Zumindest in einem Punkt gibt es jetzt Klarheit: Benedikt hat seine 82 Seiten starke Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten nicht selbst geschrieben. Der Verdacht drängte sich schon bei der Lektüre auf. Zu offensichtlich waren die Fehler – warum wurde seine Teilnahme an einer Sitzung bestritten, wo doch schon lange bekannt und belegt war, dass er dabei war, als im Januar 1980 im Münchner Ordinariat über Pfarrer Peter H. gesprochen wurde?
Benedikt bedauert diesen Fehler seiner Rechtsbeistände - und sich selbst. Das Versehen sei "ausgenutzt" worden, um ihn als "Lügner" darzustellen. Das ist Originalton Ratzinger, der sich auch in der Vergangenheit gern in der Rolle des Opfers ungerechter Kritik sah.
Zum Beispiel 2009: Damals näherte sich Papst Benedikt der traditionalistischen und in Teilen antisemitischen Piusbruderschaft wieder an. Angesichts des globalen Shitstorms, der über ihn und den Vatikan hereinbrach, sprach Benedikt von der "sprungbereiten Feindseligkeit" ihm gegenüber.
Gilt der Nimbus der Unfehlbarkeit auch für Ex-Päpste?
Das Muster ist also bekannt und findet nun auch in der Ratzinger-Reaktion auf das Missbrauchsgutachten Anwendung. Darin spricht der emeritierte Papst zwar das "mea culpa" und verspricht "ein Wort des Bekenntnisses". Seinen eigenen Anteil an dieser "übergroßen Schuld" kaschiert er aber mit dem großen "Wir" der katholischen Kirche, wenn er sich rechtfertigt, "dass wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden".
Sein "Schmerz" über die Vergehen, die in seiner Amtszeit geschehen sind und sein "tiefes Mitgefühl" für die Opfer klingen halbherzig, weil er es nicht schafft, persönlich Verantwortung zu übernehmen für das, was in seiner Zeit als Erzbischof von München so verhängnisvoll schiefgelaufen ist. Gilt der Nimbus der Unfehlbarkeit auch für Ex-Päpste?
Nichts gewusst, nichts geahnt, nichts unternommen
In dem Faktencheck, der dem Brief Benedikts beiliegt, gehen Juristen und Kirchenrechtler noch einmal auf die einzelnen Vorwürfe gegen Joseph Ratzinger ein. Punkt für Punkt. An der Sitzung in München, bei der über Peter H. gesprochen wurde, hat er teilgenommen. Richtig. Aber: Dass gegen den Pfarrer ein Tatverdacht der Pädophilie bestand, davon wusste Ratzinger nichts.
Das große Schuldbekenntnis des Emeritus wird konterkariert durch die kleinliche Beweisführung, dass Erzbischof Joseph Ratzinger in keinem Fall Fehlverhalten nachgewiesen werden kann. Er hat nichts gewusst, nichts geahnt, nichts unternommen.
Genau diese Haltung hat es ermöglicht, dass Pfarrer Peter H. im Erzbistum München-Freising seine Karriere fortsetzen und sich weiter an Kindern und Jugendlichen vergehen konnte. Dafür trägt auch Joseph Ratzinger einen Teil der Verantwortung. Dass er es nicht schafft, das einzugestehen, macht seine Entschuldigung bei den Opfern wertlos.
Ein Kommentar von Tilmann Kleinjung, Leiter der Redaktion Religion & Orientierung
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