Es war der Showdown um ein seit langem umstrittenes Gesetz: Das EU-Parlament hat mit knapper Mehrheit für das Naturschutzgesetz zur Renaturierung gestimmt - gegen die Stimmen insbesondere der Christdemokraten. Insgesamt votierten in der entscheidenden Abstimmung 336 Abgeordnete für den Kommissionsvorschlag, 300 stimmten dagegen, 13 enthielten sich.
Kommission will Renaturierungsquoten einführen
Damit könnte das Vorhaben - ein wichtiger Baustein der EU-Umweltpolitik - noch vor den Europawahlen im kommenden Jahr verabschiedet werden. Sicher ist dies aber nicht. Vor allem die konservative Europäische Volkspartei (EVP) lief gegen das Vorhaben Sturm.
Nach Plänen der EU-Kommission soll es bis 2030 für mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresgebiete der EU sogenannte Wiederherstellungsmaßnahmen geben. Konkret geht es beispielsweise um die Wiederaufforstung von Wäldern, die Begrünung von Städten sowie um die Renaturierung von Mooren, die trockengelegt wurden.
Christdemokraten an der Seite der Bauernverbände
Die Christdemokraten unterstützen die Sorge großer Bauernverbände, dass Landwirte durch Vorgaben zu sehr eingeschränkt werden könnten. Die EVP kritisiert unter anderem, dass das Vorhaben negative Folgen für die Lebensmittelproduktion habe. Für das sogenannte Gesetz zur Wiederherstellung der Natur sprachen sich dagegen zahlreiche große Unternehmen wie Ikea und H&M sowie auch Lebensmittelkonzerne wie Unilever und Nestlé aus. Zudem warben Umweltschutzorganisationen, Wissenschaftler, Verbraucherschützer und auch einige Bauernorganisationen dafür.
"Das ist ein schlechtes Gesetz, das überarbeitet werden muss", hielt CSU-Mann Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, dagegen. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte Weber, er beobachte schon jetzt eine "schleichende Deindustrialisierung", die sich nicht weiter verschärfen dürfe: "Die letzten vier Jahre waren zurecht geprägt von der Umweltgesetzgebung. Die nächsten fünf Jahre werden eindeutig geprägt sein von Wettbewerbsfähigkeit und Jobs."
Umweltverbände begrüßen Gesetz
Die Umweltschutzorganisation WWF teilte mit: "Die Bedeutung des Renaturierungsgesetzes kann man gar nicht hoch genug einschätzen." Indem Ökosysteme in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden, wappne sich die Menschheit auch besser gegen den Klimawandel - indem beispielsweise hitzeresistentere Wälder entstehen und Böden durch intakte Wasserversorgung nicht mehr austrocknen.
Der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss sagte: "Sollte die Abstimmung scheitern, wird es kein Gesetz geben." Damit jedoch würde sich die Europäische Union weltweit blamieren und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine herbe Niederlage einstecken, warnte Bloss. Das Gesetz ist Teil des so genannten "Green Deal" der EU-Kommission. Dabei ist von der Leyen selbst Mitglied der EVP.
DUH spricht von "beispielloser Desinformationskampagne"
"Die heutige Abstimmung ist ein wichtiger Sieg für den Natur- und Klimaschutz und den demokratischen Gesetzgebungsprozess", erklärte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner, am Mittwoch. Das neue Gesetz sei eine wichtige Grundlage zur Bekämpfung des Artensterbens und der Klimakrise.
Auch der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sprach von einem "historischen" Erfolg. "Erstens, weil uns das Nature Restoration Law vor Hitze, Flut und Missernten schützen kann", erklärte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger, "und zweitens, weil sich im Europäischen Parlament das Verantwortungsbewusstsein für künftige Generationen durchgesetzt hat". Allerdings sei dafür ein hoher Preis gezahlt worden.
Der Gesetzgebungsprozess sei von einer "beispiellosen Desinformationskampagne konservativer und rechter Kräfte" begleitet worden, beklagte die DUH. Mit ihrer "kurzsichtigen und populistischen Wahlkampfpolitik" schade die konservative EVP den Bürgerinnen und Bürgern. Zudem hätten die Abgeordneten auf dem Weg zur Abstimmung "viele wichtige Verpflichtungen geopfert", erklärte der Nabu. Das Gesetz bleibe trotz des Erfolgs weit entfernt von dem, was aus wissenschaftlicher Sicht für den Naturschutz nötig wäre.
Nun sind die EU-Länder am Zug
Am Tag vor der Abstimmung hatten Klimaaktivisten und Landwirte in Straßburg für beziehungsweise gegen das Vorhaben demonstriert. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg nahm am Dienstag vor dem Parlamentsgebäude an einer Aktion der Gruppe Fridays for Future teil. Unweit davon versammelten sich Landwirtinnen und Landwirte, viele von ihnen aus Deutschland, um gegen das sogenannte Renaturierungsgesetz zu demonstrieren.
Mit der Zustimmung des Parlaments können nun die Verhandlungen mit den ebenfalls beteiligten EU-Staaten beginnen. Diese hatten sich vor gut drei Wochen auf eine Position zu dem Vorhaben verständigt. Nun muss noch ein endgültiger Kompromiss gefunden werden, damit die neuen Vorgaben in Kraft treten können. Auch die rechtsnationale ID-Fraktion, der etwa die AfD angehört, andere Konservative sowie einige Liberale hatten sich vor der Abstimmung gegen das Gesetz ausgesprochen.
Mit Informationen von dpa, epd und AFP
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