Die Bundespolizisten rücken am Donnerstag Mittag Ortszeit mit schwerem Gerät an: gepanzerte Fahrzeuge, Maschinengewehre im Anschlag, Helme. Der junge Mann soll im Besitz mehrerer Waffen sein. Höchste Vorsicht ist also geboten. Über dem Haus, in dem Jack Douglas T. mit seiner Mutter wohnt, kreist während der Festnahme ein zweimotoriges FBI-Flugzeug.
Es dauert nicht lange, da fangen Fernsehkameras mit ihren Teleobjektiven ein, wie der Obergefreite in Handschellen abgeführt wird. Er trägt ein grünes Armee-Unterhemd, rote Shorts und Stiefel. Zwei bewaffnete Männer führen ihn aus dem Haus und setzen ihn in ein ziviles Fahrzeug.
Peinlicher Fall für die US-Regierung
Fast zeitgleich tritt Generalstaatsanwalt Merrick B. Gardland in Washington vor die Presse und gibt die Verhaftung bekannt. Der Haftbefehl lautet auf "unerlaubte Inbesitznahme und Weitergabe geheimer Dokumente der nationalen Verteidigung". Es geht um die Veröffentlichung geheimer US-Dokumente zum Krieg in der Ukraine. Garlands Erklärung fällt betont kurz aus. Der Fall ist peinlich für die US-Regierung. Noch wenige Stunden zuvor hatte US-Präsident Joe Biden bei seinem Besuch in Irland die Affäre heruntergespielt.
Viele ungeklärte Fragen
Wie kommt ein 21-Jähriger mit Mannschaftsdienstgrad an solche Geheimakten? Warum gibt er sie an Freunde weiter, die er nur aus der virtuellen Welt, einer Chatgruppe für Online-Spiele, kennt? Wusste der Soldat offenbar nicht, dass ihm für die Weitergabe der Dokumente viele Jahre Gefängnis drohen?
Politiker und Journalisten fühlen sich an Edward Snowden oder Chelsea Menning erinnert. Doch Freunde aus der Chatgruppe von Jack Douglas T. sagen laut "Washington Post" und "New York Times", der junge Mann sei kein Whistleblower. Ganz im Gegenteil. Offenbar wollte er bei seinen Freunden in der Discord-Chatgruppe angeben.
Discord-Chatgruppe formiert sich während der Pandemie
Die kleine Gruppe hatte sich während der Pandemie kennengelernt. Alles rein virtuell. Vor ein paar Monaten begann der Soldat, Hunderte von Seiten mit geheimen Dokumenten in die Chatgruppe hochzuladen. Die jungen Männer reden über militärische Ausrüstung, Waffen und ihren Hass auf Ausländer. Im Chat nennt sich der Verdächtige O.G. und schwadroniert über den Krieg in der Ukraine und wie wichtig es sei, das Weltgeschehen immer im Blick zu haben.
Obergefreiter ist bei seiner Einheit für die Computernetzwerke zuständig
O.G. arbeitet auf der Otis Air National Guard Base, die zur Cape Cod Air Force Base gehört. Dort ist er für die Kommunikationsnetze seiner Einheit zuständig. Doch das beantwortet nach Ansicht von Sicherheitsexperten noch lange nicht die Frage, wie ein einfacher Soldat an Dokumente der CIA und der NSA gelangen konnte.
Es sind brisante Dokumente, die das Ausmaß der US-Geheimdienstaufklärung gegen Russland beschreiben. Berichte, die nicht nur die Schwächen der russischen Streitkräfte und die Machtkämpfe in Wladimir Putins Sicherheitsapparat beschreiben, sondern auch die Schwachstellen der von den USA unterstützten ukrainischen Armee auflisten.
Papiere landen bei Telegram und Twitter
Unangenehm wird es für O.G. erst, als ein jugendliches Mitglied der Chatgruppe einige Dutzend Dokumente in einem Online-Forum veröffentlicht. Schnell landen die Dokumente in russischsprachigen Telegram-Kanälen. Von dort werden sie weiterverbreitet. Im Pentagon und bei der CIA versucht man anfangs, die Dokumente zu löschen. Aber es ist wie bei einer Hydra. Wird ein Dokument gelöscht, taucht es an mehreren anderen Stellen im Internet wieder auf.
Am 6. April informieren FBI und Beamte im Pentagon US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Dann bekommen die US-Medien Wind von den Geheimpapieren. Ein Wettlauf zwischen FBI und Journalisten beginnt.
FBI hatte den Mann wohl schon vergangene Woche unter Verdacht
Das FBI muss den 21-Jährigen schon seit Tagen als Hauptverdächtigen ausgemacht haben. Doch als die beiden großen US-Zeitungen am Donnerstagmorgen über die Chatgruppe auf dem Online-Portal Discord berichten, wissen die Ermittler, dass ihnen nur noch wenige Stunden für eine Observation bleiben. Als sie vor dem Haus des Obergefreiten vorfahren, werden sie bereits von Kamerateams und Reportern erwartet.
Ausmaß unklar
Wie groß der Schaden für die US-Geheimdienste ist, wird sich wohl erst in einigen Monaten zeigen. Dann nämlich, wenn russische Dienste ihre Schwachstellen schließen und Maulwürfe im eigenen Sicherheitsapparat ausfindig machen. Eventuell auch die befreundeten Dienste in Europa.
Deshalb ist der Schaden immens und er wiegt für die Ukraine und die westeuropäischen Verbündeten schwer. Das Vertrauensverhältnis dürfte belastet sein.
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