Es ist seit Kriegsbeginn ihr vierter Besuch: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist unangekündigt in der Ukraine eingetroffen. "Die Ukraine verteidigt mit enormem Mut und Entschlossenheit auch unser aller Freiheit", erklärte Baerbock bei ihrer Ankunft in Kiew. "So wie sich die Ukraine vor uns stellt, kann auch sie sich auf uns verlassen", fügte die Außenministerin hinzu.
Bei der Reise soll es laut Auswärtigem Amt unter anderem um einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine gehen. Kiew könne sich darauf verlassen, "dass wir der Ukraine auf ihrem Weg in die Europäische Union entschlossen unter die Arme greifen", versicherte Baerbock.
Angestrebter EU-Beitritt der Ukraine: Baerbock zieht Zwischenbilanz
Mit Blick auf den angestrebten EU-Beitritt Kiews pochte die Außenministerin bei ihrem Besuch auf Reformen. Bei der Justizreform und der Mediengesetzgebung könne sich "die Bilanz schon sehen lassen", sagte Baerbock nach Angaben des Auswärtigen Amtes. Bei der "Umsetzung des Anti-Oligarchen-Gesetzes und dem Kampf gegen Korruption" gelte es jedoch "noch einen Weg zu gehen". Die EU selbst müsse nun "zügig daran arbeiten, dass wir für mehr Stühle am Tisch richtig aufgestellt sind", sagte Baerbock weiter.
Die Ukraine ist seit vergangenem Jahr EU-Beitrittskandidat und hat wiederholt eine schnelle Aufnahme in das Staatenbündnis gefordert. Zu den Auflagen für einen Beitritt gehört unter anderem die Bekämpfung der Korruption in dem Land. Der anhaltende Krieg gilt bei Experten allerdings als Ausschlusskriterium für einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine.
Keine rasche Entscheidung über Taurus-Marschflugkörper
Baerbock machte der Ukraine keine Hoffnung auf eine schnelle Entscheidung der Bundesregierung über eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. "Uns ist die Situation mehr als bewusst", sagte die Politikerin nach einem Gespräch mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba in der ukrainischen Hauptstadt. "Zugleich reicht es eben nicht aus, Dinge nur zu versprechen", sagte sie. Wie vor der Lieferung des Luftabwehrsystems Iris-T und den anderen deutschen Waffenlieferungen müssten zunächst "alle Fragen geklärt sein".
Kuleba reagierte mit deutlichen Worten auf das weitere Zögern der Bundesregierung bei der Bitte Kiews nach den weitreichenden Marschflugkörpern, mit deren Hilfe sein Land Ziele hinter den großen russischen Minenfeldern treffen will. "Ich verstehe nicht, warum wir Zeit verschwenden", sagte der Diplomat. Ukrainische Soldaten und Zivilisten seien aufgrund des Zögerns getötet worden. "Ihr werdet es sowieso machen", fügte er hinzu. "Es gibt kein einziges objektives Argument, das dagegen spricht."
Wenn Berlin Fragen zum Einsatz habe, sei Kiew bereit, diese zu beantworten, sagte Kuleba. "Lasst es uns tun. Je eher es geschieht, um so höher wird unsere Wertschätzung sein", sagte er. Gleichzeitig dankte Kuleba Deutschland für die bereits gelieferten Waffen. Insbesondere hob er die Effektivität der Gepard-Flugabwehrpanzer hervor.
Verschleppte Kinder: Baerbock sichert Ukraine Hilfen zu
Die Außenministerin kritisierte zudem erneut die Verschleppung tausender ukrainischer Kinder nach Russland. Auch in diesem Zusammenhang sicherte Baerbock der Ukraine Deutschlands Unterstützung zu. "Wir unterstützen die Organisationen, ukrainischen Behörden und NGOs, die sich dafür einsetzen, die verschleppten Kinder wieder nach Hause zu bringen", sagte Baerbock.
Vor dem Hintergrund anhaltender russischer Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur und angesichts des bevorstehenden Kriegswinters kündigte Baerbock zudem an, "unser Energienetz mit der Ukraine noch engmaschiger knüpfen" zu wollen. "Egal zu welcher Jahreszeit, wir lassen nicht nach, die Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen Russlands Aggression zu unterstützen: wirtschaftlich, militärisch, humanitär", sagte Baerbock.
Die Außenministerin besuchte in der Ukraine ein Elektrizitäts-Umspannwerk. Auf dem Gelände des Werks etwa 50 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums von Kiew ließ sich die Grünen-Politikerin am Montagvormittag die Bemühungen der ukrainischen Regierung schildern, die Energieversorgung des Landes vor dem herannahenden Winter zu sichern.
Ukraine-Krieg: Energieversorgung gilt als fragil
Immer wieder werden Infrastruktureinrichtungen der Ukraine von Russland angegriffen. Die Energieversorgung gilt trotz aller Bemühungen um deren Schutz als fragil. Baerbock ließ sich von dem für Wiederaufbau zuständigen Vize-Ministerpräsident Olexandr Kubrakow das etwa 40 Hektar große Gelände zeigen. Mit einer Leistung von rund 2.000 Megawatt ist es für einen großen Teil der Elektrizitätsversorgung der Region zuständig.
Das Werk war nach ukrainischen Angaben mehrfach von russischen Raketen und von aus dem Iran gelieferten Kamikaze-Drohnen getroffen worden. Einen schweren Angriff mit mehreren Drohnen gab es etwa in der Neujahrsnacht. Teile der Einrichtungen auf dem Gelände wurden dabei zerstört und mittlerweile wieder aufgebaut. Um das Werk herum sind mittlerweile hohe Netze errichtet worden, um die niedrig fliegenden Drohnen abzufangen.
Deutschland stockt humanitäre Soforthilfe erneut auf
Baerbock rechnet damit, dass Russland auch in diesem Herbst und Winter wieder verstärkt die ukrainische Energie-Infrastruktur bombardieren wird. "Russlands perfides Ziel ist es wieder, die Menschen in der Ukraine im Winter auszuhungern und erfrieren zu lassen", sagt Baerbock. Deutschland werde die Menschen in der Ukraine nicht alleine lassen und ihnen helfen, "so lange Ihr uns braucht". Deshalb werde die Bundesregierung ihre humanitäre Soforthilfe um weitere 20 Millionen auf dann 380 Millionen Euro in diesem Jahr aufstocken.
Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Berlin
Zudem kündigte Baerbock für das kommende Jahr eine Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in Berlin an. "Damit aus Leid und Zerstörung Neues erwachsen kann, gehen wir gemeinsam den Wiederaufbau an", sagte sie. "Dazu werden wir im nächsten Jahr gemeinsam die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in Berlin ausrichten."
Baerbock in der Ukraine: Warum der Besuch geheimgehalten wurde
Baerbock war am Morgen um 7.00 Uhr Ortszeit mit dem Zug zu ihrem vierten Besuch seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Hauptstadt Kiew angekommen. Die Reise war aus Sicherheitsgründen zunächst geheim gehaltenen worden. Eine Woche vor der UN-Vollversammlung in New York dürfte der Besuch auch als Zeichen der Solidarität gedacht sein.
Mit Informationen von AFP und dpa
Zum Video: Baerbock zu Besuch in der Ukraine
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