Um Mitternacht ist im von tagelangen Kämpfen erschütterten Sudan eine Waffenruhe zwischen den beiden Konfliktparteien in Kraft getreten. Berichte über größere Gefechte in der Nacht gibt es bisher nicht. Es herrscht jedoch Skepsis, ob die Feuerpause wirklich hält. Der UN-Sicherheitsrat will in einer Dringlichkeitssitzung wohl am Abend erneut über die Lage beraten. US-Außenminister Antony Blinken hatte informiert, dass sich sudanesische Streitkräfte und die mit ihnen rivalisierenden paramilitärischen Einheiten geeinigt hätten, für 72 Stunden landesweit die Waffen ruhen zu lassen.
Bundeswehr koordiniert nun Evakuierungsflüge
Deutschland hat von Frankreich die Abstimmung von Evakuierungsflügen aus dem Sudan übernommen. Die Bundeswehr sei nun zuständig für die Koordination der Flugbewegungen zum Aufnahmeflugplatz, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr der dpa. Dabei geht es darum, Flugzeiten und den praktischen Betrieb auf dem Militärflugplatz bei Khartum zu regeln, der von westlichen Staaten genutzt wird.
500 Menschen ausgeflogen
Mehrere westliche Staaten hatten am Wochenende damit begonnen, ihre Staatsbürger und Angehörige anderer Nationen aus dem Land auszufliegen. Am Dienstag wurden rund 100 weitere Menschen ausgeflogen. Sie seien in einem nunmehr fünften Militärtransporter gewesen, der in Jordanien landete, sagte ein Sprecher. Die Gesamtzahl der Evakuierten liege damit bei etwa 500 Menschen, darunter Deutsche und Bürger anderer Staaten.
Ohne Internationale kein Korrektiv
Unter den Geretteten befindet sich auch Christine Röhrs, Büroleiterin der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Khartum. Sie hat am Abend in den ARD Tagesthemen geschildert, was es bedeutet, dass die Repräsentanten des Westens den Sudan eilig verlassen.
"Es ist eine Sorge der Sudanesen: ‘Ihr geht und lasst uns allein zurück’. Nach einer Woche harter Gefechte kam diese Feuerpause jetzt, damit die Internationalen das Land verlassen. Viele hätten sich gewünscht, dass man gleichzeitig humanitäre Hilfe reinbringt. Freunde sagen mir, dass sie sich Sorgen machen, dass ohne die Internationalen ein Korrektiv fehlt. Sie befürchten, dass die Generäle, die sich jetzt unbeobachtet fühlen und es de facto sind, erst richtig draufhauen und die Stadt zum Schlachtfeld machen." Christine Röhrs, Friedrich-Ebert-Stiftung
Bundestag soll Sudan-Mandat bis 31. Mai genehmigen
Der Bundestag soll einen Einsatz von bis zu 1600 Bundeswehr-Soldatinnen und Soldaten bis 31. Mai beschließen. Das geht aus einem Mandatstext der Bundesregierung hervor, aus dem der "Spiegel" zitiert. Der Text soll am heutigen Dienstag dem Bundestag zugeleitet werden. In Regierungskreisen wurden gegenüber Reuters Zahl und Zeitraum des Einsatzes bestätigt. "Zur Durchführung von konkreten Operationen" könne die Personalobergrenze zeitlich befristet jedoch auch überschritten werden, heißt es in dem Text laut "Spiegel". Gleiches gelte in Notsituationen. Der Bundestag soll darüber noch diese Woche abstimmen und damit auch nachträglich den bereits erfolgten Evakuierungen von rund 500 Menschen zustimmen.
Verteidigungs- und Außenministerium planen einen sogenannten robusten Einsatz, bei dem auch militärische Gewalt zur Durchsetzung des Auftrags möglich sein soll. Auch spezielle Kräfte der Bundespolizei sollen eingesetzt werden. Die Regierung begründet dies mit der schlechten Sicherheitslage im Sudan. Als Kosten für die Evakuierungsmission werden laut "Spiegel" rund 22,4 Millionen Euro angesetzt.
Schwere Kämpfe seit Mitte April
Seit Mitte April kämpfen Armeeführer Abdel Fattah al-Burhan und Milizenchef Mohamed Hamdan Daglo um die Macht im Sudan. Das Forschungsinstitut IISS schätzt die Stärke der Armee auf 100.000 und die der paramilitärischen Miliz Rapid Support Forces (RSF) auf 40.000 Mann. Andere Experten gehen von 100.000 Paramilitärs aus, halten jedoch die Armee ebenfalls für zahlenmäßig stärker. Bei den Kämpfen zeichnet sich bislang noch keine Überlegenheit einer der beiden Seiten ab.
Streit um Eingliederung der Milizen
Der Konflikt entzündete sich am Streit darüber, wie die Miliz in die regulären Truppen integriert werden soll. Armeechef Al-Burhan wollte die Eingliederung binnen zwei Jahren abschließen und den Paramilitärs die Rekrutierungskriterien der Armee auferlegen. Milizenchef Daglo forderte zehn Jahre Zeit für die Integration und dass seine Leute ihre Ränge behalten. Der RSF-Miliz gehören tausende Kämpfer an, die an Kriegsverbrechen in Darfur unter der Herrschaft von Ex-Diktator Omar al-Baschir beteiligt gewesen sein sollen.
Kämpfe in der Hauptstadt
Bisher kämpften die beiden Truppen gemeinsam gegen Aufständische in entlegenen Provinzen. Jetzt bekriegen sie sich auf dem für sie unbekannten Terrain der Hauptstadt Khartum gegenseitig. "Weder die Armee noch die RSF haben einen großen Anreiz, sich zurückzuziehen", sagt Aly Verjee von der afrikanischen Organisation Rift Valley Institute. Die Paramilitärs wollten den Konflikt in die Länge ziehen, um so den Vorteil der Armee durch ihre Luftwaffe zunichte zu machen, meint Verjee. Die Armee versuche mit ihren Kampfflugzeugen, die Miliz schnellstmöglich zu schwächen.
Düstere Szenarien, wenn die Armee gewinnt
Die US-Menschenrechtsanwältin Jehanne Henry, die den Sudan seit Jahren beobachtet, beschreibt mehrere düstere Szenarien: Wenn die Armee gewinnt, "werden Al-Burhan und seine Kumpanen die Islamisten des alten Regimes wieder einsetzen" und den internationalen Druck ignorieren, wie sie es während des jahrzehntelangen internationalen Embargos gegen Al-Baschirs Herrschaft getan hätten. Bestenfalls würden sie einige verbündete Zivilisten ernennen, um den Schein zu wahren, sagt Henry.
Einen Sieg der Paramilitärs hält die Juristin für weniger wahrscheinlich. Die Miliz "könnte den Konflikt in die Länge ziehen, indem sie sich mit anderen bewaffneten Gruppen in entfernten Provinzen verbündet".
Verbündete im Norden und Süden
Im Norden "unterstützt Ägypten, das gerne Kolonialmacht wäre, die Armee", sagt Henry. Kairo gehe es vor allem um das Nilwasser. Im Süden verfolge Äthiopien "eigene Interessen, auch als Gegengewicht zu Ägypten" - auch hier geht es um das Nilwasser - und könnte sich deshalb auf die Seite der RSF-Miliz stellen, sagt sie. Die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen - möglicherweise auch mit Waffen - die Paramilitärs, da diese für die von Saudi-Arabien angeführte Koalition im Jemen kämpften. Über die Wüsten des Tschads und Libyens, die an Daglos Hochburg Darfur grenzen, könnten Munition und Söldner zur RSF gelangen.
Ausweitung des Konflikts befürchtet
Das Forschungszentrum International Crisis Group befürchtet, dass sich der Konflikt auf die Nachbarländer ausweitet, weil "ethnische Gruppen, deren Heimat über die Grenzen des Sudan hinausgeht, betroffen sein könnten".
Mit Material der Nachrichtenagenturen
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