Die Außenminister der Europäischen Union ringen um eine gemeinsame Position im Nahost-Krieg. Perspektivisch soll es die Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und einem Palästinenser-Staat sein – so weit weg diese aufgrund des aktuellen Krieges und der Siedlungspolitik Israels unter der Regierung Netanjahu auch liegen mag. Uneinigkeit herrscht hingegen bei der Frage nach einer humanitären Feuerpause.
Baerbock zurückhaltend in Sachen Feuerpause
Die Bundesregierung ist angesichts von Rufen nach einer Feuerpause im Nahen Osten zurückhaltend. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte am Montag beim Treffen mit ihren EU-Kollegen in Luxemburg: "Wir können die humanitäre Katastrophe nicht eindämmen, wenn der Terrorismus von Gaza so weiter geht", unter Anspielung auf die Angriffe der radikalislamischen Hamas auf Israel. Es werde dann "keine Sicherheit und keinen Frieden weder für Israel noch die Palästinenser geben".
Baerbock sieht es als "Quadratur des Kreises", dass Israel die Hamas im Gazastreifen bekämpft und gleichzeitig internationale Hilfe wie Wasser und Nahrung zu den Menschen gebracht werden müsse.
Die Forderung nach einer humanitären Waffenpause zwischen Israel und der Hamas war am Samstag bei einem internationalen Nahost-Gipfel in Kairo laut geworden und wird von UN-Generalsekretär António Guterres unterstützt. Auch eine Reihe von EU-Ländern machen sich dafür stark. Der spanische Außenminister José Manuel Albares, dessen Land in diesem Halbjahr die Ministerräte leitet, forderte in Luxemburg, die Europäer müssten in dieser Frage "mit einer Stimme sprechen".
"Grad des Leidens der Zivilisten in Gaza in keiner Weise akzeptabel"
Der irische Außenminister Micheál Martin hat zu einer sofortigen Waffenruhe im Gazastreifen zur Versorgung der Zivilbevölkerung aufgerufen. "Das ist eine Angelegenheit von äußerster Dringlichkeit", sagte Martin am Montag bei einem Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg. "Der Verlust von Leben ist enorm, hat ein Ausmaß, das gestoppt werden muss." Es müssten schneller und in großem Umfang Lebensmittel, Wasser und medizinische Güter in den Gazastreifen gelassen werden.
"Wir verstehen die Notwendigkeit Israels, mit der Hamas fertigzuwerden, weil es ein abscheulicher Angriff war", sagte Martin über den Anschlag der militant-islamistischen Hamas vom 7. Oktober. "Aber der Grad des Leidens jetzt - die unschuldigen Zivilisten in Gaza, die leiden - ist einfach in keiner Weise akzeptabel."
EU-Außenbeauftragter spricht sich für Feuerpause aus
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat sich für eine Feuerpause im Kampf zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas ausgesprochen. Borrell erklärte nach den Beratungen der Außenministerinnen und Außenministern in Luxemburg, dass es darüber in den Beratungen einen Konsens gegeben habe. Teilnehmer dementierten dies. "Es hat gar keine Abstimmung gegeben", sagte ein EU-Diplomat zu Reuters.
In dem Reuters vorliegenden Entwurf für die Erklärung des EU-Gipfels am Donnerstag und Freitag ist ebenfalls davon die Rede, dass es eine "humanitäre Pause geben muss, um sicheren humanitären Zugang zu haben und denen in Not zu helfen". Ein EU-Diplomat betonte allerdings, dass es dabei nur um einen Entwurf handelt. Der EU-Gipfel findet am Donnerstag und Freitag in Brüssel statt.
Asselborn zu EU-Rolle: Wir sind nicht Player, sondern Payer
Doch egal welches Signal vom Treffen der EU-Außenminister oder vom EU-Gipfel am Ende ausgeht: Nach Einschätzung des luxemburgischen Außenministers Jeans Asselborn spielt die Europäische Union bei den Bemühungen um eine Deeskalation keine bedeutende Rolle. Er erlebe seit 20 Jahren, dass die USA sowohl für die Israelis als auch für die Palästinenser der einzige relevante Ansprechpartner seien, sagte der dienstälteste Außenminister in der EU am Montag am Rande von Beratungen mit Amtskollegen in Luxemburg. In dieser Beziehung müsse man realistisch sein.
Zu den Gründen für die Irrelevanz der EU erklärte Asselborn, die Europäische Union habe es verpasst, sich zu Lösungsvorschlägen für den Nahost-Konflikt klar zu positionieren - dazu gehöre die Einrichtung eines unabhängigen Palästinenserstaats auf der Basis der Grenzen vor 1967 und die Nutzung Jerusalems als Hauptstadt von Israel und von Palästina. "Wir waren in den letzten Jahren nicht mehr imstande, das auf ein Blatt Papier zu schreiben. Wir hatten keine Position mehr in der Europäischen Union dazu", kritisierte Asselborn. Man sei deswegen nicht "Player" (Spieler), sondern "Payer" (Zahlender).
Zwei-Staaten-Lösung in weiter Ferne
"Israelis und Palästinenser können auf Dauer nur in Frieden und Sicherheit leben, frei von Terrorismus und frei menschlichem Leid, mit einer Zwei-Staaten-Lösung." Die auf dem Treffen der EU-Außenminister getätigte Aussage von Bundesaußenministerin Baerbock dürfte in der aktuellen politischen Landschaft Israels ungehört verhallen.
Israels früherer Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, spricht sich ebenfalls für eine Wiederbelebung der Idee einer Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt aus. "Sie ist momentan in weiter Ferne. Aber sie muss im Auge behalten werden", sagte Stein dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und kritisierte die rechtsgerichtete Regierung Benjamin Netanjahus. "Die gegenwärtige israelische Regierung hat das von ihrer Tagesordnung gestrichen. Das war ein Fehler", sagte er.
"Eine militärische Operation ohne eine politische Perspektive wäre eine verpasste Chance." Er hoffe, dass Israels geplante Bodenoffensive "mit der Neutralisierung der militärischen Gefahr durch Hamas" erfolgreich sein werde. "Und dann stellen wir die Frage: Was passiert am Tag danach? Und hoffentlich werden uns die USA, Deutschland, die Europäische Union dabei helfen." Es werde eine sehr schwierige Aufgabe sein. Die Frage sei, ob der Westen dazu in der Lage sein werde, wenn gleichzeitig Russland Krieg gegen die Ukraine führt, und ob es genügend Ressourcen geben werde, Gaza und die Palästinensergebiete zu stabilisieren.
Palästinenser melden 5.000 Tote im Gazastreifen
In Israel waren nach Angaben des Gesundheitsministeriums beim Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober und in den Tagen danach mehr als 1.400 Menschen getötet worden, über 200 Geiseln befinden sich immer noch in der Gewalt der Hamas. Bei darauf folgenden israelischen Luftangriffen im Gazastreifen sind laut Palästinensern nunmehr über 5.000 Menschen getötet worden. 15.000 Menschen wurden verletzt. Hilfsorganisationen zufolge ist jedes dritte Opfer ein Kind.
Im Westjordanland sind bei Konfrontationen mit israelischen Soldaten, aber auch Attacken von israelischen Siedlern bislang 95 Palästinenser getötet worden, wie das Gesundheitsministerium in Ramallah mitteilte. Während diese Zahl von Nachrichtenagenturen als relativ gesichert gilt, ist die Zahl der Opfer im Gazastreifen nicht unabhängig überprüfbar.
Die einzig positive Nachricht am Montag: Ein dritter Konvoi aus 40 Lastwagen begann am Sonntag von Ägypten aus die Einfahrt in den Transitbereich der gemeinsamen Grenze, um dringend benötigte internationale Hilfsgüter in das Palästinensergebiet zu bringen, wie der Ägyptische Rote Halbmond mitteilte. Laut Hilfsorganisationen seien aber täglich 100 Lkw nötig, um die notleidende Zivilbevölkerung zu versorgen.
Karte: Übersicht Israel und angrenzende Länder
Mit Informationen von dpa, Reuters, AFP
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