Eigentlich sollte das Jahr 2020 für den Geburtsort Jesu ein gutes werden, schließlich ist Bethlehem in diesem Jahr arabische Kulturhauptstadt. Doch mit dem Virus änderte sich alles.
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Diese Treppe bin ich schon oft hinuntergegangen, aber die laute Lüftung ist mir noch nie aufgefallen. Dass ich sie diesmal wahrnehme, liegt daran, dass ich alleine bin in der Grotte unter der Geburtskirche. Hier wo der Überlieferung nach Jesus zur Welt kam, drängen sich normalerweise die Gläubigen, knien nieder, küssen den Boden, sorgen mit ihrem Gemurmel für einen Geräuschteppich, der lauter ist als die Lüftung. Nun ist nicht nur die Grotte menschenleer, auch in der Geburtskirche sind keine Besucher, zieht sich keine lange Warteschlange von Pilgern durch das Hauptschiff, die teils zwei, drei Stunden anstehen, um in die Grotte zu kommen. So war es sonst in der Geburtskirche – vor Corona. Jetzt wirkt einer der heiligsten Orte des Christentums wie ausgestorben.
"Wir kamen pro Jahr auf bis zu drei Millionen Besucher. Es herrschte Gedränge, die Kirche war voller Menschen, die Schlange standen. Sie kamen aus aller Welt. Unser Problem war, dass wir keinen ruhigen Platz mehr zum Beten fanden." Rami Asakrieh, Mönch
Leere Kirchen und Herzen ohne Hoffnung
Rami Asakrieh sitzt in der katholischen Katharinenkirche, direkt neben der Geburtskirche. Rami ist Mönch und Seelsorger für Bethlehems katholische Christen. Den Kirchenkomplex so leer zu sehen, bedrückt ihn – auch weil er die Folgen kennt.
"Es macht einen manchmal traurig, denn wir sind an die Besucher aus aller Welt gewohnt. Durch ihren Besuch unterstützen sie die Kirchen und die Hotels und schaffen Arbeit für viele Menschen hier." Rami Asakrieh, Mönch
Anfang März wurden in Bethlehem die ersten Corona-Infektionen in den palästinensischen Gebieten festgestellt. Um eine Ausbreitung zu verhindern, riegelten die Behörden die Stadt für Monate ab. Nun ist Bethlehem zwar wieder offen. Touristen dürfen aber weiter nicht nach Israel einreisen und können also auch nicht in die palästinensischen Gebiete kommen. Der Stadt fehlt ihre wichtigste Einnahmequelle und Mönch Rami erlebt, wie das die Menschen in seiner Gemeinde belastet. Bethlehem hat schon viele Krisen erlebt, sagt Rami. Er erinnert an den letzten palästinensischen Volksaufstand, die Intifada, und an Kriege in der Region. Diesmal aber erfahren wir weniger Anteilnahme, betont Rami Asakrieh.
"Wir erleben nicht nur leere Kirchen, sondern auch Herzen ohne Hoffnung. Die Lage ist anders als in Zeiten der Intifada. Damals waren die Kirchen leer, aber alle Menschen weltweit unterstützen die Christen hier. Jetzt ist die Situation weltweit schlecht." Rami Asakrieh, Mönch
Auf dem Krippenplatz vor der Geburtskirche sind nur wenige Passanten unterwegs. Die Souvenirläden rund um die Kirche sind überwiegend geschlossen. Was auffällt, ist der ruhige Verkehr – das liegt am Fehlen der täglich rund 160 Busse, die vor Corona nach Bethlehem kamen. Die Stadt ist natürlich nicht leer, aber sie wirkt entschleunigt. Bürgermeister Antone Salman blickt von seinem Büro aus auf den Krippenplatz.
"Die Leute leiden sehr, denn es gibt keine Alternativen. 2019 kamen mehr als 1,5 Millionen Übernachtungsgäste in die Stadt. Durch die Pandemie gelitten hat nun nicht nur die Tourismusbranche. Andere Bereiche leiden auch unter den Folgen." Anonte Salman, Bürgermeister von Bethlehem
Was bleibt sind Pläne für die Zukunft
Rund die Hälfte der 50 000 Einwohner Bethlehems verdienen direkt oder indirekt am Tourismus, rechnet Bürgermeister Salman vor. Die Arbeitslosigkeit liege bei 32 Prozent: 30 Prozent seien erfasst, hinzu komme noch eine Dunkelziffer von rund drei Prozent. 2019 seien die Zahlen noch gesunken und haben bei rund 15 Prozent gelegen. Eigentlich sollte 2020 ein sehr gutes Jahr für Bethlehem werden – als arabische Kulturhauptstadt für ein Jahr. Doch die Eröffnungsfeier Anfang April musste abgesagt werden. Nun sind die Feiern auf das nächste Jahr verschoben, erklärt Antone Salman.
"Wir hoffen, wenigstens im März oder April nächsten Jahres eine Eröffnungsfeier machen zu können. Aber die Veranstaltungen danach werden anders sein als geplant, denn uns fehlt dafür das Geld." Anonte Salman, Bürgermeister von Bethlehem
Dass sich der Tourismus in diesem Jahr noch wesentlich erholt – damit rechnet man in Bethlehem nicht. Selbst wenn das Einreiseverbot fällt, wird das für die Urlaubsplanung der meisten Interessierten zu kurzfristig sein, werden die großen Pilgergruppen nicht mehr kommen. Bethlehem wird ein ganz anderes Weihnachten erleben, ist Bürgermeister Salman überzeugt.
"Dass die Weihnachtszeit in diesem Jahr zur Hochsaison wird, ist schwer vorstellbar. Wir rechnen mit einer sehr mageren Saison. Wir werden unsere Events organisieren, aber vermeiden, dass große Mengen an örtlichen oder internationalen Zuschauern zusammen kommen." Anonte Salman, Bürgermeister von Bethlehem
Die traditionelle Parade durch die Bethlehemer Altstadt am Nachmittag des 24. Dezember wird wohl nur stark eingeschränkt und unter Auflagen stattfinden können. Wie die Mitternachtsmesse in der Katharinenkirche in diesem Jahr gefeiert werden kann, steht noch nicht fest. Dass mehrere tausend Menschen in der engen Kirche zusammenkommen können, scheint aber ausgeschlossen. Mönch Rami betet dafür, dass Weihnachten in Bethlehem und weltweit wieder Normalität einkehrt.
"Ich bete für ein Weihnachtsgeschenk, dass weltweit wieder alles so wird, wie es vorher war." Rami Asakrieh, Mönch