Nur der Bundestag oder das Bundesverfassungsgericht können die Bundestagswahl für ungültig erklären.
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Nur der Bundestag oder das Bundesverfassungsgericht können die Bundestagswahl für ungültig erklären.

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Nein, die EU kann die Bundestagswahl nicht für ungültig erklären

Nein, die EU kann die Bundestagswahl nicht für ungültig erklären

In den sozialen Medien kursiert die Falschinformation, dass die EU die Wahlen in Rumänien annulliert hätte – und das bei der Bundestagswahl im Februar wiederholen könne. Warum das nicht möglich ist. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Darum geht’s:

  • Die EU verfügt über keinerlei Mechanismen, um Wahlen in den Mitgliedstaaten für ungültig zu erklären. Das kann in Deutschland nur der Bundestag oder das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
  • Laut Experten stimmt es nicht, was unter anderem zahlreiche YouTube-Kanäle behauptet haben: Der frühere EU-Kommissar Thierry Breton hat nicht damit gedroht, die Bundestagswahl zu annullieren.
  • Solche Falschbehauptungen stellen die EU als schädlich dar und schüren Misstrauen in Institutionen.

In Deutschland kann nur der Bundestag oder das Bundesverfassungsgericht eine Wahl ganz oder teilweise annullieren. Das gilt aber nur, wenn es einen Wahlfehler oder einen Verdacht auf Wahlbetrug gibt, der das Wahlergebnis direkt beeinflusst.

Seit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag im vergangenen Dezember auflöste (externer Link) und Neuwahlen ankündigte, kursieren Falschinformationen zu einer möglichen Annullierung der Bundestagswahl.

Im Dezember kam die falsche Behauptung auf, der Bundespräsident habe damit gedroht, dass die Bundestagswahl annulliert werden könne, wenn die falsche Partei gewinne. Das ist jedoch frei erfunden und kam nicht in der Rede (externer Link) vor. Der Bundespräsident rief darin lediglich zu einem fairen Wahlkampf auf und wandte sich gegen äußere Einflussnahme "sei sie verdeckt, wie kürzlich offenbar bei den Wahlen in Rumänien, oder offen und unverhohlen, wie es derzeit besonders intensiv auf der Plattform X betrieben wird."

  • Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier.

Eine ähnliche Falschbehauptung kursiert seit Mitte Januar. Dort heißt es: Die EU wolle die Bundestagswahl für ungültig erklären lassen, sollten unliebsame Parteien gewinnen. Aber: Die EU kann die vorgezogene Bundestagswahl im Februar nicht für ungültig erklären. Über Wahlen können nur die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden.

Die Falschnachricht basiert auf einem Auftritt Thierry Bretons am 9. Januar in einer französischen Nachrichtensendung. Breton war als ehemaliger EU-Kommissar zuständig für den Binnenmarkt und Dienstleistungen und gilt als Begründer des EU-Gesetzes über digitale Dienste, den Digital Services Act (DSA). Er ist aktuell kein EU-Kommissar mehr, da er im vergangenen September von seinem Posten zurücktrat.

Wie sich die Falschinformation verbreitete

Elon Musk hat die Falschnachricht auf seinem X-Account geteilt. Thierry Breton postete daraufhin selbst ein Statement und formulierte eine direkte Antwort an Musk, der ihn als "Tyrann von Europa" bezeichnet hatte. Die EU habe keine Mechanismen, um "irgendeine Wahl irgendwo in der EU" für ungültig zu erklären. Was er gesagt habe, habe sich auf die Anwendung des DSA bezogen.

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Auch Elon Musk teilte die Falschbehauptung.

Auch deutsche Youtuber spielten den Inhalt aus und richteten sich speziell an ein deutsches Publikum. Ein YouTuber behauptete fälschlicherweise, der "höchste EU-Kommissar" Breton habe in einem Interview bestätigt, dass die EU-Kommission die Wahl in Rumänien rückgängig gemacht habe und das bei Bedarf auch in Deutschland tun werde.

Diese Behauptung ist falsch. Thierry Breton, der nicht mehr EU-Kommissar ist, hat nicht gesagt, dass die EU die Wahl in Rumänien für ungültig erklärt hat. Im Interview bezog sich Breton lediglich auf eine Verordnung, auf dessen Grundlage die EU gerade einen Verstoß in Rumänien prüft.

In Rumänien hat nicht die EU die Wahl für ungültig erklärt, sondern das rumänische Verfassungsgericht. Mehr zur Lage in Rumänien lesen Sie weiter unten in diesem #Faktenfuchs.

Breton bezog sich auf den DSA, nicht die Wahlen

Besonders ein Satz Bretons in dem Interview mit dem französischen Sender RMC (externer Link) wurde in den sozialen Medien aus dem Zusammenhang gerissen und in den falschen Kontext einer möglichen Wahlannullierung gesetzt. Von der französischen Moderatorin Apolline de Malherbe nach Elon Musks Einmischung in den deutschen Bundestagswahlkampf gefragt, sagte Breton, man müsse EU-Gesetze anwenden. "Das haben wir in Rumänien getan und das müssen wir natürlich auch in Deutschland tun, wenn es notwendig ist."

Die Rechtswissenschaftlerin Hannah Ruschemeier hat sich das Interview angesehen. "Es ist nach meinem Verständnis in dem Interview zu keinem Zeitpunkt die Rede, dass die EU-Kommission die Wahlen annulliert hat", sagt die Juniorprofessorin für öffentliches Recht, Digitalisierung und Datenschutzrecht an der Fernuniversität Hagen. Die Behauptung, die aus dem Interview konstruiert wurde, sei falsch und absurd. Die Aussage Bretons sei nicht missverständlich.

Breton bezog sich in dem Interview nicht auf die Annullierung von Wahlen, sondern lediglich auf die Durchsetzung des DSA in Rumänien und eventuell in Deutschland. Diese EU-Verordnung soll dafür sorgen, dass illegale Inhalte schneller entfernt (externer Link) und systemische Risiken wie Manipulation und Desinformation (externer Link) bekämpft werden. Sogenannte "sehr große Online-Plattformen" (externer Link) , wie TikTok, Instagram, Facebook oder X mit monatlich mehr als 45 Millionen Nutzern in der EU, müssen regelmäßig prüfen, ob ein Risiko für Wahlen besteht.

Thierry Breton sagte in der Sendung nicht nur, dass die EU den DSA anwenden und Plattformen wie X kontrollieren müsse. Er betonte auch: "Die Redefreiheit ist ein grundlegendes Element in Europa." Elon Musk sei ein Bürger, der das Recht habe, sich frei zu äußern. Plattformen müssten jedoch reguliert werden, um eine künstliche Verstärkung durch Algorithmen zu kontrollieren, die in Wahlen eingreifen können.

Um eine Annullierung des Wahlergebnisses durch die EU hingegen ging es in dem Interview nicht.

Wer Wahlen in Deutschland annullieren kann

Ob eine Bundestagswahl gültig ist oder annulliert werden muss, entscheidet nach dem Grundgesetz (Artikel 41) (externer Link) der Deutsche Bundestag, schreibt eine Sprecherin der Bundeswahlleiterin dem #Faktenfuchs. Jeder Wahlberechtigte könne innerhalb von zwei Monaten nach dem Wahltag Einspruch einlegen, müsse diesen aber begründen. Bleibt der Wahleinspruch ohne Erfolg, kann die Person Beschwerde gegen diese Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht einlegen.

2021 gab es zum Beispiel mehr als 2.000 Einsprüche (externer Link) beim Bundestag und 19 Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht. Daraufhin ordnete das Bundesverfassungsgericht (externer Link) eine Wahlwiederholung in Teilen Berlins an. Wichtig sei außerdem, dass sich ein Wahlfehler oder auch ein mutmaßlicher Wahlbetrugsversuch konkret auf den Wahlausgang oder die Sitzverteilung auswirkt, sagt Hannah Ruschmeier.

EU kann nicht in Wahlen eingreifen

Fakt ist, dass die Europäische Kommission nationale Wahlen nicht für ungültig erklären kann. "Die Mitgliedstaaten sind souverän, was ihre eigenen Wahlen angeht", sagt Hannah Ruschemeier. "Da mischt sich die Europäische Kommission nicht ein, denn dafür hat sie keine Kompetenz."

Das bestätigt auch Patricia Poropat, Pressesprecherin der Europäischen Kommission, auf Anfrage. Poropat schreibt, die Mitgliedstaaten seien dafür zuständig (externer Link) , freie und faire nationale Wahlen zu organisieren.

DSA soll für mehr Transparenz sorgen

Bereits Ende 2023 (externer Link) hatte die Europäische Kommission auf Grundlage des DSA ein förmliches Verfahren gegen X eingeleitet. Das bedeutet, dass die Kommission überprüft, ob die Plattform X gepostete Inhalte ausreichend moderiert, also etwa illegale Inhalte oder manipulierte Informationen (externer Link) verhindert, die sich gegen Grundrechte richten oder freie Wahlen bedrohen könnten. Hinzu kommt eine Transparenzregelung für politische Werbung in sozialen Medien: "Da geht es darum, den Bürgerinnen und Bürgern die nötigen Informationen zu geben und die nötige Transparenz herzustellen, dass sie entsprechend ihre Wahlentscheidungen frei treffen können", sagt Ruschemeier.

Der DSA sei aber nicht auf einzelne Meinungsäußerungen, etwa auf X, anwendbar, sagte der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller dem Deutschlandfunk (ab 2:01 Minuten). Es gehe um die Plattformen insgesamt und die Frage, ob ein systemisches Risiko vorliegt. Die Bundesnetzagentur prüft, ob der DSA in Deutschland eingehalten wird. Diese Kategorie des systemischen Risikos sei eingeführt worden, weil solche Netzwerke "Verstärkungseffekte entfalten können, die gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben und nicht von einer einzelnen Beschwerde oder einem einzelnen Inhalt abhängen sollen", so Ruschemeier. Sie verweist auf eine Untersuchung der Universität Zürich (externer Link) zu den Risiken von Algorithmen.

Das Verfahren gegen X läuft noch. Mitte Januar hat die EU die laufende Untersuchung ausgeweitet (externer Link) : X muss nun interne Dokumente zu Algorithmen freigeben. Es gibt noch zahlreiche weitere Verfahren (externer Link) auf Grundlage des DSA gegen große Plattformen, darunter auch eines gegen TikTok. Sanktionen gegen große Online-Plattformen habe es bisher noch nicht gegeben, sagt Erik Tuchtfeld, Plattformexperte und Digitaljurist am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Er geht davon aus, dass die EU-Kommission im Laufe dieses Jahres zum ersten Mal ein Bußgeld wegen Verstößen gegen den DSA verhängen könnte.

Transparenzhinweis: Erik Tuchtfeld ist Mitglied der SPD und berät die Partei in digitalpolitischen Fragen.

Wichtig sei aber, so Tuchtfeld: "Ob etwas ein systemisches Risiko nach dem DSA ist, ist für die Wahlprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich irrelevant. Nur wenn dieses systemische Risiko auch die Wahlgrundsätze des Grundgesetzes beeinträchtigt oder gegen deutsches Wahlrecht verstößt, würde es vom Bundesverfassungsgericht berücksichtigt werden." Die Anwendung des DSA durch die EU und die Möglichkeit einer Annullierung der Bundestagswahl seien zwei voneinander unabhängige Mechanismen.

EU-Prüfung unabhängig von Wahlannullierung in Rumänien

Im ersten Teil seiner Aussage bezog sich Thierry Breton auf die rumänische Wahlwiederholung. Es geht um eine mögliche Einmischung in die Präsidentschaftswahl durch ausländische Akteure. Die erste Runde der Wahlen hatte überraschend der rechtsextreme parteilose Kandidat Calin Georgescu gewonnen.

Die EU-Kommission leitete daraufhin im vergangenen Dezember ein Verfahren gegen TikTok (externer Link) in Zusammenhang mit den rumänischen Wahlen ein. Hier wiederum prüft die EU nun, ob Tiktok genug dafür getan hat, systemische Risiken bei der Präsidentschaftswahl am 24. November zu erkennen und zu mindern. Hannah Ruschemeier hält es für wahrscheinlich, dass die EU in diesem Fall ein systemisches Risiko nach dem DSA annimmt. "Man hat ganz klar gesehen: Im Vorfeld der Wahl gab es einen rapiden Anstieg an entsprechenden Bots mit einer konkreten inhaltlichen Ausrichtung."

  • Ob eine solche Wahlmanipulation auch in Deutschland denkbar ist, lesen Sie hier.

Die Prüfung der EU läuft unabhängig von der Wahlannullierung in Rumänien (externer Link) . Das rumänische Verfassungsgericht annullierte die Wahl auch nicht auf Grundlage des DSA. "Das rumänische Verfassungsgericht wendet nicht den DSA an, sondern hat sich bei der Annullierung auf nationale Wahlvorschriften gestützt", sagt Hannah Ruschemeier.

Warum sich die Falschinformation verbreitete

Auf den sozialen Medien verbreitete sich die Falschinformation um Bretons Aussage mit einem Zusatz: Die EU wolle die Bundestagswahl annullieren, wenn die AfD zu viele Stimmen bekäme. Laut Report des Centers für Monitoring, Strategie und Analyse (CeMAS) teilten auf Telegram verschwörungsideologische, prorussische und AfD-nahe Kanäle die Falschinformation und erreichten in Summe über 280.000 Views.

Hannah Ruschemeier beobachtet, dass "rechte und rechtspopulistische Parteien" und Akteure versuchen, die EU als schlecht, übergriffig und schädlich darzustellen. "Da wird mit klarer Desinformation geworben. Es werden bewusst Sachen falsch oder verkürzt dargestellt", sagt Ruschemeier. Das entspreche der Aufmerksamkeitslogik von Social Media, die kontroverse Inhalte bevorzuge.

Auch Erik Tuchtfeld sagt, dass die Falschinformation zum gerne bemühten Bild der EU als "bürokratisches Monster" passe. Die Verbreiter der Desinformation beabsichtigten, Angst und eine Abneigung gegenüber der Europäischen Union zu schüren. Die Idee der Aufhebung von Wahlen sei ein "beliebtes, rechtes Narrativ", sagt Tuchtfeld.

Fazit

Die Behauptung, dass die Europäische Union die Bundestagswahl in Deutschland annullieren könnte, ist falsch. Fakt ist, dass die EU nicht die Kompetenz hat, nationale Wahlen für ungültig zu erklären. Das können nur die jeweiligen Mitgliedstaaten. Breton selbst hat klargestellt, dass sich seine Aussage auf den DSA bezog. Der DSA soll große Plattformen regulieren, um systemische Risiken wie Manipulation und Desinformation einzudämmen. Diese Maßnahmen dienen dem Schutz demokratischer Prozesse, nicht deren Untergrabung.

Die Verbreitung solcher Falschinformationen zeigt ein wiederkehrendes Muster: Ziel ist es, die EU als übergriffig und demokratiefeindlich darzustellen. Diese Narrativen untergraben das Vertrauen in demokratische Institutionen.

Quellen

Interviews und Anfragen

Interview mit Hannah Ruschmeier, Fernuniversität Hagen

Interview mit Erik Tuchtfeld, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Presseanfrage an Bundeswahlleiterin

Presseanfrage an Europäische Kommission

Veröffentlichungen

Bundestag: Steinmeier verkündet Auflösung des Bundestags und Neuwahlen

Bundesregierung: DSA: Gesetz gegen illegale Inhalte im Internet

Bundeswahlleiterin: Wahlprüfung

Wahlrecht: Mandatsrelevanz - Mandatserheblichkeit

Bundesverfassungsgericht: Die Bundestagswahl muss in 455 von 2.256 Wahlbezirken des Landes Berlin wiederholt werden

EUR-Lex:

Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung

Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union

Europäische Kommission:

Arten von EU-Rechtsvorschriften

Kommission leitet förmliches Verfahren gegen X nach dem Gesetz über digitale Dienste ein

Gesetz über digitale Dienste: Kommission leitet zusätzliche Untersuchungen gegen X im laufenden Verfahren ein

Kommission leitet förmliches Verfahren gegen TikTok nach dem DSA ein

Digital Services Act (DSA) EU-Regeln für digitale Plattformen - Schutz der Meinungsfreiheit und von Wahlen

Supervision of the designated very large online platforms and search engines under DSA

Gesetz über digitale Dienste

BR24: Nach Wahl in Rumänien: EU startet Verfahren gegen Tiktok

Deutschlandfunk: Bundesnetzagentur-Chef über die Grenzen des Digital Services Act

Science Media Center: Wie gut hat das rumänische Verfassungsgericht sein Urteil begründet?

Center für Monitoring, Analyse und Strategie: Was war in der vergangenen Woche los auf Telegram?

Saurwein, Florian; Spencer-Smith, Charlotte und Krieger-Lamina, Jaro: Social-Media-Algorithmen als Gefahr für Öffentlichkeit und Demokratie

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