundeskriminalamt verpflichtend melden. Zudem will der Bund das Strafgesetzbuch um Regelungen zur Hasskriminalität ergänzen.