40 Tage nach dem Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini haben Gegner des politischen Systems im Iran erneut zu Protesten aufgerufen. "Es ist keine Zeit für Trauer, sondern für Wut", hieß es auf einem im Netz geteilten Protestaufruf. Im schiitischen Iran wird nach dem Tod eines Familienmitglieds traditionell 40 Tage lang getrauert. Für den Mittwoch ist trotz der staatlichen Gewalt mit bislang mehr als 140 getöteten Demonstrierenden mit landesweiten Protesten zu rechnen. Auf Twitter waren Proteste in Saqqez, der Heimatstadt von Amini zu sehen.
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Studierenden-Proteste an mehreren Universitäten
Auch am Dienstag hatte es Proteste gegeben. "Ein Student mag sterben, aber er akzeptiert keine Demütigung", skandierten Studierende der Schahid Tschamran Universität in Ahvas im Südwesten des Landes in einem von der Nachrichtenagentur AFP verifizierten Online-Video. Weitere Online-Videos zeigten Protestierende an der Beheschti Universität und der Chaje Nasir Toosi Universität in Teheran. Auf weiteren Videos, die im Onlinedienst Twitter geteilt wurden, skandierten Frauen auf Rolltreppen in Teheraner U-Bahn-Stationen Parolen wie "Tod dem Diktator" und "Tod den Revolutionsgarden".
Familie von Jina Mahsa Amini unter Druck der Behörden
Die Proteste erfolgten einen Tag vor Ablauf der 40-tägigen Trauerzeit für Mahsa Amini. Die 22-jährige Kurdin war am 16. September in Teheran in Gewahrsam der sogenannten Sittenpolizei gestorben, nachdem sie wegen des Vorwurfs festgenommen worden war, ihr islamisches Kopftuch nicht den Vorschriften entsprechend getragen zu haben.
Der Tod Aminis war der Auslöser für die seither im Iran andauernde massive Protestbewegung, die sich gegen die Regierung in Teheran richtet. In einer am Dienstagabend von der staatlichen Nachrichtenagentur Irna veröffentlichten Erklärung kündigte Aminis Familie an, dass es "in Anbetracht der Umstände und um unglückliche Probleme zu vermeiden, keine Zeremonie" geben werde, "die den 40. Tag (nach dem Tod) unseres Lieblings markiert".
Aktivisten zufolge warnten Sicherheitsdienste Aminis Familie davor, an diesem Tag in der Provinz Kurdistan eine Zeremonie abzuhalten und die Menschen zu bitten, das Grab ihrer Tochter zu besuchen. Der Familie sei gedroht worden, dass sie sich andernfalls "um das Leben ihres Sohnes sorgen" müsse, hieß es.
Katastrophale Menschenrechtslage im Iran
Am Montag waren Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Schülerinnen in Teheran vorgegangen. "Schülerinnen des Sadr-Gymnasiums in Teheran wurden angegriffen, einer Leibesvisitation unterzogen und verprügelt", meldete der Online-Kanal 1500tasvir, der regelmäßig über die Proteste und die Polizeigewalt im Iran berichtet. Mindestens eine Schülerin wurde laut 1500tasvir ins Krankenhaus eingeliefert. Später hätten die Eltern vor der Schule protestiert. Nach Aussage des Staatsanwalts von Teheran, Ali Salehi, droht einem Teil der Demonstranten sogar die Todesstrafe.
Nach Angaben der in Oslo ansässigen Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) wurden bei den Versuchen der iranischen Sicherheitskräfte, die landesweite Protestwelle niederzuschlagen, bislang mehr als 141 Demonstranten getötet, darunter zahlreiche Kinder. Tausende Protestierende wurden demnach festgenommen. Nach Angaben von Staatsmedien sind bisher Hunderte Menschen angeklagt worden. In der Hauptstadt Teheran sollen 315 Demonstranten wegen "Versammlung und Absprache gegen die Sicherheit des Landes" sowie "Propaganda" gegen die staatlichen Autoritäten und "Störung der öffentlichen Ordnung" vor Gericht gestellt werden.
Friedensnobelpreisträgerin Ebadi erneuert Auftrag an Baerbock
Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi sieht in den Protesten in ihrer Heimat Iran den Beginn einer Revolution. "Wenn Großeltern, Eltern und die Enkelkinder nebeneinander marschieren: Das zeigt doch, dass alle unzufrieden sind", sagte sie der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwoch). Anders als bei der "Islamischen Revolution" 1979, die sie zunächst auch "naiv" unterstützt habe, sei das Wissen der Menschen etwa durch Internet und Soziale Medien heute sehr viel größer. "Aber soziale Dynamiken lassen sich nur schwer prognostizieren, man kann nur Vermutungen anstellen. Und meine ist, dass am Ende ein säkularer demokratischer Staat stehen wird", so die Menschenrechtlerin.
Derzeit sei der iranische Staat so schwach wie nie, das System habe sich letztlich selbst erledigt. "Die Menschen sehen, dass keinerlei Konzessionen, keinerlei Reformen zu erwarten sind. Es hilft nur eine Revolution", sagte Ebadi. An Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) appellierte sie erneut, als ersten Schritt den iranischen Botschafter auszuweisen und den deutschen aus Teheran abzuziehen. "So könnte Baerbock sehr schnell beweisen, dass sie eine feministische Außenpolitik anstrebt."
Mit Informationen von AFP und dpa.