Als "kleine Bundestagswahl" gilt die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Das bevölkerungsreichste Bundesland wird als Barometer für die Stimmung im Bund gesehen. Die scheint sich gegen die SPD und die FDP zu wenden. In der Ampelkoalition haben nur die Grünen Aufwind. Vier Szenarien, wie die Bundesparteien auf dieses Ergebnis reagieren könnten.
SPD-Szenario: Der Verlust schwächt auch Olaf Scholz
Landesweit, von der Weser bis zum Rhein, war er auf den Plakaten zu sehen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mischte im nordrhein-westfälischen Wahlkampf massiv mit. Er wollte Spitzenkandidat Thomas Kutschaty zu mehr Bekanntheit verhelfen und erreichte möglicherweise das Gegenteil. Die deutlich messbare Unzufriedenheit mit dem Bundeskanzler haben auch die Wähler in Nordrhein-Westfalen zum Ausdruck gebracht. In der einstigen Herzkammer der SPD schlägt das Herz auch diesmal nicht mehrheitlich links.
Olaf Scholz wird sich das äußerlich wohl kaum anmerken lassen. Die SPD in Berlin muss sich aber sehr wohl überlegen, warum sie in den Bundesländern Schleswig-Holstein und nun auch in Nordrhein-Westfalen nicht punkten kann. Einen Regierungsbonus haben die Sozialdemokraten offensichtlich nicht. Am Wahlabend versuchten Generalsekretär Kevin Kühnert und Parteichef Lars Klingbeil, den Wählerwillen in NRW als Wunsch nach Rot-Grün zu verkaufen. Sie unternahmen also genau das, was sie nach der Bundestagswahl Armin Laschet und der CDU noch vorgeworfen hatten: den Versuch, aus einem Verlust einen Regierungsauftrag zu machen.
Grünen-Szenario: Die Königsmacher dominieren auch die Bundespolitik
Der Höhenflug der Grünen hält an. Und sie bleiben bei ihrem Credo: Mit wem wir regieren, das machen wir an Themen fest. Grünen-Chefin Ricarda Lang wurde nicht müde, diesen Satz in verschiedenen Formen den ganzen Abend lang zu wiederholen. Themen, Themen, Themen – keine Personen sollen im Mittelpunkt stehen.
Dabei stimmt das so nicht. In sämtlichen Wählerbefragungen wird deutlich, dass die Grünen in den Bundesländern auch von ihrem Spitzenpersonal in Berlin profitieren. Die guten Umfragewerte für Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck sorgen für ordentlichen Rückenwind. Die beiden Minister dominieren in der öffentlichen Wahrnehmung ohnehin die Bundespolitik. Der Krieg in der Ukraine hat sie zu den wichtigsten Personen im Kabinett gemacht. Daran hat die Wende der Grünen in der Verteidigungspolitik hin zu Waffenlieferungen nichts geändert – im Gegenteil. Insofern müssen die Grünen in Berlin eigentlich nichts ändern. Sie stehen von allen Parteien am wenigsten unter Druck.
FDP-Szenario: Nervöse Liberale könnten um sich schlagen
"Wir haben bewiesen, dass wir starke Nerven haben." Diese Worte musste sich FDP-Chef Christian Lindner am Wahlabend vor allem selbst vorsagen. Schließlich stammt auch er aus Nordrhein-Westfalen, bei der Wahl vor fünf Jahren hatte er als Spitzenkandidat ein Spitzenergebnis erreicht, nun der Absturz seines Landesverbands. Der bayerische Landeschef, Martin Hagen, sagte im Interview mit BR24, die FDP müsse auf Bundesebene sichtbarer werden.
Wie aber wird die FDP diese Sichtbarkeit gestalten? Im Moment wird die Bundespolitik vom Krieg in der Ukraine dominiert, die Hauptpersonen dafür sind Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Habeck von den Grünen sowie Bundeskanzler Scholz von der SPD. Die Liberalen stellen zwar mit Lindner den Finanzminister. Aber selbst Versprechungen wie ein Tankrabatt haben in der Wählergunst nicht gefruchtet. Die Menschen spüren mehr und mehr den Kaufkraftverlust insgesamt, ein paar Cent weniger beim Tanken gleichen das noch lange nicht aus.
Lindner kann bei der angespannten finanziellen Haushaltslage nicht allzu große Versprechen machen. Selbst die teure Energiewende kann er wohl kaum in Frage stellen. Schließlich ist mit dem Krieg in der Ukraine auch den Wählerinnen und Wählern klar: Je schneller die Energiewende gelingt, desto unabhängiger wird Deutschland von russischem Öl und Gas.
CDU-Szenario: Noch selbstbewussteres Auftreten in Berlin
Natürlich müsse man jetzt den Sekt aufmachen, frohlockte Jens Spahn um kurz nach 18 Uhr. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister war am Wahlabend der erste Bundespolitiker der CDU, der das Ergebnis seines Heimatverbands in Nordrhein-Westfalen kommentierte. Spahn hat wohl recht: Die CDU konnte nicht sicher davon ausgehen, dass sie mit Hendrik Wüst als Ministerpräsident, der nur sehr kurz im Amt ist, dieses vermutlich auch verteidigt.
Kräftig dabei mitgeholfen hat Parteichef Friedrich Merz. Er war wochenlang in seinem Heimat-Bundesland unterwegs – im Gegensatz zu Schleswig-Holstein, wo sich Merz kaum hatte blicken lassen. Insofern war bereits vor dem Wahlgang klar: Egal, wie die Wahl ausgeht, sie klebt auch an Merz – entweder im positiven oder im negativen Sinne.
Merz kommt damit gestärkt aus seinem Heimatverband zurück in den Bundestag. Seit Wochen versucht er, die Ampel vor sich her zu treiben. So redet die Union beim 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr entscheidend mit, weil dafür das Grundgesetz geändert werden soll. Der CDU-Chef dürfte die Regierung nun noch weiter unter Druck setzen. An ihm kommt die Ampel derzeit nicht vorbei. Merz weiß das und wird das nun noch deutlicher machen.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!