Szene aus dem Theaterstück "Damals wie heute?", hier bei einer Aufführung an der Georg-Weerth-Schule in Berlin.
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Szene aus dem Theaterstück "Damals wie heute?", hier bei einer Aufführung an der Georg-Weerth-Schule in Berlin.

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Antisemitismus: Der Kampf um Jugendliche

Antisemitismus: Der Kampf um Jugendliche

Angesichts des Kriegs in Israel warnen Antisemitismus-Experten vor Verschwörungsmythen in sozialen Netzwerken. Es seien Inhalte, mit denen gegen Israel und Juden gehetzt werde. Was kann dagegen getan werden? Eine Spurensuche in Bayern.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Jugendliche spielen Billiard, Tischtennis oder zocken Fußball an der Playstation – ein Jugendzentrum irgendwo in Bayern. Andere stehen draußen, vor dem mehrstöckigen Gebäude und unterhalten sich. Zentrales Thema: der Krieg in Israel. Ein paar von ihnen haben selbst einen Migrationshintergrund, einige kommen zum Beispiel aus Syrien. Drei der jungen Leute sind bereit, mit BR24 zu sprechen. Zum Krieg haben sie eine klare Meinung: Nicht die Terrororganisation Hamas ist für sie der Hauptschuldige, sondern Israel habe Palästina das Land weggenommen.

Mit leicht erregter Stimme formuliert ein Jugendlicher seine Botschaft an Israel: "Lasst Gaza in Ruhe und lasst Palästina in Ruhe. Die müssen raus aus diesem Land, weil die Palästina geklaut haben."

  • Zum Artikel: Schon vor Hamas-Überfall - Zunahme antisemitischer Straftaten

Experten warnen vor TikTok

Zwei andere Jugendliche äußern sich ähnlich israelfeindlich. Und sie zeigen auf ihren Smartphones Videos, die ihre Haltung untermauern sollen. Zu sehen sind etwa verletzte Kinder im Gazastreifen. Die Videos sind auf der Plattform TikTok. Für sie sei das die wichtigste Informationsquelle, erzählen die drei Jugendlichen. Experten warnen allerdings seit Jahren vor verzerrten und falschen Inhalten auf TikTok. Besonders krass sei dies seit Beginn des Krieges in Israel zu beobachten gewesen, sagt der Psychologe Ahmad Mansour, der seit vielen Jahren auch in Bayern ausstiegswillige Extremisten betreut.

"Wenn Sie heute auf TikTok oder auf Instagram Informationen über den Islam suchen, landen Sie schnell bei radikalen Imamen. Ebenso landen Sie schnell bei Verschwörungstheorien, wenn Sie sich über die Politik in Deutschland informieren wollen", so Mansour.

Auch andere Experten und Organisationen bestätigen das im Interview mit BR24, etwa das in Berlin angesiedelte Internationale Institut für Bildung, Sozial- und Antisemitismusforschung. Unterlegt mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, werde Gewalt gegen Israel auf Plattformen wie TikTok gefeiert, sagt die Vorstandsvorsitzende Kim Robin Stoller. "Es wird der Eindruck vermittelt, dass die gesamte islamische Welt in den Krieg gegen Israel zieht."

Gefährliche islamistische Influencer

Der Pädagoge Burak Yilmaz, der unter anderem die Bundesregierung zum Thema Antisemitismus berät, sieht das ähnlich. Er warnt vor Islamisten, die in sozialen Netzwerken Jugendliche dazu aufriefen, Israel auf Demos zu verteufeln. Die Botschaft der Islamisten sei so einfach wie verfänglich: "Wenn ihr Muslime seid, müsst ihr auf der Seite Palästinas stehen." Als Beispiel nennt Yilmaz die vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen "Realität Islam", "Generation Islam" und "Muslim Interaktiv". Diese sind vor allem im Netz aktiv und stehen laut Verfassungsschützern der 2003 in Deutschland verbotenen "Hizb ut-Tahrir" nahe. Diese strebt laut Bayerischem Verfassungsschutz eine "Vernichtung Israels, die Überwindung nationalstaatlicher Grenzen und die Errichtung eines weltweiten 'Kalifats' auf Grundlage der Scharia an."

Realität Islam, Generation Islam und Muslim Interaktiv unterstellen Politik und Medien, bewusst gegen Muslime zu hetzen – gerade im Palästina-Konflikt. Für Aufsehen sorgte Generation Islam zuletzt, als ein Aushängeschild der Organisation bei einer stark islamistisch geprägten Pro-Palästina-Demonstration in Essen mitwirkte.

Mit Theater gegen Antisemitismus

Was kann gegen solche Aufwiegler im Netz, die nun auch auf die Straße gehen, unternommen werden? Längst sind Antisemitismus und Israelfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen - unter Deutschen ein Problem, genauso wie unter Migranten, sagen Experten wie Ahmad Mansour. Der Psychologe kämpft seit langem dagegen an.

Seine Projekte laufen unter dem Label "Mind-Prevention". Genauso heißt die von Mansour und seiner Frau gegründete "Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention". In Mansours Team arbeiten Pädagogen und Psychologen, die in Deutschland Theater-Workshops an Schulen und in Gefängnissen anbieten. Auch in Schwandorf in der Oberpfalz war diese Initiative bis Herbst 2022 drei Jahre lang Kooperationspartner für ein Projekt namens "ReMember". Mehrere junge Leute haben in dieser Zeit zusammengefunden, um gemeinsam ein Stück einzustudieren und aufzuführen.

Ein Treffpunkt für die Proben: das berufliche Schulzentrum in Schwandorf, etwa im Mai 2022. Die Jugendlichen proben für Aufführungen in ganz Bayern, aber auch Hamburg und Berlin. "Das sind verschiedene Szenen, die Antisemitismus behandeln, Homophobie behandeln – in der Familie, in der Schule", erklärt Asmen Ilhan, der pädagogische Leiter von ReMember. In einer Szene will ein junger Mann seinen jüdischen Glauben verleugnen, weil er in der Schule deshalb angefeindet wird. Seine Mutter ist dagegen und die beiden streiten darüber.

Projektteilnehmerin: Juden sind wie ich – nicht anders

Die Teilnehmer kommen aus Berufsschulen, unter ihnen sind Geflüchtete und Deutsche. Viele Jugendliche beschäftigen sich zum ersten Mal in ihrem Leben intensiver mit Antisemitismus. Die Teilnehmenden sollen ein Gefühl für deutsche Erinnerungskultur bekommen, warum Schutz jüdischen Lebens vor allem in Deutschland hochgehalten wird. Die 18-jährige Mina ist eine von ihnen.

"Ich finde, wenn man mehr lernt, wenn man mehr liest, dann ist man einfach aufgeschlossener. Und das finde ich cool für eine Gemeinschaft. Und ich wollte natürlich mitmachen, um neue Menschen kennenzulernen, wie zum Beispiel Juden, homosexuelle Leute. Und ich habe alle kennengelernt. Sie sind wie ich – nicht anders", sagt Mina. Sie lebt seit mehr als drei Jahren in Deutschland. Mina hat im Iran gelebt - und auch in Afghanistan. ReMember arbeitet auch eng mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zusammen. Zur Arbeit am Theaterstück gehört auch ein Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers. Fast alle Teilnehmer sagen anschließend, dass sie hoffen, dass so etwas wie der Holocaust nie wieder passiert.

Inzwischen ist das Projekt ReMember abgeschlossen. 20 Aufführungen gab es, mit insgesamt mehr als 1.000 Zuschauern – inklusive einer Tournee nach Hamburg und Berlin. Gespielt wurde meist in Schulen, aber auch ein paar Mal öffentlich, zum Beispiel in der Gendenkstätte Flossenbürg oder im Regensburger Turmtheater.

Für die Jugendlichen sind wichtige und bleibende Kontakte entstanden – zum Beispiel zu Dennis Forster. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg hat er die Teilnehmer von ReMember das ganze Projekt über begleitet. Er betont, wie wichtig es gewesen sei, den Jugendlichen spielerisch deutsche Erinnerungskultur zu vermitteln. Aber genauso habe er viel über die Kulturen der Geflüchteten gelernt.

"Ich bin selber in den drei Jahren ein anderer Mensch geworden. Ich habe viel über ihre Herkunftsländer gelernt. Ich habe viel gelernt über das, was sie in ihrem deutschen Alltag umtreibt", so Forster. Zurück nach Schwandort: Hier trifft sich Forster im Oktober 2023 nach Beginn des Krieges zwischen der Hamas und Israel mit dem 22-jährigen Tarek (Name geändert). Es ist ein Treffen auf einem großen Platz in Schwandorf. Forster und Tarek klatschen sich ab, als sie sich begrüßen.

Tarek hat Angst

Tarek hat ebenfalls bei ReMember mitgemacht. Er will nicht erkannt werden. Der 22-Jährige hat Angst. Als Jeside gehört er selbst zu einer bedrohten Volksgruppe. Mit 17 Jahren flüchtete er aus seiner Heimat Irak nach Deutschland – es war eine Flucht vor der Terrororganisation IS, die viele Jesiden brutal versklavt und hingerichtet hat. Während des Projekts konnte er deshalb gut nachempfinden, was Juden in der Nazi-Zeit durchmachen mussten. "Es ist schwierig, wenn du zum Beispiel in der Nacht nicht schlafen kannst und du immer Angst hast", schildert er.

Tarek wirkt ergriffen, als er im Interview gefragt wird, was er zu den Gräueltaten sage, die die Terrororganisation Hamas in Israel verübt hat: "Da sterben Kinder, Frauen, die gar nicht schuldig sind – alles wegen Hamas."

In seinem Wohnort, einem Flüchtlingsheim, könne er nicht über den Krieg sprechen: "Da kriege ich auf jeden Fall Probleme. Da gibt es in diesem Flüchtlingsheim viele, die gegen Israel stehen. Wenn ich zum Beispiel sage: Israel. Die sagen: Nein, es gibt kein Israel, es gibt nur Palästina."

Aber Tarek will aufklären. Gemeinsam mit anderen von ReMember leitet er nun selbst Theaterworkshops – für Schulklassen, die unter anderem die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg besuchen. "Aber auch woanders sind Einsätze denkbar", sagt Forster. "Das Format hat sich jetzt eingespielt und wird ausgebaut."

Und wie notwendig das ist, zeigt das Beispiel der Jugendlichen aus dem Jugendzentrum in Bayern, mit denen BR24 sprechen konnte. Ihre einzige Informationsquelle ist TikTok. Somit gehen sie Falscherzählungen und einseitigen Informationen auf dem Leim. Projekte wie in Schwandorf sollen vermitteln, dass die Welt pluraler ist, als diese Jugendlichen glauben.

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