Die 20-jährige Charlie und der 19-jährige Samuel sind auf dem Weg zu einer Kochaktion. Mit zwei riesigen Tüten voller Lebensmittel: Karotten, Spinat, Brokkoli und vielem mehr - alles aus den Containern eines Supermarktes. Nachts haben sie die Lebensmittel rausgeholt. "Uns haben tatsächlich auf dem Rückweg zweimal Polizeiautos überholt, wo natürlich der Puls ordentlich hoch ging. Weil das das letzte Mal genau die Situation war, wo wir rausgezogen wurden", erinnert sich Charlie.
Containern ist Diebstahl
Der Grund für ihre Nervosität: Charlie und Samuel haben sich damit strafbar gemacht. Denn wer Lebensmittel aus Müllcontainern von Supermärkten holt, begeht Diebstahl. Bis jetzt. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Bundesjustizminister Buschmann haben sich dafür ausgesprochen, Containern unter bestimmten Voraussetzungen straffrei zu machen.
In einer gemeinsamen Pressemitteilung erklärt Marco Buschmann: "Wenn sich Menschen weggeworfene Lebensmittel mit nach Hause nehmen, ohne dabei eine Sachbeschädigung oder einen Hausfriedensbruch zu begehen, dann muss das nach meiner Meinung nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden." Die Voraussetzung für die Straffreiheit ist, dass die diejenigen, die containern, keinen Hausfriedensbruch begehen. Sie dürften also beispielsweise nicht über einen Zaun klettern, um an die Mülltonnen zu kommen. Auch Sachbeschädigung, zum Beispiel beim Knacken eines Schlosses, soll weiterhin unter Strafe stehen.
- Mehr zum Thema: Wann Containern nicht mehr bestraft werden soll
Gemischte Reaktion der bayerischen Politik
Katharina Schulze, die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Bayern, begrüßt den Vorschlag: "Ich bin sehr froh, dass Cem Özdemir zusammen mit der FDP jetzt vorangeht, denn das ist ein Baustein gegen Lebensmittelverschwendung." Der bayerische Justizminister, Georg Eisenreich, sagt: Der Vorschlag werde geprüft. Er findet aber, etwas anderes wäre viel wichtiger: "Dass zum Beispiel große Supermarktketten Lebensmittel, die noch genießbar sind, die noch verwendbar sind, abgeben können. Zum Beispiel an Bedürftige."
Aus Sicht von Charlie und Samuel ist eine Gesetzesänderung dringend notwendig. Die beiden wurden bereits beim Containern erwischt und wurden zu Sozialstunden verurteilt. Die haben sie bei der Tafel abgeleistet. Abgeschreckt hat sie das nicht: "Ich gehe trotz der potenziellen Strafe containern. Weil ich es wichtig finde, immer wieder aufs Neue aufzuzeigen, wie viel in den Tonnen landet. Und dann finde ich, dass es wichtig ist, diesen politischen Wirbel immer wieder aufs Neue aufzubringen."
Handelsverband sieht Vorschlag kritisch
Doch der Vorschlag der beiden Minister ist nicht unumstritten. Der Handelsverband hat sich gegen eine Straffreiheit beim Containern ausgesprochen. Containern sei "kein wirksamer Beitrag zur Reduktion von Lebensmittelverschwendung". Denn nur sieben Prozent der Lebensmittelabfälle fielen in den Supermärkten an. Bernd Ohlmann, der Geschäftsführer des Handelsverbands Bayern verweist auf einen anderen Bereich: "65 Prozent fällt in privaten Haushalten an. Es kommt auch niemand auf die Idee, verständlicherweise, alle privaten Abfallbehälter auf einmal für die "Mülltaucher" zur Verfügung zu stellen."
Außerdem gebe es gesundheitliche Risiken und rechtliche Fallstricke. Denn was passiert, wenn aus dem Container Lebensmittel gegessen werden, die zurückgerufen wurden, weil sie mit Plastik oder Metall verunreinigt sind? Der Verzehr solcher Lebensmittel kann gefährlich sein. Das Problem: Supermärkte haften grundsätzlich für Lebensmittel, die sie weitergeben. Egal, ob sie die verkaufen oder verschenken. Einige Supermarktbetreiber befürchten, dass diese Haftung dann auch für weggeschmissene Lebensmittel gelten könnte, sollte das Containern straffrei werden.
Nicht alle Lebensmittel, die Charlie und Samuel containert haben, können sie verwenden. Sie wollen aus den geretteten Sachen einen Eintopf kochen – vorher schauen sie aber noch mal alles durch. "Am meisten Bauchschmerzen macht mir der Spinat und der Brokkoli", sagt Charlie und sieht sich den Brokkoli genau an. Er ist nicht mehr grün und riecht unangenehm. Charlie schmeißt ihn in eine Mülltonne.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!