Die italienischen Behörden haben einem Schiff der deutschen Hilfsorganisation SOS Humanity mit 179 aus dem Mittelmeer geretteten Migranten an Bord die Einfahrt in einen Hafen von Sizilien erlaubt. Mehr als 140 Menschen verließen das Schiff "Humanity 1" in Catania, wie die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf eine Sprecherin von SOS Humanity berichtete.
Eine Gruppe von mehr als 30 Menschen durfte jedoch nicht vom Schiff. Zwei italienische Ärzte stuften sie als nicht dringend hilfsbedürftig ein. Der Kapitän widersetzte sich daraufhin der Anordnung, den Hafen wieder zu verlassen. Wie SOS Humanity mitteilte, wolle der Kapitän das erst tun, wenn alle an Land seien. Die Organisation Sea Watch nannte das Vorgehen Italiens "skandalös".
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Minderjährige und Kranke dürfen von Bord
Die neue italienische Regierung der ultrarechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will erreichen, dass die Länder, unter deren Flagge die privaten Rettungsschiffe fahren, die Migranten aufnehmen. Die "Humanity 1" erhielt den Zugang zum Hafen allein unter der Bedingung, nur Minderjährige und Menschen aussteigen zu lassen, die medizinische Hilfe benötigen. SOS Humanity führt dagegen an, alle Migranten an Bord seien aus dem Wasser gerettet worden und hätten nach internationalem Recht deshalb Anspruch auf einen sicheren Hafen.
Der einzige schwarze Abgeordnete des italienischen Parlaments, Abourbakar Soumahoro, nahm die "Humanity 1" im Hafen von Catania in Empfang. Er bezeichnete die Schließung der italienischen Häfen für NGO-Schiffe durch die Regierung als Schande. "Im Hafen von Catania ist gerade eine selektive Ausschiffung im Gange", schrieb Soumahoro auf Twitter. Die Schiffbrüchigen seien von Kälte, Müdigkeit, Trauma und Folter erschöpft und würden nun von der Regierung Melonis als Objekte betrachtet.
Sollten die auf dem Schiff verbleibenden Migranten abgewiesen werden, "werden wir diese Entscheidung in allen geeigneten Institutionen anfechten", kündigte Soumahoro auf Twitter bereits vor der Aufforderung der Behörden an, die "Humanity 1" müsse den Hafen von Catania verlassen.
Deutschland und Frankreich wollen Migranten aufnehmen
Innenminister Matteo Piantedosi sagte am Freitag, die "Humanity 1" dürfe nur so lange in italienischen Gewässern bleiben, bis Minderjährige und Menschen, die dringend medizinische Hilfe benötigen, von Bord gegangen sein. Diese Entscheidung wurde getroffen, nachdem Deutschland und Frankreich Italien aufgefordert hatten, den Migranten einen sicheren Hafen zu gewähren. Die beiden Länder hatten mitgeteilt, sie wollten einen Teil der Migranten aufnehmen, damit Italien diese Aufgabe nicht allein zufalle.
Am Sonntagnachmittag sollten sich weitere 572 Migranten auf der unter norwegischer Flagge fahrende "Geo Barents" in Catania ebenfalls einer Prüfung unterziehen, wer an Land darf - also "gefährdet" sei, wie es die Regierung zugesagt hatte. "Sobald wir da sind, werden wir sehen, was sie mit gefährdeten Menschen meinen, und ob auch andere Leute von Bord gehen können oder nicht", sagte Riccardo Gatti, Leiter der Rettungseinsätze auf der "Geo Barents" vor der Ankunft.
"Wir warten seit zehn Tagen auf einen sicheren Ort, um die 572 Überlebenden an Land zu bringen", sagte der Missionchef der "Geo Barents" von Ärzte ohne Grenzen, Juan Matias Gil. Viele Menschen an Bord litten nach Angaben der Organisation an Haut- und Atemwegsinfektionen sowie unter dem Stress der langen Reise.
Schiffe suchen sicheren Hafen
Die "Rise Above" der deutschen Organisation Mission Lifeline mit 93 Menschen lief am Wochenende in italienische Gewässer östlich von Sizilien ein. Sie suchte dort Schutz vor schwerem Wetter, erhielt jedoch trotz wiederholter Bitten keine Erlaubnis zum Einlaufen in einen Hafen.
Die von der Hilfsorganisation SOS Méditerranée betriebene "Ocean Viking" mit 234 Migranten blieb in internationalen Gewässern, südlich der Straße von Messina. Auch ihre Anfragen nach einem Hafen blieben bisher unbeantwortet.
Salvini: Rettungsschiffe ermutigen Schleuser
Infrastrukturminister Matteo Salvini, der für seine migrationsfeindliche Haltung bekannt ist, begrüßte die neue Richtlinie im Umgang mit den Schiffen, die er zusammen mit dem Verteidigungs- und dem Innenminister unterzeichnete. "Wir wollen nicht länger Geisel dieser ausländischen und privaten NGOs sein, die die Routen, den Verkehr, den Transport und die Migrationspolitik organisieren", sagte Salvini in einem Facebook-Video. Er bekräftigte, die Präsenz der Schiffe ermutige die Schleuser.
Nichtregierungsorganisationen weisen das zurück. Sie erklären, sie seien nach dem Seerecht verpflichtet, Menschen in Not zu retten. Küstenstaaten hätten wiederum die Pflicht, so schnell wie möglich einen sicheren Hafen bereitzustellen.
Mit Informationen von dpa, AP und AFP
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