Gedenken an österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr vor dem Gerichtsgebäude in Wels.
Bildrechte: Verena Leiss/APA/dpa
Audiobeitrag

Gedenken an österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr vor dem Gerichtsgebäude in Wels.

Audiobeitrag
>

Selbstmord einer Impf-Ärztin: Steht Hauptschuldiger vor Gericht?

Selbstmord einer Impf-Ärztin: Steht Hauptschuldiger vor Gericht?

Hass-Mails und Hate-Tweets an die Corona-Impfbefürworterin: Ist ein 61-Jähriger aus Starnberg mitschuldig am Tod der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr? Andere waren viel schlimmer, sagen die Verteidiger beim Prozessauftakt in Wels.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die graue Wollmütze hat der 61-Jährige tief ins Gesicht gezogen. Keine Fotos bitte, sagt der Angeklagte beim Gang in den großen Schwurgerichts-Saal 22 im Landesgericht Wels. Drinnen, vor der Vorsitzenden Richterin, gibt sich Roman M. sehr wortkarg. Seine Verteidigerin Sonja Fasthuber liest vor, was der Angeklagte nicht selbst vortragen will, weil er sich selbst am Pranger sieht. Seine Sicht.

Zitat aus der Auftakt-Einlassung des Angeklagten: "Ich bin nicht derjenige, den man gesucht hat, sondern derjenige, den man gefunden hat." Und, vor allem das ist im wichtig: "Ich bin nicht der Schuldige." Der Schuldige am Tod der österreichischen Ärztin und engagierten Corona-Impfbefürworterin Lisa-Maria Kellermayr, die sich im Sommer 2022, noch während der Corona-Pandemie, das Leben genommen hat. Nachdem sie wochenlang von Corona-Leugnern im Netz und in Mails mit Gewalt bis hin zu Mord bedroht worden war.

Angeklagter sieht sich als "Sündenbock"

Aber da war Roman M. aus Starnberg nicht der einzige. Er sieht sich nur als den einzigen "Sündenbock", den man finden und ermitteln konnte. Weil er sich nicht im Darknet versteckt hat, weil er Mails von seiner Firmenadresse aus geschrieben hat. Offen erkennbar.

Das ist dann auch die Strategie der Verteidigung in diesem Fall, in dem es darum geht, ob der wegen "gefährlicher Drohung" angeklagte Deutsche mitschuldig gesprochen werden könnte am Tod der Ärztin Kellermayr, weil auch er ihr Hass-Mails und Droh-Tweets geschickt hat.

Aber: Andere seien weitaus schlimmer gewesen, meint Martin Feigl. Der Wiener Anwalt des Angeklagten, verweist auf claasderkiller@dnmx.org, der auch in Deutschland vermutet wird, aber noch nicht gefunden werden konnte. Ein "Claas" war in Verdacht, er war es aber nicht.

Die Botschaft der Verteidigung in diesem Prozess, der einen Art Musterprozess gegen Hass-Kriminalität werden könnte, soll sein: Hier im oberösterreichischen Wels steht vielleicht nicht der ganz falsche, aber vor allem nicht der Richtige vor Gericht.

15.000 Seiten Ermittlungsakten im Fall Kellermayr

Unausgesprochen stehen weitere Vorwürfe im Raum, die nicht nur das Opfer, Lisa-Maria Kellermayr geäußert hat, bevor sie sich im Sommer 2022 das Leben nahm. Zentrale Polizei-Verantwortliche hätten sie nicht ernst genug genommen, die Staatsanwaltschaft hätte anfangs zu zögerlich ermittelt.

Deutlich sichtbar ist, dass die Behörden versuchen, das auszuwetzen. 15.000 Seiten Ermittlungsakten, so der Verteidiger Martin Feigl, lägen inzwischen vor. Er jedenfalls will nicht mit dem Finger auf die Ermittler zeigen, nicht auf die Staatsanwaltschaft, nicht auf die Polizei. Strategie, vielleicht.

Die Stimmung damals während der Pandemie war anders, in Österreich. Aber das ist Geschichte, die hier in Saal 22 auch ein wenig aufgearbeitet wird. Spürbar ist, bestätigen auch Expertinnen wie die Wiener Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes, und das zeigen auch jüngste Razzien in Österreich: Die Behörden im Nachbarland nehmen das Thema Hass-Kriminalität im Netz jetzt deutlich ernster.

Ein Prozess, der in Deutschland so nicht möglich wäre?

Ernster als in Deutschland? Den Eindruck könnte man bekommen, wenn man der deutschen Verteidigerin des Angeklagten zuhört. Ein Prozess, den es so in Deutschland nicht geben würde, mutmaßt die deutsche Anwältin des Angeklagten, Jessica Hamed: Die Wahrscheinlichkeit, dass es in Deutschland zu einer solchen Anklage gekommen wäre, sei relativ gering, sagt sie.

Zwar ähneln sich die Strafgesetzbücher, aber in Deutschland würde die Drohung, eine "Kreatur" wie Dr. Lisa-Maria Kellermayr vor ein "Volkstribunal" zu stellen, als Meinungsäußerung durchgehen. Ob die Verteidigerin des Mannes, der genau das angedroht hat, recht hat, wird vor dem Landesgericht Wels nicht zu klären sein.

Roman M. selbst sieht seinen Schlagabtausch mit Kellermayr als ein "Streitgespräch in einer angespannten Zeit", auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie. Er habe ähnliche Mails auch an deutsche Politiker geschrieben, Markus Söder wird genannt, Karl Lauterbach.

Tod der Ärztin bewegte ganz Österreich

Lisa-Maria Kellermayr ist tot, ihr Tod hat ganz Österreich tief bewegt. Vor Gericht sprechen nur noch ihre Mails, ihre Tweets, ihre Abschiedsbriefe, Videos, später die beiden geladenen Gutachter, manche der 27 Zeuginnen und Zeugen. Am ersten Prozesstag auch ihr Vater, der versucht, eine Mordtheorie vorzutragen.

Die Verteidiger machen ihren Job. Gezielt versuchen sie am ersten Tag herauszuarbeiten, wie suizidgefährdet Lisa-Maria Kellermayr gewesen sein soll - seit ihrem 13. Lebensjahr. Wie tragisch ihr Tod war, so formuliert das auch der Angeklagte. Aber eben nicht seine Schuld, auch nicht seine Mitschuld, überhaupt nicht seine Schuld.

Am 9. April soll es ein Urteil geben. Nach vier Verhandlungstagen. Dem Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Sollten Sie selbst Hilfe benötigen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Beratung erhalten Sie unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222.

Weitere Hilfsangebote gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

European Broadcasting Union (EBU)

Ich möchte eingebundene Inhalte von der European Broadcasting Union (EBU) in BR24 sehen. Hierbei werden personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) an die EBU übertragen. Diese Einstellung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in den Datenschutzeinstellungen geändert werden. Falls Sie einen Ad-Blocker verwenden, müssen Sie dort ggf. BR.de als Ausnahme hinzufügen, damit die Datenschutzeinstellungen angezeigt werden können.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!