Der Bundespräsident sitzt in einem Hotel am Schreibtisch.
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Symbolbild: Der Bundespräsident sitzt in einem Hotel am Schreibtisch.

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Nicht nur in den USA – Begnadigungen gibt es auch bei uns

Nicht nur in den USA – Begnadigungen gibt es auch bei uns

Joe Biden hat kurz vor seinem Amtsende Staatsbedienstete und Familienangehörige begnadigt, Donald Trump sofort nach der Amtsübernahme seine Anhänger. Lange nicht in dem Ausmaß wie in den USA, aber auch in Deutschland wird begnadigt.

Joe Biden hat am letzten Tag seiner Amtszeit als US-Präsident eine Präventiv-Begnadigung für eine Reihe von Widersachern seines Nachfolgers Donald Trump und auch mehrere Mitglieder seiner Familie ausgesprochen. Gleich nach Trumps Wahlsieg Anfang November hatte Biden bereits dutzende Begnadigungen ausgesprochen. Und der neue US-Präsident Trump begnadigte nur Stunden nach seiner Vereidigung etwa 1.500 Menschen im Zusammenhang mit dem Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Ungewöhnlich?

Auch in Deutschland sind Begnadigungen möglich – durch den Bundespräsidenten und die Länder. Aber: "Das Gnadenrecht nimmt bei uns einen ganz marginalen Raum ein", sagt Professor Christoph Safferling, der an Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht leitet, im Gespräch mit BR24. "Es wird nicht politisch gebraucht, so wie das in den USA der Fall ist, dass der Präsident, der das Office verlässt, dann noch seine ganzen Bekannten begnadigt. Das ist bei uns unüblich und wäre auch rechtsstaatlich bedenklich."

Wer ist für Begnadigungen zuständig?

Nach Artikel 60 Absatz 2 des Grundgesetzes (externer Link) übt der Bundespräsident für den Bund "im Einzelfalle" das Begnadigungsrecht aus. Er hat die Gnadenbefugnis jedoch nur für den Bereich des Bundes. Das heißt: Er kann nur Straftäter und Straftäterinnen begnadigen, die durch ein Bundesgericht verurteilt worden sind. Das ist zum Beispiel bei Spionage oder terroristischen Straftaten der Fall. Außerdem übt er auch das Disziplinargnadenrecht bei der Ahndung von Dienstvergehen von Bundesbeamten, Bundesrichtern und Soldaten aus.

Der Bundespräsident trifft seine Entscheidung nach freiem politischem Ermessen. Er muss sie nicht begründen. Die Entscheidung ist nicht durch Gerichte oder das Parlament überprüfbar. Der Bundespräsident kann verhängte Strafen mildern oder auch ganz erlassen und er hat die Möglichkeit, seine Gnadenbefugnis teilweise auf andere Stellen des Bundes zu delegieren (externer Link).

Für den überwiegenden Teil der strafgerichtlichen Verurteilungen liegt aber die Gnadenkompetenz bei dem Bundesland, in dem das erstinstanzliche Urteil ergangen ist. In Bayern steht das Gnadenrecht gemäß Art. 47 Abs. 4 der Bayerischen Verfassung grundsätzlich dem Ministerpräsidenten zu. Der Ministerpräsident hat jedoch das Bayerische Justizministerium zur Entscheidung von Gnadensachen (externer Link) befugt, teilweise können auch Generalstaatsanwälte entscheiden.

Wer wurde durch den Bundespräsidenten begnadigt?

Das ist unklar, denn auch darüber muss der Bundespräsident keine Auskunft geben. "Dies hat Gründe im Datenschutz- und Persönlichkeitsrechts der betroffenen Personen. Die Veröffentlichung einer positiven Entscheidung sowie die damit verbundene Berichterstattung könnte zudem der Reintegration und Resozialisierung des Begnadigten behindern", sagt Alessandro Peduto, stellvertretender Sprecher des Bundespräsidenten. In der Vergangenheit wurden nur solche Entscheidungen bekannt gegeben, "bei denen das öffentliche Interesse überwogen hat". So wurden die früheren RAF-Terroristinnen Verena Becker 1989 durch Richard von Weizsäcker begnadigt und Adelheid Schulz 2002 durch Johannes Rau. Horst Köhler dagegen lehnte ein Gnadengesuch des verurteilten RAF-Terroristen Christian Klar 2007 ab.

2024 hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (externer Link) eine Klage auf Auskunft über Begnadigungen des Bundespräsidenten abgewiesen. Eine Revision wurde nicht zugelassen. "Der Bundespräsident (...) nehme als Verfassungsorgan ihm eingeräumte verfassungsrechtliche Befugnisse wahr", hieß es zur Begründung.

Die Statistik über Gnadenverfahren beim Bundespräsidenten

Die Statistik über die Gnadenentscheidungen des jeweiligen Bundespräsidenten wird erst nach dessen Ausscheiden aus dem Amt veröffentlicht. Die Statistik zu Frank-Walter Steinmeier wird daher erst noch folgen.

Nach Angaben des Bundespräsidialamtes gab es zum Beispiel in der Amtszeit von Christian Wulff (2010-2012) 14 Entscheidungen in beamten- und soldatenrechtlichen Gnadenangelegenheiten und keine Strafgnadenentscheidungen, in der Amtszeit von Joachim Gauck (2012-2017) zehn Entscheidungen in beamten- und soldatenrechtlichen Gnadenangelegenheiten und eine Strafgnadenentscheidung.

Die Zahlen zu Begnadigungen in Bayern

Auch in Bayern müssen Details zu Begnadigungen nicht veröffentlicht werden. Nach Angaben des Justizministeriums gab es im Jahr 2023 332 Gnadenverfahren. Nur 44 endeten für die Antragsteller positiv, der überwiegende Teil wurde abgelehnt. Nach Einschätzung des Nürnberger Juristen Safferling sind das "zum Beispiel Geldbußen, kleinere Dinge, bei denen die Vollstreckung als ungerecht empfunden wird. Das sind jetzt nicht lebenslange Freiheitsstrafen".

Und das Justizministerium erklärt: "Voraussetzung für einen Gnadenerweis ist in der Regel, dass nach Erlass der gerichtlichen Entscheidung neue Gesichtspunkte hinzutreten, die die Vollstreckung für den Verurteilten als besondere Härte erscheinen lassen." Zudem müsse der Verurteilte "gnadenwürdig" sein. Kriminalstrafen, Geldbußen und Ordnungsmittel könnten erlassen, ermäßigt, umgewandelt oder ihre Vollstreckung dauernd oder vorübergehend ausgesetzt werden.

Sind Begnadigungen noch zeitgemäß oder antiquiert?

Die Weihnachtsamnestie, also wenn Häftlinge, die sowieso in Kürze freikommen, vor Weihnachten aus den Gefängnissen entlassen werden, ist üblich. Hunderte Menschen kamen Berichten zufolge bundesweit so zum Jahreswechsel frei. Bayern begnadigte niemanden.

Sonst aber wird an Begnadigungen immer mal wieder Kritik laut. "Das Gnadenrecht ist vorkonstitutionell und gehört abgeschafft", sagte etwa der Grünen-Abgeordnete Till Steffen vor Kurzem dem "Tagesspiegel" (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt). Auch die Linken-Abgeordnete Clara Bünger hält das Verfahren für "aus der Zeit gefallen".

Auch Safferling von der FAU betont: "Begnadigungen sind schon ein bisschen antiquiert, nach dem Stichwort Gnade vor Recht. Das genügt rechtsstaatlichen Anforderungen nicht." Doch der Jurist sagt auch: "Es sind extreme Ausnahmesituationen, wenn die Ausführung des Gesetzes zu einer Ungerechtigkeit führt." In solchen Fälle müsse es die Möglichkeit geben, entsprechend zu reagieren. "Deswegen wird das in der Kompetenz eines Ministerpräsidenten oder Bundespräsidenten immer vorhanden sein, dass man jemanden begnadigen kann – und das ist auch in Ordnung."

Dieser Artikel ist erstmals am 21.1.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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