Im Endspurt hatten CDU, CSU und die amtierende Kanzlerin nochmal alles gegeben. Zwei Tage vor der Wahl motivierte Angela Merkel die Anhängerschaft auf dem Münchner Nockherberg, tags darauf stärkte sie Kanzlerkandidat Armin Laschet bei der Abschlusskundgebung in dessen Heimat Aachen den Rücken. Der auch in Umfragen messbar effektive Schlussspurt brachte jedoch nur bedingt Erfolg.
Die ersten Hochrechnungen sehen die Union so schwach wie nie, ja sogar deutlich unter ihrem bisher schlechtesten Ergebnis bei einer Bundestagswahl (31,0 Prozent/1949) – und hauchdünn hinter der SPD. Der beinharte Machtkampf um die Kanzlerkandidatur und Laschets Auftritte im Flutgebiet dürften Mitschuld daran haben.
Allerdings verdeutlicht eine kurz vor dem Wahltag durchgeführte Vorwahlbefragung des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag der ARD: Der Absturz der Union hat noch andere Gründe – ebenso das Comeback der fast schon totgeglaubten SPD.
Die Kandidaten
Die Akzeptanz-Probleme haben Armin Laschet bis zum Schluss begleitet. Nur 25 Prozent der Menschen äußerten sich kurz vor der Wahl tendenziell zufrieden mit seiner Arbeit, nur 20 Prozent würden bei einer Direktwahl des Kanzlers für ihn stimmen. Sogar die FDP-Anhängerschaft votiert im Kanzlerkandidatenvergleich mehrheitlich für den SPD-Bewerber Olaf Scholz, das ist außergewöhnlich. Laschet hatte außerdem die eigenen Reihen also weniger geschlossen hinter sich als Scholz die seinen.
Scholz und Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock schneiden außerdem bei Fragen zur Krisen- und Kanzlerkompetenz sowie zur Ehrlichkeit deutlich besser ab. Interessant auch: Scholz punktet besonders stark in einer Gruppe, die früher traditionell der Union zugetan war: die der Über-65-Jährigen. Sehr gut bewerten die Bürgerinnen und Bürger den Hanseaten überdies in der Frage, ob er dem Amt als Kanzler gewachsen wäre (das sagen 95 Prozent). Kaum weniger Menschen sehen im Finanzminister die Fähigkeit, das Land durch eine Krise zu führen (91 Prozent). Die hohen Zufriedenheitswerte in der breiten Gesellschaft werden von der Konkurrenz nicht erreicht.
Die Themen
Das schwache Unions-Ergebnis lässt sich nicht allein an Laschet festmachen. Bei der Frage nach den Parteikompetenzen verbuchen CDU und CSU auf nahezu allen Themenfeldern dramatische Einbrüche im Vergleich zur letzten Wahl 2017. Geradezu spektakulär ist der Verlust in den Bereichen, in denen die Union sonst sehr stark ist: Wirtschaft (-25 Prozentpunkte), Kriminalitäts- und Verbrechenbekämpfung (- 15), Außenpolitik (-17). Auch in der Steuer-, Gesundheits-, Familien- und Asylpolitik rauschen die Werte nach unten, generell gab es in keinem einzigen Kompetenzfeld einen Zuwachs. Und: Nur noch 26 Prozent der Menschen trauten der Union vor dieser Wahl zu, die wichtigsten Aufgaben in Deutschland zu lösen. Vor vier Jahren waren es noch 49 Prozent.
Dass der unionsinterne wie parteiübergreifende Streit über die Asylpolitik nicht annähernd so groß war wie im Vorfeld der vergangenen Wahl, hat CDU und CSU wohl wenig gebracht – ebenso wenig ihr Corona-Management als führende Regierungspartei. Sowohl der Umgang mit der Corona-Pandemie als auch die Zuwanderungspolitik waren für die Menschen deutlich weniger wahlentscheidend als die Themen "Soziale Sicherheit", "Wirtschaft und Arbeit" sowie "Umwelt und Klima".
Der SPD ist es wiederum gelungen, ihre früheren Kernkompetenzen wieder stärker auszuspielen. Im Vergleich zu 2017 trauen ihr mehr Menschen zu, die Aufgaben "Altersversorgung", "angemessene Löhne" und "soziale Gerechtigkeit" zu lösen. Fast noch beeindruckender sind jedoch die Zuwächse in den schon erwähnten "klassischen" Unions-Feldern, wie etwa der Wirtschaft und bei der Inneren Sicherheit. Hier gibt es Kompetenzzugewinne von je acht Prozentpunkten im Vergleich zu 2017. Ein leichtes Plus steht auch bei Umwelt-, Klima-, Asyl- und Sicherheitsfragen.
Die Parteien
In der finalen Vorwahlbefragung von Infratest dimap lässt sich in der Bevölkerung eine Unzufriedenheit mit der Union ausmachen. Zwei Drittel der Befragten werfen CDU und CSU vor, sich in den vergangenen Jahren zu sehr mit Personen und Ämtern, aber zu wenig mit politischen Inhalten beschäftigt zu haben. Ähnlich viele finden, dass sich unter der Union die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet hat. Und mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger meint generell: Die Union habe lange genug regiert und solle nun mal in die Opposition gehen.
Passend dazu erhoffen sich nun signifikant mehr Menschen eine SPD-geführte anstatt einer Unions-geleiteten Regierung. Ein Wunsch, der sich durch alle Altersgruppen zieht, aber ausgerechnet in der (früher mehrheitlich der Union zugeneigten) Ü65-Gruppe besonders ausgeprägt ist. Ob die Sozialdemokraten bei dem sich anbahnenden knappen Wahlergebnis nun in eine gute Ausgangslage kommen, bleibt trotzdem abzuwarten.
Zwei weitere Antworten lassen vermuten, dass das Gesamtangebot der SPD diesmal offenbar gut ankam. So wird keiner anderen Partei so stark zugetraut, die wichtigsten Aufgaben in Deutschland zu lösen. Und auch bei der Frage nach der Ehrlichkeit schnitten die Sozialdemokraten am besten ab.
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