Die heftige Kritik eines hochrangigen EU-Diplomaten an Österreichs Abhängigkeit von russischem Gas hat Irritationen in Wien und Brüssel ausgelöst. Martin Selmayr, der Vertreter der Europäischen Kommission in Wien, hatte die österreichischen Zahlungen an das kriegsführende Russland für Gaslieferungen als "Blutgeld" bezeichnet.
"Blutgeld wird mit der Gasrechnung nach Russland geschickt"
"Herr Selmayr wurde zu einem Gespräch mit dem Generalsekretär ins Außenministerium zitiert", bestätigte das Ministerium in Wien am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP. Danach distanzierte sich die EU-Kommission von Selmayrs Aussagen. Diese seien "bedauerlich und unangemessen", sagte eine Sprecherin der Institution am Donnerstagabend. Die EU-Kommission habe Selmayr aufgefordert, "unverzüglich über diesen Vorfall Bericht zu erstatten", sagte sie.
Selmayr hatte am Mittwochabend bei einer Diskussionsveranstaltung in Wien kritisiert, dass Österreich auf diese Weise Russlands Krieg finanziere, und dass es dagegen keine Proteste gebe. "Das verwundert mich, denn Blutgeld wird jeden Tag mit der Gasrechnung nach Russland geschickt", sagte Selmayr. Der Nachrichtenagentur APA zufolge gab Selmayr weiter an, dass er zwar Verständnis für Probleme im Energiebereich habe, aber Österreich ein reiches Land sei und - wie auch andere Staaten - ohne die Lieferungen aus Russland auskommen könne.
Österreich plant, ohne Gas aus Russland auszukommen
Österreich bezog zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine 79 Prozent seiner Gasimporte aus Russland. Der Anteil sank bis zum Oktober des Vorjahres auf 17 Prozent. In den vergangenen Monaten lagen die Werte jedoch wieder deutlich höher. Im Juli waren es laut dem Klimaschutzministerium 66 Prozent. Österreichs Europaministerin Karoline Edtstadler von der konservativen ÖVP bezeichnete die Kritik am Donnerstag als "völlig einseitig" und verwies auf Österreichs laufende Bemühungen. Die Regierung plant, bis 2027 ohne russisches Gas auszukommen. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) zeigte hingegen Verständnis für Selmayrs "Blutgeld"-Aussage. Er habe das selbst auch schon so bezeichnet, sagte er dem TV-Sender Puls24.
Österreichischer Energiekonzern muss Vertrag mit Russland erfüllen
Was man dazu wissen muss: Der teilstaatliche österreichische Energiekonzern OMV ist vertraglich an Russland gebunden. Sechs Milliarden Kubikmeter russisches Gas pro Jahr zum Vorzugspreis, aber mit der Klausel "Take-or-pay": Das bedeutet, wenn Gazprom liefert, muss Österreich zahlen - egal ob es das Gas abnehmen will oder nicht. Der Vertrag läuft noch 17 Jahre, also bis 2040. Er war unter den Augen des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz, den die ÖVP stellte, verlängert worden. Wladimir Putin war dafür extra nach Wien geflogen.
Analyse: EU-Länder kaufen mehr Flüssigerdgas aus Russland
Mit der anhaltenden Einfuhr fossiler Brennstoffe aus Russland ist Österreich bei weitem nicht allein. Wie vor einer Woche bekannt wurde, haben europäische Länder in den ersten sieben Monaten dieses Jahres einem Bericht zufolge mehr Flüssigerdgas aus Russland gekauft als vor Moskaus Angriff auf die Ukraine.
Von Januar bis Juli kauften die EU-Länder rund 22 Millionen Kubikmeter sogenanntes LNG, wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung der Umweltorganisation Global Witness auf Basis von Daten des Rohstoffanalyseunternehmens Kpler hervorgeht. Das sei ein Anstieg von 40 Prozent verglichen mit dem gleichen Zeitraum 2021 - vor dem Kriegsbeginn. 2022 wurden den Angaben zufolge gut 21 Millionen Kubikmeter LNG aus Russland nach Europa importiert.
Zum Vergleich: Laut Bundesnetzagentur flossen 2021 rund 927,1 TWh Erdgas aus Russland und GUS-Staaten durch Pipelines nach Deutschland. Ein Kubikmeter LNG enthält etwa 6120 kWh. Die 2021 in die Bundesrepublik importierte Menge entspricht also etwa 151,5 Millionen Kubikmeter LNG.
Schätzungsweise rund 5,3 Milliarden Euro hätten die EU-Länder in den ersten sieben Monaten des Jahres für das flüssige Erdgas ausgegeben und damit 52 Prozent der russischen Exporte gekauft, hieß es in dem Bericht. 2022 gingen den Angaben nach 49 Prozent der russischen LNG-Ausfuhren nach Europa, 2021 waren es 39 Prozent.
"Russisches Pipeline-Gas wird durch LNG per Tankschiff ersetzt"
Dabei sei Spanien bis Juli mit einem Bezug von 18 Prozent der zweitgrößte Abnehmer der gesamten russischen LNG-Verkäufe, nur China kaufe noch mehr (20 Prozent). 17 Prozent der Ausfuhren gingen den Angaben zufolge nach Belgien.
Jonathan Noronha-Gant von Global Witness sagte der "Financial Times": "Es ist schockierend zu sehen, dass sich viele EU-Länder von russischem Gas via Pipelines unabhängig gemacht haben, nur um es dann durch LNG per Tankschiff zu ersetzen."
Doch auch die EU-Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, dass die Gemeinschaft bis 2027 gar kein russisches Gas mehr bezieht, weder per LNG-Tanker, noch per Pipeline. Derzeit ist Russland mit 16 Prozent Anteil noch zweitgrößter Lieferant des verflüssigten Erdgases in die Gemeinschaft, nach den USA und vor Katar, Nigeria und Algerien.
Mit Informationen von dpa und AFP
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