Die Idee, Atomkraft zur klimafreundlichen Energiequelle zu deklarieren, hat die EU wiederbelebt. Doch das sei "grün getünchte Augenwischerei", sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Sie hat zusammen mit einem Team internationaler Forscherinnen und Forscher der "Scientists for Future" (S4F) gezeigt, dass Untersuchungen, die Kernenergie als Technologie zur Emissionsminderung darstellen, Mängel aufweisen.
Atomkraft kaum versicherbar
Und dennoch hält sich die Behauptung, dass Unfälle extrem selten seien. Ben Wealer, Leitautor der Studie, hat das untersucht. Demnach habe es in jeder Dekade seit den 1970er-Jahren schwere Unfälle und eine Vielzahl kleiner Zwischenfälle geben. Und weiter heißt es: "Kernkraft ist derart risikobehaftet, dass Kernkraftwerke nirgendwo versichert werden können."
Die Kosten der Katastrophen von Fukushima oder Tschernobyl hat die Gesellschaft bezahlt. Ein Super-GAU verursacht Schäden von bis zu 430 Milliarden Euro; das entspricht etwa dem gesamten deutschen Bundeshaushalt.
Sichere Reaktoren für viel Geld
Atomkraft-Befürworter verweisen auf neue technologische Entwicklungen wie Reaktoren der Generation 4. Doch das sind alte Konzepte, sagt Kernkraft-Experte Heinz Smital von Greenpeace, mit denen man schlechte Erfahrungen gemacht habe, wie mit dem Schnellen Brüter in Kalkar und dem Superphénix in Frankreich: "Diese gescheiterten Reaktor-Typen werden heute als Generation 4 verkauft."
Frankreichs Rechnungshof kritisiert Macrons Atomkraft-Pläne
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich jüngst erneut pro Atomkraft ausgesprochen. Das Land will rund eine Milliarde Euro in neue Reaktoren investieren wie etwa modulare Minireaktoren. Die Kosten für einen Minireaktor liegen bei mindestens einer Milliarde, die Leistung von 300 Megawatt ist jedoch nicht mit einem konventionellen Atomkraftwerk (1.000 bis 1.600 Megawatt) vergleichbar.
Nicht nur deswegen kritisiert der französische Rechnungshof die Pläne von der Regierung. Laut den Berechnungen des Rechnungshofes müsste die Betreiberfirma EDF bis 2030 etwa 100 Milliarden Euro ausgeben, um die Laufzeit der bestehenden Meiler um zehn Jahre zu verlängern. Das sind Kosten in Höhe des dreifachen Börsenwerts des Unternehmens.
Erneuerbare Energien deutlich günstiger
Der Neubau eines konventionellen Atomkraftwerks liegt laut Ben Wealer bei 130 bis 200 Euro pro MWh. Der Neubau Photovoltaik hingegen bei etwa 29 bis 42 Euro/MWh und von Windkraft zwischen 26 bis 54 Euro/MWh. Wir haben eine kostengünstige Alternative, meint Claudia Kemfert, ohne Müll, der Jahrhunderte strahlt.
- Zum Artikel: Gesucht: Ein Platz für die Windkraft
Vom Vorzeige-AKW zum Geldvernichter
Die großen AKW-Bauer wie Westinghouse in den USA und Framatome beziehungsweise Areva in Frankreich sind pleite. Der Bau des EPR-Reaktors in Flamanville wandelte sich vom Vorzeigeprojekt zum Alptraum Frankreichs. Bei der Planung Anfang der 2000er wurden die Kosten des Reaktors auf 3,3 Milliarden Euro geschätzt. Die Inbetriebnahme war für 2012 geplant. Nach unzähligen Schwierigkeiten und ständigen Verzögerungen heißt es jetzt, dass das Werk 2023 ans Netz gehen wird.
Machtkomponente Atomkraft
Bis dahin könnten sich die Kosten laut einem Bericht des französischen Rechnungshofes auf 19,1 Milliarden erhöhen. Nur wenige Staaten weltweit bauen deswegen neue Atomkraftwerke, erklärt Energieökonomin Claudia Kemfert vom DIW.
Es gehe dabei nicht um die Energieversorgung der Bevölkerung, sondern um die Sicherung der Macht: "Atomenergie birgt auch die Gefahr der militärischen Waffen, was man nicht verschweigen darf, und sie hat eher eine Machtkomponente, die die Erneuerbaren Energien nicht haben."
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