Die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus der afghanischen Hauptstadt Kabul hat begonnen. In der Nacht landeten nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur 40 Mitarbeiter der deutschen Botschaft mit einem US-Flugzeug in Doha im Golfemirat Katar. An Bord der Maschine seien auch vier Angehörige der Schweizer Vertretung in Afghanistan gewesen.
Auch die Bundeswehr ist inzwischen mit zwei Transportflugzeug auf dem Weg nach Kabul. Am niedersächsischen Fliegerhorst in Wunstorf startete am Montagmorgen eine Maschine des Typs A400M. Mittlerweile ist laut einem Luftwaffensprecher ein zweites Transportflugzeug gestartet. Es soll deutsche Staatsbürger und afghanische Helfer ausfliegen.
Bundesaußenminister Heiko Maas hatte ein Ausfliegen erster Botschaftsangehöriger aus Afghanistan noch am Sonntag angekündigt. "Wir setzen alles daran, unseren Staatsangehörigen und unseren ehemaligen Ortskräften eine Ausreise in den kommenden Tagen zu ermöglichen", erklärte Maas. "Die Umstände, unter denen das stattfinden kann, sind aber derzeit schwer vorherzusehen."
Kramp-Karrenbauer: Gefährlicher Einsatz
Die Bundeswehr schickt Transportflugzeuge vom Typ A400M vom Militärflughafen Wunstorf nach Kabul, wie Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) mitteilte. Von dort würden die Maschinen die deutschen Bürger in ein "Drittland" ausfliegen. Die Geretteten würden dann von diesem Drittstaat aus mit zivilen Flugzeugen nach Deutschland gebracht.
Ziel sei es, "dass wir - solange es die Möglichkeiten vor Ort erlauben - so viele Menschen wie möglich aus Afghanistan rausbringen werden", so Kramp-Karrenbauer. Auch afghanische Ortskräfte, die früher für die Bundeswehr oder Bundesministerien gearbeitet haben oder jetzt noch arbeiten, sollten nach Deutschland gebracht werden.
Abgesichert werde die Mission von der Division Schnelle Kräfte, einer Spezialeinheit der Bundeswehr, die für Evakuierungen ausgebildet ist. "Wir sind auf alle Szenarien eingerichtet", betonte Kramp-Karrenbauer. "Es ist ein gefährlicher Einsatz, in den wir sie jetzt schicken."
Deutsche Botschaft in Kabul geschlossen
Die radikal-islamischen Taliban drangen am Sonntag nach Kabul vor. Das afghanische Innenministerium kündigte eine friedliche Machtübergabe an. Deutschland hat derweil seine Botschaft in Afghanistan in Kabul geschlossen und das Personal zum militärischen Teil des Flughafens in der afghanischen Hauptstadt verlegt. Das teilte Außenminister Maas auf Twitter mit. "Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort inzwischen eingetroffen und stellen ihre Arbeitsfähigkeit her", erklärte er.
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in der ARD, es gehe jetzt um Tempo. "Wir müssen schnell handeln." Dies sei auch möglich. Alle Dinge seien "auf den Weg gebracht".
CDU-Chef Armin Laschet forderte erneut die sofortige Rettung von langjährigen "Helfenden und Unterstützenden" aus Afghanistan. "Wir dürfen sie nicht im Stich lassen", schrieb der Unions-Kanzlerkandidat der "Bild"-Zeitung zufolge in einem "Afghanistan-Plan". Zusätzlich solle Deutschland sich bereit erklären, als Soforthilfe gefährdete Frauen und ihre Familienangehörigen vor dem Tod zu retten und aufzunehmen.
Opposition kritisiert verspätete Reaktion der Bundesregierung
Die Opposition hat die Evakuierungsaktion der Bundesregierung mit scharfen Worten kritisiert. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sprach von einem beispiellosem Versagen der Bundesregierung und einem Desaster mit Ansage. "Viel zu lange hat die Bundesregierung die Augen vor der Realität verschlossen", kritisierte auch die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, in der "Süddeutschen Zeitung". Das räche sich jetzt. Die Regierung müsse nun alles unternehmen, um Leben zu retten, auch mit Hilfe der Bundeswehr. Bedroht seien neben Botschaftsangehörigen und Ortskräften auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Frauenrechtlerinnen.
Die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Strack-Zimmermann, sagte im BR, die Aktion laufe viel zu langsam und komme zu spät. Ihre Partei habe jahrelang eine Exit-Strategie von der Bundesregierung gefordert, die sei aber nie gekommen. Der deutsche Verein "Patenschaftsnetzwerk", der sich für die Ortskräfte in Afghanistan einsetzt, befürchtet, dass für rund 7.000 Bundeswehr-Helfer und ihre Familien die Rettung vor den Taliban zu spät kommt. Mehr als 70 Staaten haben an die Führung in Afghanistan appelliert, Afghanen und Ausländern eine Ausreise zu ermöglichen.
Deutsche Botschaft hatte wohl vergeblich gewarnt
Die deutsche Botschaft in Kabul hatte das Auswärtige Amt offenbar wochenlang vergeblich vor einer möglichen Gefährdung ihres Personals gewarnt. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios schrieb der stellvertretende deutsche Botschafter van Thiel in seinem Lagebericht am Freitag, "dass den dringenden Appellen der Botschaft über längere Zeit erst in dieser Woche Abhilfe geschaffen" worden sei. Darüber hinaus betonte der Diplomat: "Wenn das an irgendeiner Stelle diesmal schief gehen sollte, so wäre dies vermeidbar gewesen".
Kabinett will Mandat für Evakuierungseinsatz am Mittwoch vorlegen
Für den Evakuierungseinsatz der Bundeswehr ist die Zustimmung des Bundestags erforderlich. Bei "Gefahr im Verzug" ist allerdings ein Einsatz auch ohne vorangegangenen Parlamentsbeschluss möglich, nachträglich muss dann aber das Mandat des Parlaments eingeholt werden.
Die Bundesregierung will offenbar am kommenden Mittwoch in der Kabinettssitzung das Mandat für den Evakuierungseinsatz beschließen. In der darauffolgenden Woche soll dann der Bundestag darüber beraten und entscheiden. Darüber informierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen in einem Telefonat, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen erfuhr.
Am 25. August kommt der Bundestag ohnehin zusammen, um die Hilfen für die von der Hochwasserkatastrophe Betroffenen zu beschließen. Dann soll auch der Evakuierungseinsatz auf die Tagesordnung kommen.
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