Die Gewerkschaft EVG und die Deutsche Bahn haben die Verhandlungen über neue Tarifverträge für rund 180.000 Beschäftigte bereits rund zwei Stunden nach dem Auftakt vertagt.
Gewerkschaft: "Bahn provoziert Arbeitskampf"
Die Deutsche Bahn habe sich in der ersten Verhandlungsrunde "geweigert, ein Angebot vorzulegen", erklärte ein Sprecher der EVG und provoziere damit Warnstreiks, kritisierte die EVG nach Ende der Gespräche in Fulda. "Ich finde es schon mehr als erstaunlich, dass die Deutsche Bahn ihre Fahrgäste schon jetzt auf Warnstreiks einschwört, bevor wir überhaupt eine Minute miteinander verhandelt haben", sagte EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch.
Bahn-Personalvorstand Martin Seiler konterte, die Eskalation in der ersten von vier vereinbarten Runden sei absolut unnötig. "Wir wollen ernsthaft verhandeln und Lösungen am Verhandlungstisch finden, das erwarten wir auch von der EVG." Am 14. März müsse wieder gesprochen werden.
Loroch hielt dem entgegen: "Offensichtlich hat das Unternehmen überhaupt kein Interesse daran, einen Abschluss am Verhandlungstisch zu erzielen, sondern provoziert bewusst einen Arbeitskampf." Anders könne er sich das "destruktive" Verhalten der Bahn-Verhandlungsführung nicht erklären. Die Bahn müsse nun die nächsten Wochen für konstruktive Vorschläge nutzen.
Gefordertes Angebot blieb aus
Überraschend kommt diese Zuspitzung nicht: Schon vorab wurde ein hartes Ringen mit Eskalationspotenzial erwartet: Die EVG verlangte angesichts von Inflation und Personalmangel kräftige Einkommenserhöhungen und forderte, die Bahn müsse schon in der ersten Gesprächsrunde ein Angebot machen- was nun nicht geschah. Man werde vom Arbeitgeber "die Wertschätzung und den Respekt in barer Münze" einfordern, so EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch.
Demgegenüber hatte Bahn-Personalvorstand Seiler von einem "gewaltigen Forderungspaket" gesprochen und erklärt, man könne heute bestenfalls einen "Einstieg" in die Gespräche finden, dann müsse man "die Verhandlungen priorisieren".
Warnstreiks ab Ende März möglich
Ob das gelingt, scheint nach dem Abbruch der Gespräche fraglich. Der Tarifstreit bei der Deutschen Bahn (DB) könnte nun schon direkt nach Beginn auf Warnstreiks zusteuern. Loroch hatte die Bahn schon vorab ostentativ davor gewarnt, die Beschäftigten in solche Aktionen "hineinzutreiben".
Zum Zeitplan bekräftigte der Gewerkschafter, dass nach den ersten Gesprächen mit den anderen 50 Unternehmen, die voraussichtlich bis Ende März dauern werden, erste Aktionen möglich seien. "Unser Credo ist eine gemeinsame Runde", sagte Loroch: "Alle sollen die Chance bekommen haben, mit uns einmal zu sprechen, und dann werden wir in entsprechende Maßnahmen gehen oder auch nicht gehen."
Bei Warnstreiks könnte sich die EVG auch mit der Gewerkschaft Verdi abstimmen, die derzeit unter anderem in Tarifverhandlungen für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst beim Bund und den Kommunen steht.
- Zum Artikel: Warnstreiks im öffentlichen Dienst: Das ist heute geplant
Gewerkschaft will mindestens 650 Euro mehr Lohn
Mindestens 650 Euro will die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft für die Beschäftigten durchsetzen. Die unteren Einkommensgruppen sollen überproportional gestärkt werden, daher hat sich die Gewerkschaft für eine Forderung mit Festbetrag entschieden. Bei den höheren Entgelten will die Gewerkschaft eigenen Angaben zufolge eine Steigerung um zwölf Prozent erreichen. Für die Nachwuchskräfte fordert die EVG 325 Euro mehr pro Monat. Die Laufzeit soll zwölf Monate betragen.
Hohe Inflation und gestiegene Energiepreise, die Folgen der Pandemie mit Maskenkontrollen und zahlreichen Krankheitsfällen, Übergriffe auf Bahnmitarbeiter – aus EVG-Sicht müssen die Beschäftigten immer höhere Belastungen schultern.
Deutsche Bahn: Hochkomplexer Forderungskatalog
Die Bahn betonte zuletzt, dass sie mit sehr schwierigen Tarifgesprächen rechne. Die Gewerkschaft habe 57 Forderungen gestellt, die im Schnitt 25 Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten bedeuteten, hieß es am Freitag. Neben mehr Geld seien auch zahlreiche strukturelle Themen aufgeworfen worden, etwa Höhergruppierungen und Neueingruppierungen oder eine Angleichung regionalisierter Tarifverträge auf das jeweils höchste Niveau. Insgesamt handele es sich um einen hochkomplexen Forderungskatalog.
Im Schnitt bedeute allein die Lohnforderung eine Steigerung von 18 Prozent, in einzelnen Bereichen um mehr als 30 Prozent, hieß es aus DB-Kreisen. "Wir setzen auf Verhandlungen, aber unsere Spielräume sind begrenzt", sagte Fernverkehrsvorstand Michael Peterson dem "Tagesspiegel".
Marodes Streckennetz, großer Sanierungsstau
Auch jenseits der Tarifverhandlungen steht die Deutsche Bahn vor großen Herausforderungen. Das bundeseigene Unternehmen transportiert immer mehr Menschen auf einem Streckennetz, das viele Jahre vernachlässigt wurde – und inzwischen sehr anfällig ist. Für die Fahrgäste am deutlichsten wird das derzeit in der Pünktlichkeit, die im Fernverkehr 2022 bei gerade 65 Prozent lag. Der Sanierungsbedarf ist riesig und soll in den kommenden Jahren mit Generalsanierungen auf besonders wichtigen Strecken angegangen werden – was viel Geld kosten wird.
Die DB-Vertreter werden also absehbar darauf setzen, dass nicht auch noch die Personalkosten durch einen allzu hohen Tarifabschluss in die Höhe springen. Aus Sicht der Gewerkschaft lassen sich Personal- und Infrastrukturkosten aber nicht miteinander vermischen. So kämen die Gelder für die Sanierung aus anderen Töpfen, etwa vom Bund.
Bahn-Vorstand: Mitarbeiter haben "tollen Job gemacht"
Klar ist, dass die Bahn attraktiv bleiben muss für neue Mitarbeiter angesichts des Fachkräftemangels. "Die Mitarbeiter haben einen tollen Job gemacht, wir sind gut miteinander durch die Krise gekommen. Da ist von unserer Seite klar, dass wir das auch anerkennen wollen", sagte Personalvorstand Seiler im Januar. "Wir müssen da eine gute Balance finden zwischen kurzfristiger Anerkennung und dem, was wir auch langfristig leisten können, ohne dass wir die Mobilitätswende in irgendeiner Form belasten."
Lokführer-Gewerkschaft GDL verhandelt im Herbst
Die zweite Bahner-Gewerkschaft, die GDL, spielt in der aktuellen Tarifrunde keine Rolle. Die Lokführergewerkschaft mit ihrem Bundesvorsitzenden Claus Weselsky wird im Herbst mit der Bahn in Tarifverhandlungen gehen. Die GDL ist deutlich schwächer innerhalb der DB vertreten als die EVG, hat sich in der Vergangenheit aber immer wieder als sehr streikbereit präsentiert.
Streiks der GDL wurden öffentlich zuletzt als wirksamer und dramatischer für die Fahrgäste wahrgenommen. Der Grund: Ohne Lokführer kann keine Bahn fahren. Sollte sich die EVG jetzt zu Warnstreiks entscheiden, könnte die Durchschlagskraft aber deutlich höher sein, weil je nach Ausmaß dann entscheidende Posten in der Infrastruktur, etwa in einem Stellwerk, betroffen sein könnten.
Mit Informationen von AFP und dpa
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