Israelische Militärfahrzeuge
Bildrechte: picture alliance / Anadolu | Mostafa Alkharouf
Videobeitrag

Israelische Militärfahrzeuge

Videobeitrag
>

Erwartete Bodenoffensive: Was will Israel in Gaza erreichen?

Erwartete Bodenoffensive: Was will Israel in Gaza erreichen?

Nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober mit rund 1.400 Toten schien ein Gegenschlag Israels unmittelbar bevorzustehen. Von einer Bodenoffensive wird seitdem gesprochen. Warum die Entscheidung dazu bisher noch nicht gefallen ist.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Fünf Tage nach dem blutigen Überfall auf Israel fielen Flugblätter auf Gaza: Mehr als eine Million Menschen im Norden des Gaza-Streifens wurden aufgerufen, sich im Südteil des Küstenstreifens in Sicherheit zu bringen. Gerade mal 24 Stunden Zeit sollte es dafür geben. Zu einer Bodenoffensive, dem Einsatz von israelischen Soldaten und Panzern in Gaza, ist es zwei Wochen später aber noch nicht gekommen.

Einsatz mit Soldaten in Gaza wird verlustreich

Die Entscheidung zu einem solchen Einsatz ist der israelischen Regierung auch in vorangegangenen Gaza-Kriegen nicht leichtgefallen. Gefechte in einem dicht besiedelten Stadtgebiet gelten allgemein als große Herausforderung. Die Befehlshaber müssen davon ausgehen, dass sie viele ihrer Soldaten verlieren. Im Gaza-Streifen besteht zudem die Gefahr, dass israelische Soldaten in Gefangenschaft der Hamas geraten.

Im Gaza-Krieg im Sommer 2014 war es das erklärte Ziel der israelischen Armee, die Tunnelanlagen der bewaffneten Palästinensergruppen zu zerstören. Die führten teils aus dem Palästinensergebiet unter den Sperranlagen der israelischen Armee hindurch und wurden für Terror-Überfälle genutzt. Teils verbinden die Tunnel damals wie heute Gebäude miteinander. Im Fall einer Bodenoffensive der israelischen Armee geben sie der Hamas und anderen Gruppen einen entscheidenden Vorteil.

Erklärtes Ziel: Hamas "vernichten"

Jetzt, neun Jahre später, will Israel mehr erreichen. Erstens: Die Hamas und ihre militärischen Fähigkeiten sollen zerstört werden. Zweitens: Terror-Angriffe aus dem Gaza-Streifen heraus sollen unmöglich gemacht werden. Drittens: Die Regierung will alles unternehmen, um die mehr als 200 Geiseln zu befreien. Viertens: Die Grenzen Israels und die Bewohner sollen dauerhaft sicher sein vor Angriffen.

Die Hamas zu zerstören, soll nach Einschätzung der israelischen Politikwissenschaftlerin Mairav Zonszein von der "International Crisis Group" nicht nur heißen, die führenden Männer der Organisation zu töten, sondern alle ihre Mitglieder. Offiziell bleibt es aber offen, ob die israelische Regierung nur den militärischen Teil der Hamas beseitigen will oder auch die Hamas als politische Organisation.

Das zweite Ziel lässt sich konkreter beschreiben: Geplant ist, das Waffenarsenal der Hamas zu zerstören, genauso wie die Gebäude, in denen sie Raketen herstellen lässt. Nur, wie gut weiß die israelische Seite über diese Orte in der jetzigen Situation noch Bescheid?

Tunnel zerstören, Geiseln retten

Sollte es zu einer Bodenoffensive kommen, hätten die israelischen Soldaten zumindest die Möglichkeit, Teile des weit verzweigten Tunnelsystems zu entdecken und zu sprengen. Allerdings könnten viele der israelischen Geiseln genau dort, unterirdisch, versteckt sein. Eine der freigelassenen Frauen hat das gerade erst bestätigt. Für Politik und Militär in Israel ist das ein Dilemma.

Es ist außerdem unklar, wie genau eine solche Operation aussehen würde. Denkbar ist der Einsatz von kleineren Kommando-Einheiten, unterstützt von Angriffen aus der Luft. Oder aber Israels Militär schickt tatsächlich Panzer und Infanterie-Einheiten nach Gaza hinein. In beiden Szenarien muss Israel befürchten, dass eine große Zahl von Soldaten getötet wird.

Angst vor Sprengfallen und Minen

Schließlich hatten Hamas und andere bewaffnete Gruppen ausreichend Zeit, sich vorzubereiten. Die israelischen Soldaten müssen mit vermintem Gelände rechnen, mit Sprengfallen und Angriffen aus dem Tunnelsystem heraus und von höheren Gebäuden.

Ein solcher Einsatz könne Wochen oder Monate dauern, vielleicht auch länger, sagen Analysten. Gleichzeitig mahnen US-Präsident Biden genauso wie UN-Generalsekretär Guterres, Israel müsse die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen so weit möglich schützen. Allein die Lage von Hunderttausenden Geflüchteten im Süden des Küstenstreifens, die ihre Wohnungen und Häuser im Norden verlassen mussten, wird von Tag zu Tag schwieriger: Sie campieren mit zahlreichen Kindern auf der Straße, sind kaum versorgt. Der Druck auf die israelische Regierung wird wachsen.

Gaza ohne Hamas - Was soll danach kommen?

US-Präsident Biden stellt hinter verschlossenen Türen wohl aber auch strategische Fragen. Die New York Times schreibt mit Verweis auf Quellen aus dem Weißen Haus, Biden sei besorgt, ob die genannten Ziele Israels überhaupt zu erreichen seien. An welchem Punkt also könnte Israels Regierung von einem Erfolg einer Bodenoffensive sprechen und den Einsatz beenden?

Und: Sollte die Hamas führungslos oder "vernichtet" sein, wer würde dann in Gaza regieren? Eine neuerliche Besatzung will in Israel kaum jemand. Sie war militärisch nicht zu halten und der Rückzug 2005 war schwierig genug.

Abbas ist keine Option

Könnten also die Fatah und Palästinenserpräsident Abbas in Ramallah im Westjordanland übernehmen? Wohl kaum: Sie erscheinen so schwach, dass ihnen kaum jemand zutraut, sich in Gaza durchzusetzen, abgesehen davon, dass das wohl nicht im Interesse Israels wäre.

Auch die Verwaltung etwa durch die Vereinten Nationen scheide aus israelischer Sicht aus, sagt Robert Blecher vom Thinktank "International Crisis Group": Israel habe sich in Sicherheitsfragen schließlich noch nie auf fremde Hilfe verlassen. Blecher kommt zum Schluss, dass Israel es wohl auch nach diesem Krieg in irgendeiner Form mit der Hamas in Gaza zu tun hat, das Ziel einer "Vernichtung der Hamas" also auch aus politischen Überlegungen heraus nicht realistisch sein könne.

Damit wird deutlich: In Israel steht die Regierung Netanjahu vor schwierigen Entscheidungen. Die Familien der Verschleppten fordern, alles für die Freilassung der Geiseln zu tun. Gleichzeitig ist der Ruf laut nach Rache, Vergeltung, nach einem harten Gegenschlag, auch um Abschreckung wiederherzustellen. Ob und in welcher Form es zu einer Bodenoffensive kommen wird, ist schwer abzuschätzen. Sicher ist nur, dass es noch mehr Todesopfer geben wird.

Im Audio: Lage in Israel und dem Gazastreifen Mittwochmittag

Ein Bagger arbeitet an zerstörten Gebäuden nach israelischen Luftangriffen im Gazastreifen.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Rizek Abdeljawad
Audiobeitrag

Ein Bagger arbeitet an zerstörten Gebäuden nach israelischen Luftangriffen im Gazastreifen.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!