Der CDU-Politiker Norbert Röttgen fordert ein Einschreiten des Westens und der Bundeswehr gegen die in Afghanistan vorrückenden Taliban. "Man darf nicht dabei zuschauen, wie Menschen, die uns lange verbunden waren, von den Taliban abgeschlachtet werden, wie Mädchen und Frauen alle hart erkämpften Rechte wieder verlieren", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Tatenlosigkeit angesichts des Taliban-Vormarschs "wäre eine massive Selbstbeschädigung unserer Glaubwürdigkeit", warnte Röttgen. "Nach 20 Jahren Einsatz zu sagen, das sei eine afghanische Angelegenheit, ist wirklich absurd und beschämend", fügte er hinzu.
Röttgen: "Übereilter Abzug aus Afghanistan war ein Fehler"
Röttgen betonte, dass er nicht dafür sei, den Truppenabzug aus Afghanistan rückgängig zu machen. "Trotzdem muss man der Offensive der Taliban jetzt etwas entgegensetzen, aus der Verantwortung nach 20 Jahren Einsatz heraus und aufgrund unserer eigenen Sicherheitsinteressen", sagte er. "Es reicht nicht, dass wir immer nur amerikanische Entscheidungen abnicken."
"Der einseitige und übereilte Abzug aus Afghanistan war ein Fehler", urteilte Röttgen. Deutschland müsse dies "offen gegenüber den USA kommunizieren und darauf drängen, dass sie ihre bereits stattfindende Luftunterstützung der afghanischen Streitkräfte intensivieren". "Das können wir aber nur dann fordern, wenn wir auch selbst bereit sind, etwas zu leisten", mahnte der Außenpolitiker.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte vor wenigen Tagen erklärt, dass sie von Seiten der Gesellschaft und der Politik derzeit keine Unterstützung für eine erneute Mission der Bundeswehr in Afghanistan erkennen könne. Ein Einsatz gegen die Taliban würde Krieg bedeuten, betonte die Ministerin.
Staatsminister Roth rechnet mit mehr Flüchtlingen
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), warnte derweil vor einem starken Anstieg der Zahl afghanischer Flüchtlinge, mit dem auch Deutschland konfrontiert sein werde. "Die Zahl der Geflüchteten hat bereits dramatisch zugenommen", sagte Roth der "Rheinischen Post". Derzeit gebe es am Hindukusch 3,5 Millionen Binnenflüchtlinge, 400.000 allein in diesem Jahr. Der Druck werde nicht nur weiter "massiv" auf die Türkei, Iran und Pakistan wachsen. "Ich bin mir sicher, dass der Migrationsdruck auf die EU und Deutschland aber auch zunehmen wird", sage der Staatsminister.
Zugleich sagte Roth den Schutz deutscher Staatsbürger in Afghanistan zu. "Wir werden bis zum Ende des Monats ein bis zwei Charterflüge organisieren, um noch einmal eine größere Anzahl an Menschen nach Deutschland zu bringen", sagte er der "Rheinischen Post".
Habeck fordert Luftbrücke
Grünen-Chef Robert Habeck fordert mehr Einsatz der Bundesregierung für Menschen, die als Ortskräfte die Bundeswehr oder deutsche Ministerien in Afghanistan unterstützt haben. "Es braucht jetzt eine Luftbrücke, um diese Menschen aus Lebensgefahr zu bringen", sagte Habeck der "Süddeutschen Zeitung".
"Es ist unsere Pflicht, die Menschen vor den Taliban zu retten, die ihr Leben riskiert haben, um unseren Soldatinnen und Soldaten zu helfen", hob der Grünen-Politiker hervor. "Das ist eine Frage von Treue. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen, die Zeit läuft."
Habeck forderte, bei den Ortskräften auch solche Menschen mit einzubeziehen, die über Firmen, also nicht direkt für die Bundeswehr oder andere deutsche Institutionen gearbeitet haben. Schließlich interessierten sich die radikalislamischen Taliban für solche Vertragsverhältnisse "herzlich wenig". Die Visa sollten Habecks Meinung nach bei der Ankunft erteilt und die Verfahren vereinfacht werden.
Laschet: Afghanische Ortskräfte retten
Auch CDU-Chef Armin Laschet plädiert dafür, dass Deutschland die ehemaligen Ortskräfte der Bundeswehr rettet. "Diese Leute, die uns geholfen haben, Afghanen, die mutig waren, der Bundeswehr zu helfen, müssen jetzt rausgeholt werden", sagte der Unions-Kanzlerkandidat auf einer Veranstaltung der Jungen Union in Gießen. "Wir können nicht länger zusehen, dass sie dort bedroht werden von Taliban und Fundamentalisten."
Taliban vor den Toren Kabuls
Seit Beginn des vollständigen Abzugs der Nato-Truppen aus Afghanistan haben die Taliban weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. In den vergangenen Tagen nahmen die Islamisten rund die Hälfte der afghanischen Provinzhauptstädte ein, darunter zuletzt auch die zweitgrößte Stadt Kandahar. Inzwischen stehen die Taliban nur noch wenige Kilometer vor der Hauptstadt Kabul.
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