Am Montag wird weiter in einigen Städten gegen Rechtsextremismus protestiert - nachdem am Wochenende bereits Hunderttausende Menschen in ganz Deutschland auf die Straße gegangen waren. Politiker und Politikerinnen zeigen sich weiter beeindruckt von der großen Zahl an Demonstrierenden – und fordern Konsequenzen.
"Ermutigendes Zeichen": Politiker und Politikerinnen loben Proteste
"Diese Menschen machen uns allen Mut. Sie verteidigen unsere Republik und unser Grundgesetz gegen seine Feinde. Sie verteidigen unsere Menschlichkeit", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Video-Botschaft. "Die Zukunft unserer Demokratie hängt nicht von der Lautstärke ihrer Gegner ab – sondern von der Stärke derer, die die Demokratie verteidigen." Nötig sei ein Bündnis aller Demokratinnen und Demokraten.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Montag, Externer Link): "Das Herz unserer Demokratie schlug an diesem Wochenende auf unseren Straßen und Plätzen." Das Signal an die mehr als 20 Millionen Menschen in Deutschland mit einer Einwanderungsgeschichte sei: "Wir gehören zusammen."
Auch CDU-Chef Friedrich Merz hat die bundesweiten Demonstrationen gelobt, jedoch gleichzeitig davor gewarnt, die AfD eine Nazi-Partei zu nennen. "Ich finde, das ist ein äußerst ermutigendes Zeichen einer lebendigen Demokratie, dass sich in einer so großen Zahl Menschen auf die Straße begeben", sagte Merz am Sonntagabend in der ARD-Sendung Caren Miosga.
Rufe nach Konsequenzen: "Bundesregierung muss handeln"
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nannte die Aktionen "eine beeindruckende Demonstration einer selbstbewussten Zivilgesellschaft". Der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Montag) sagte Kühnert: "Es ist wichtig, dass der Schwung der letzten Tage nun nicht abebbt. Aus den vielen Kundgebungen muss ein noch viel nachhaltigerer Einsatz für unsere Demokratie werden."
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nannte die Proteste "bewegend" und forderte im "Bericht aus Berlin" im ARD-Hauptstadtstudio: "Die Bundesregierung muss handeln. Wir alle haben eine staatsbürgerliche Verantwortung, mitzutun." Er sei überzeugt, dass es gelingen könne, "diesem Land weitere Jahrzehnte von Stabilität und Wohlstand zu geben".
Der Soziologe Klaus Hurrelmann wertete die Demonstrationen als Beleg für einen Stimmungswandel in der Bevölkerung. "Die Proteste gegen rechts wirken auf mich wie ein Befreiungsschlag von Gruppen der Bevölkerung, die wegen Corona und der vielen anderen Herausforderungen sehr lange mit sich selbst beschäftigt waren und fast übersehen hätten, was alles auf dem Spiel steht", sagte er der "Augsburger Allgemeinen" (Montag, Externer Link)). Die Bundesregierung sei nun angehalten, "jetzt offen und direkt auf die konstruktiven Kräfte in allen Gruppen der Gesellschaft aktiv einzugehen und sie aufzufordern, sich an der Lösung der anstehenden Probleme zu beteiligen".
Grünen-Chef Nouripour plädiert für Verbot der Jungen Alternative
Grünen-Chef Omid Nouripour sprach sich vor dem Hintergrund der Proteste für ein Verbot der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) aus. "Im Kampf gegen Rechtsextreme darf der Rechtsstaat die Vorfeldorganisationen der AfD nicht aus dem Blick verlieren", sagte Nouripour dem ARD-Hauptstadtstudio. Diese spielten eine entscheidende Rolle bei der Vernetzung und dem Erstarken von Hass und Hetze. "Vereine wie die Junge Alternative arbeiten offen gegen unsere Demokratie und müssen verboten werden", sagte er. "Das wäre ein wirksamer Schlag des Rechtsstaats gegen extremistische Strukturen."
Der thüringische Innenminister Georg Maier (SPD) begrüßt die Forderung von Nouripour. Doch könnte nach Maiers Worten ein Verbot der JA relativ schnell durch neue Strukturen kompensiert werden. Deshalb müsse man das Hauptaugenmerk auf die AfD und insbesondere den thüringischen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke richten. Auch die Linke hatte bereits für ein Verbot der JA plädiert. Die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert sagte der dpa: "Ein Verbot der JA wäre deutlich einfacher und schneller möglich, da sie nicht durch einen Parteienstatus geschützt ist. Ein Verbot wäre hier durch einen einfachen Ministerialerlass möglich."
Ampel diskutiert Streichung staatlicher Zuschüsse für AfD
In der Bundesregierung ist indes bereits eine Sanktionierung der AfD unterhalb der Schwelle eines Parteiverbots im Gespräch. Das im Grundgesetz verankerte Verfahren zum Ausschluss von der Parteienfinanzierung sei "ein wichtiges Element des wehrhaften Staates, verfassungsfeindlichen Parteien staatliche Mittel deutlich zu kürzen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, der Zeitung "Handelsblatt" (Montagausgabe, Externer Link). Fechner verwies auf ein für Dienstag erwartetes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Frage, ob die rechtsextreme NPD weiter von der staatlichen Parteienfinanzierung profitieren kann. "Danach wissen wir Näheres über die konkreten Hürden eines solchen Verfahrens", sagte Fechner. "Das kann dann auch andere Parteien betreffen", fügte er mit Blick auf die AfD hinzu.
Die Grünen sehen in der Streichung staatlicher Gelder eine mögliche Option, weisen aber ebenfalls darauf hin, dass auch diese Maßnahme "sehr voraussetzungsvoll" sei. "Genau wie bei einem Parteienverbot sind die Verfassungsorgane gefordert, unter Berücksichtigung der Einschätzung der Sicherheitsbehörden rechtliche Schritte sorgfältig abzuwägen", sagte die Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic dem "Handelsblatt". Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte bereits zuvor die Streichung von Finanzmitteln für die AfD aus der staatlichen Parteienfinanzierung ins Gespräch gebracht.
Union: Maßnahmen bezüglich Parteifinanzierung "genau abwägen"
Die Union sieht die Parteienfinanzierung im Kampf gegen die AfD mit Skepsis. Der Entzug staatlicher Mittel setze die Einstufung der Partei als verfassungsfeindlich voraus, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), der Zeitung. Damit hätte das Bundesverfassungsgericht den gleichen Prüfaufwand wie bei einem Verbotsverfahren. "Die Ampel sollte daher genau abwägen, ob sie mit ihren Gedankenspielen nicht der AfD in die Hände spielt und zu einer weiteren Mobilisierung der Extremisten beiträgt."
Söder: Demos auch "Weckruf für die Ampel"
Söder bezeichnete die Proteste gegen Rechtsextremismus als "sehr gutes Signal". Gleichzeitig seien sie ein "Weckruf für die 'Ampel', viele Dinge zu ändern", sagte er am Montag im "Morgenmagazin" von ZDF und ARD. "Die Straße ist das eine. Die eigentliche Politik muss ja parallel passieren, und da ist im Moment viel zu wenig geboten. Mit "wenigen, aber klaren Entscheidungen" in den Bereichen Migration, Wirtschafts- und Energiepolitik müsse das "Schiff wieder auf Kurs gebracht" werden, forderte Söder und führte aus, dass viele Menschen die AfD nicht wegen ihrer Inhalte wählten, sondern weil sie dies als einzige Möglichkeit für einen Weckruf sähen.
Zur Äußerung seines stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler), dass die Demonstrationen "vielfach von Linksextremisten unterwandert" seien, sagte Söder: "Die ganz große Mehrheit waren Bürgerliche, waren Vertreter der normalen Mitte der Gesellschaft." Er bezeichnete die AfD erneut als verfassungsfeindlich und forderte, dass die Behörden weiter Informationen über sie sammeln sollten. In dem Bereich gebe es noch viel Arbeit. Ein Parteiverbotsverfahren hält der CSU-Chef für "extrem schwierig".
Im Video: Ministerpräsident Söder zu den Protesten
Schwesig fordert besseren Stil von Ampel-Koalition
Auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig fordert grundsätzliche Änderungen beim Stil der Bundesregierung. Die Ampel-Koalition streite bis heute viel zu viel, sagte die SPD-Politikerin dem "Tagesspiegel" (Montag, Externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt). Sie kritisierte auch zu kurzfristig getroffene Entscheidungen. Das müsse sich ändern. Es gehe "in diesen harten Zeiten um nicht weniger als die Frage, ob wir unsere freiheitliche Demokratie bewahren können. Viele Menschen haben das Vertrauen in die aktuelle Politik verloren."
Hoher Andrang bei Demos in Bayern und bundesweit
Bayernweit waren am Wochenende nach Polizeieinschätzung Menschen auf die Straße gegangen. In der Landeshauptstadt war der Andrang so groß, dass der Veranstalter die Demo nach Absprache mit der Polizei nach rund einer Stunde beendete. Die Sicherheit der Teilnehmer sei nicht mehr zu gewährleisten, sagte ein Polizeisprecher. Der Veranstalter sprach von 250.000 Demonstrierenden, die Polizei von 100.000. Mitte der Woche hatte die Stadt noch mit 10.000 bis 20.000 gerechnet. Laut Polizei entfernte sich dann ein Großteil der Demonstranten friedlich vom Versammlungsort. Etwa 2.500 Menschen seien anschließend zu einer Spontanversammlung zusammengekommen, die gegen 16.45 Uhr aufgelöst worden sei.
"Ich bin überwältigt von dem Zeichen, das die Münchnerinnen und Münchner heute für die Demokratie und gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze gesetzt haben! Danke München!", sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). In Nürnberg kamen nach Polizeiangaben etwa 15.000 Menschen zusammen. In Würzburg zählte die Polizei bis zu 3.000 Menschen, in Aschaffenburg etwa 800. In Bamberg nahmen laut Polizei rund 6.000 Menschen teil. In Regensburg sprach die Veranstaltungsleitung am Abend von bis zu 13.000 Teilnehmern. Erste Schätzungen der Polizei gingen von "Minimum 3.000 Teilnehmern" aus. In Coburg sind am Sonntag rund 4.000 Menschen dem Aufruf das Wertebündnis "Wir sind bunt: Coburg Stadt und Land" zu einer Kundgebung gefolgt. Diese aktualisierte Zahl hat die Polizei Coburg auf BR-Anfrage mitgeteilt.
Weitere Proteste am Montag
Nicht nur in Bayern, sondern bundesweit protestierten Menschen am Wochenende – beflügelt durch die Enthüllungen des Recherchezentrums "Correctiv" über ein Treffen von Rechtsextremisten am 25. November 2023, an dem AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen hatten. Am Montag sollen die Proteste weitergehen, angemeldet sind Demonstrationen etwa in Bayreuth, im sächsischen Freiberg und im ostwestfälischen Paderborn.
Mit Informationen von dpa, KNA, AFP, epd und Reuters sowie mit Meldungen der Korrespondenten und Korrespondentinnen Rauch, Kirschner, Bischof und Föckersperger.
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