Die Vorschläge aus dem Verkehrsausschuss haben es in sich: Für Fahranfängerinnen und -anfänger soll Tempo 90 gelten. Nachts zu fahren, könnte ihnen verboten werden. Nach dem Führerschein auf Probe sollen sie eine zweite Prüfung machen. Für schwere Pkws soll die neue Führerscheinklasse B Plus eingeführt werden – unter 21 soll man damit nicht unterwegs sein dürfen. Und ab 60 soll der Führerschein nur noch sieben Jahre lang gültig sein, dann soll man ihn neu machen.
Die EU-Kommission hatte Anfang Mai eine Reform der Führerschein-Richtlinie präsentiert. Vieles soll vereinheitlicht werden, zum Beispiel das "begleitete Fahren" für Fahranfänger – noch ist es nicht überall in Europa zugelassen. Bei älteren Menschen ab 70 soll die Fahrtauglichkeit regelmäßig überprüft werden. Nun hat sich der Verkehrsausschuss des Europaparlamentes dem Thema angenommen und fordert eine drastische Verschärfung der Regeln.
Verkehrsausschuss-Chefin: Sicherheit von Radfahrern und Co mitdenken
Das Papier stammt von der Chefin des EU-Verkehrsausschusses Karima Delli (Fraktion Die Grünen/EFA). Die Vorstellungen der 44 Jahre alten Französin gehen weit über reine Führerschein-Reformen hinaus: Beim Führerschein dürfe es nicht mehr nur ums Auto gehen. Vor allem müsse die Sicherheit für andere erhöht werden – etwa jene, die mit dem Fahrrad unterwegs sind. Darauf müsse die Fahrausbildung viel mehr ausgerichtet werden. "Es birgt immer noch zu viele Risiken, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, die Kinder in der Schule abzusetzen oder sie alleine fahren zu lassen", sagt Delli.
Karima Delli nutzt ihren Einfluss an der Spitze des Verkehrsausschusses und als Berichterstatterin. Hier hat sie das Recht, als Erste zu sagen, wohin die Reise gehen soll. Der Widerspruch kam prompt. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat die Vorstöße scharf zurückgewiesen. Die Vorschläge seien "empörend", da sie "voll zu Lasten der Älteren und Jüngeren im ländlichen Raum" gingen, sagte der FDP-Politiker der "Augsburger Allgemeinen". Wissing nannte die Vorschläge einen "massiven Eingriff in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger". Mobilität sei ein Grundbedürfnis der Gesellschaft, betonte der FDP-Politiker.
"Unverhältnismäßig": ADAC und European Automobile Clubs üben Kritik
Der Verbund European Automobile Clubs (EAC) unterstütze grundsätzlich die Bemühungen zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit. Die Änderungsvorschläge von Delli schränkten Fahranfänger und Senioren jedoch unverhältnismäßig ein und beeinflussten die Straßenverkehrssicherheit negativ.
Ist das Familienauto zu schwer, könnten Fahranfänger ihre Fähigkeiten etwa nicht mehr festigen. Der ADAC lehnt die Überprüfung der Fahreignung für bestimmte Altersgruppen ab. Zwar könne es mit zunehmendem Alter zu Leistungseinbußen kommen, doch das Unfallrisiko älterer Autofahrer sei nicht außergewöhnlich hoch.
"Völlig inakzeptabel": FDP warnt vor Tempolimit durch die Hintertür
Bedenken gegen die Vorschläge hat auch Thomas Rudner, der für die SPD im Verkehrsausschuss des Europaparlamentes sitzt: "Die grünen Vorschläge sind nicht besonders geeignet, die Verkehrssicherheit zu erhöhen". Das gelte auch für ein mögliches Nachtfahrverbot zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens für bestimmte Altersgruppen: "Wenn man weiß, wie der öffentliche Nahverkehr strukturiert ist, vor allem auf dem Land, weiß man, dass das nicht geht", sagt Rudner, der aus Bayern kommt. Auch eine kürzere Führerscheingültigkeit für ältere Menschen sieht er kritisch.
Der FDP-Verkehrspolitiker Jan-Christoph Oetjen warnte vor möglichen Folgen, falls sich die Grünen durchsetzen. Vor allem einen zusätzlichen Führerschein für schwere Pkws dürfe es nicht geben. Am Ende wäre es dann auch nicht mehr möglich, Elektroautos zu fahren, die grundsätzlich mehr Gewicht hätten als Verbrenner.
"Das ist völlig inakzeptabel und geht an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei. Anstatt es schwieriger zu machen, sollten wir lieber entbürokratisieren." Die FDP warnt in diesem Zusammenhang auch vor einem möglichen Tempolimit durch die Hintertür unter dem Deckmantel der Verkehrssicherheit.
"Abenteuerlich": CDU-Politiker hält Verbote für absurd
Der CDU-Verkehrspolitiker im EU-Parlament, Jens Giesecke, spricht von absurden Verboten. Europa solle lieber schlanke Lösungen und gute Standards anbieten. "Besonders abenteuerlich finde ich den Vorschlag, dass die Fahrlehrer verpflichtet werden sollen, Alternativen aufzuzeigen zum Auto – nämlich Bahnfahren und Busfahren. Das ist ehrlich gesagt weit weg von jeder Realität." Außerdem werde damit der Umstieg auf Elektromobilität erschwert: Man könne nicht schwere Batterien in die Autos bauen und im Gegenzug neue Gewichtsgrenzen beim Führerschein beschließen.
In den kommenden Wochen soll auch über die Ideen der anderen Fraktionen verhandelt und abgestimmt werden, bevor sich das Europaparlament als Ganzes eine Meinung bilden soll. Das Gesetzgebungsverfahren steht noch am Anfang. Auch die EU-Mitgliedsstaaten haben weitgehende Rechte in diesem Bereich. Dass es beim ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission bleibt, damit rechnet der CDU-Parlamentarier Gieseke nicht: "Und die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Grünen mit ihren Verschärfungen durchsetzen, liegt bei fünf Prozent", erwartet er.
Es sei aber auch möglich, dass die Führerscheinreform ganz an die Wand gefahren werde, wenn sie im Streit endet und der Streit bis zur Europawahl im Sommer 2024 nicht beigelegt werden kann. "Das war heute echt ein klassisches Eigentor und ein krasser Rückschritt."
"Künstlicher Sturm im Wasserglas": Bayerische Europaabgeordnete gibt Entwarnung
Auch die bayerische Europaabgeordnete und stellvertretende Leiterin der deutschen Grünen Europaabgeordneten Henrike Hahn (Bündnis 90/ Die Grünen), erwartet nicht, dass die Vorschläge zum Führerschein so kommen werden. "Hier wird ein künstlicher Sturm im Wasserglas entfacht - denn zur Wahrheit gehört auch dazu, zu sagen, dass wir gerade am Anfang eines parlamentarischen Prozesses stehen", betont sie gegenüber BR24. Es gehe um einen ersten Vorschlag für die Verhandlungen zu einer Parlamentsposition, die gemacht wurden. "Wir als deutsche Grüne haben von Anfang an dazu ausdrücklich klare und starke Bedenken angemeldet", sagt sie. Nachtfahrverbot, neue Führerschein-Kategorie, Tempolimits und eine Gesundheitsprüfung für ältere Fahrer lehnten die deutschen Grünen ab. "Es ist aus unserer Sicht problematisch, sicherheitstechnische und klimapolitische Mängel über die Führerscheinrichtlinie beheben zu wollen", fügt Hahn hinzu.
Verkehrspolitikerin Karima Delli sieht das nicht so. Am Ende gehe es um mehr Sicherheit und auch um mehr Umweltschutz. Das sei kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Mit Informationen von AFP
Dieser Artikel ist erstmals am 20. September 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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