In Ländern wie den USA, Brasilien oder Argentinien sind sie schon lange fester Bestandteil der Landwirtschaft: Gentechnisch veränderte Pflanzen. Auf deutschen Feldern sucht man sie bisher vergeblich.
Ein Grund: Bisher ist in der EU nur ein einziges genverändertes Saatgut zugelassen – der Mais MON810. De facto wird er aber nur in Spanien und Portugal kommerziell angebaut. Das könnte sich aber bald ändern, denn die EU will die Regeln für "Neue Gentechnische Verfahren" (NGT) lockern.
Was sind "Neue Gentechnische Verfahren"?
Das sind Verfahren, bei denen Eigenschaften im Erbgut (Genom) eines Organismus verändert werden, ohne dabei artfremde DNA einzuschleusen. Ein Ziel kann dabei beispielsweise sein, die Pflanze resistenter gegen Trockenheit oder Schädlinge zu machen.
Eine zentrale Rolle bei den neuen gentechnischen Verfahren (NGT) – oft auch Genom-Editierung genannt: Die 2020 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete CRISPR-Cas9-Methode, umgangssprachlich Gen-Schere genannt. Sie soll schneller und präziser sein als bisherige konventionelle Methoden der Pflanzenzüchtung wie Kreuzung oder Auslese.
Warum soll das Gentechnik-Recht gelockert werden?
Das Ergebnis neuer gentechnischer Verfahren – die veränderte Pflanze – ist in der Regel nicht mehr von herkömmlich gezüchteten Pflanzen zu unterscheiden. Deshalb argumentieren viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Leopoldina, künftig nicht mehr die Technik, sondern die Art der Veränderung und das Zuchtergebnis bei der Beurteilung in den Vordergrund zu stellen.
Genau das ist nun dem EU-Entwurf zufolge geplant. Das bedeutet: Wenn man bei einer Pflanze, salopp formuliert, die Genveränderung "nicht nachweisen" kann beziehungsweise diese auch durch konventionelle Zucht hätte erreicht werden können, braucht es keine Kennzeichnung mehr.
Das Saatgut dieser Pflanzen soll dann zukünftig in die "Kategorie 1" fallen. Wichtig in dieser Kategorie: Das Saatgut soll Eigenschaften aufweisen, die den Nachhaltigkeitszielen dienen. Wie zum Beispiel Resistenz gegen Trockenheit. Die Art und die Anzahl der genetischen Veränderung ist ein weiteres Kriterium. Saatgut dieser Kategorie kann dem Entwurf zufolge künftig also leichter zugelassen werden. Alle anderen Saatgutsorten fallen in "Kategorie 2" – für sie gelten weiterhin die aktuellen Genehmigungsverfahren, allerdings soll die Risikobewertung angepasst, also erleichtert werden.
Was sagen die Befürworter?
Hitze, Dürre, Klimawandel – und immer mehr Menschen, die satt werden müssen. Für viele Forschende ist eine Antwort darauf: genom-editierte Pflanzen, die weniger Wasser und Dünger brauchen und gleichzeitig mehr Ertrag abwerfen. Ein Beispiel aus der aktuellen Forschung: Gerstenpflanzen sollen so verändert werden, dass sich ihre Wurzeln weiter verzweigen und so den Stickstoff aus dem Boden leichter aufnehmen können. Das spart Dünger und kann die Landwirtschaft nachhaltiger machen.
Angst vor Lebensmitteln "mit Gentechnik" halten Wissenschaftler wie Dr. Robert Hoffie vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung für völlig unbegründet. Er ist ein renommierter Befürworter. "Es gibt keinen Fall, in dem jemand auch nur leichte gesundheitliche Einschränkungen hatte, weil er eine gentechnisch veränderte Pflanze gegessen hat."
Was sagen die Gegner?
Die Kritikerinnen und Kritiker glauben nicht an die Heilsversprechen der neuen Gentechnik – zum Beispiel an eine Pestizidreduktion durch gentechnisch veränderte Sorten. Auch sehen sie es kritisch, dass die Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen gelockert werden soll. "Gentechnik frei" ist bisher ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal nicht nur – aber vor allem – für Bio-Lebensmittel.
Foodwatch warnt außerdem: "Eine Deregulierung des EU-Gentechnikrechts würde Agrarkonzernen wie Bayer und Corteva eine noch stärkere Kontrolle über den Saatgut-Markt geben und damit langfristig den Pestizideinsatz erhöhen." Das sei zum Nachteil von Umwelt, Landwirten und Verbrauchern.
Wo steht die Bundesregierung?
Wie sich die Bundesregierung in Brüssel positionieren wird, ist noch unklar. Die Grünen signalisierten bisher Ablehnung für die Lockerungspläne - vor allem Umweltministerin Steffi Lemke und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Beide argumentieren mit Transparenz und Verbraucherschutz. Zustimmung kommt dagegen vom FDP-geführten Bundesforschungsministerium - es verweist auf die Chancen der neuen Technik.
Der Vorschlag der EU-Kommission soll voraussichtlich am Mittwoch offiziell vorgestellt werden. Nach dem, was aus dem Entwurf bekannt wurde, sollen für die Bio-Landwirtschaft weiterhin die bisherigen, strengen Gentechnikregeln gelten.
Im Video: Unser Land - Grüne Gentechnik: Soll sich Deutschland trauen?
Dieser Artikel ist erstmals am 16.06.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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