Angesichts der israelischen Vorbereitungen für eine Bodenoffensive im Gazastreifen wächst international die Sorge vor einer Ausweitung des Krieges zwischen Israel und der Hamas auf weitere Länder der Region. Während Israel den Zivilisten im Norden des Palästinensergebiets am Sonntag weitere Zeit zur Flucht einräumte, gab es an der israelischen Grenze zum Libanon erneut Gefechte. Die USA warnten vor dem Entstehen einer zweiten Front zwischen Israel und dem Libanon und vor einem Eingreifen des Iran.
Uno beklagt "beispiellose menschliche Katastrophe"
Die Lage der von Versorgungsgütern abgeschnittenen mehr als zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens wurde unterdessen immer dramatischer. Von einer "beispiellosen menschlichen Katastrophe" in dem Palästinensergebiet sprach am Sonntag der Generalkommissar des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Philippe Lazzarini. "Kein Tropfen Wasser, kein Weizenkorn, kein Liter Treibstoff ist in den vergangenen acht Tagen in den Gazastreifen gelassen worden." Auch die UNRWA-Mitarbeiter im Gazastreifen seien "nicht mehr in der Lage, humanitäre Hilfe zu leisten".
Iran warnt Israel
Israels Militär hat den geplanten Einmarsch in den Gazastreifen einem US-Medienbericht zufolge wegen widriger Wetterbedingungen um einige Tage verschoben. Nach den Worten eines Sprechers wartet die Armee indes nur noch auf eine "politische Entscheidung" zum Beginn der großangelegten Bodenoffensive. Panzer, Soldaten und schweres Gerät sind bereits an der Grenze zu dem Palästinensergebiet in Stellung gebracht.
Der Iran warnte Israel eindringlich vor dem Einmarsch. In diesem Fall könne niemand dafür garantieren, dass sich der Konflikt nicht ausweite, sagte Außenminister Hossein Amir-Abdollahian. "Wenn die zionistischen Aggressionen nicht aufhören, haben alle Parteien in der Region die Finger am Abzug."
Warnungen kommen auch von der Arabischen Liga und der Afrikanische Union. Ein solcher Militäreinsatz "könnte zu einem Völkermord von beispiellosem Ausmaß führen", erklärten die beiden Organisationen am Sonntag in einer gemeinsamen Stellungnahme. Sie riefen die Uno und die internationale Gemeinschaft dazu auf, eine solche "Katastrophe" zu verhindern, bevor es zu spät sei.
USA verlegen weiteren Flugzeugträger
Die USA kündigten die Verlegung eines zweiten Flugzeugträgers ins östliche Mittelmeer an, "um von feindlichen Handlungen gegen Israel" abzuschrecken. Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, betonte, es bestehe die Gefahr, dass der Iran, der die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas im Gazastreifen sowie die pro-iranische Hisbollah-Miliz im Libanon mit Geld und Waffen unterstützt, eingreife.
Die Hamas hatte am 7. Oktober einen Großangriff auf Israel gestartet. Sie feuerte tausende Raketen ab und drang mit hunderten Kämpfern nach Israel ein, die dort ein Blutbad unter Zivilisten anrichteten. Nach jüngsten Angaben wurden in Israel mehr als 1.400 Menschen getötet und mindestens 155 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Bei Spezialeinsätzen der israelischen Armee im Gazastreifen wurden seither die Leichen mehrerer Geiseln entdeckt. Unter den Entführten sind auch Deutsche. In Kairo bemühte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Samstag um die Freilassung.
Südlicher Gazastreifen bekommt wieder Wasser
Nach dem Hamas-Großangriff nahm die israelische Armee den Gazastreifen unter Dauerbeschuss. Bei israelischen Luftangriffen wurden nach Angaben der Hamas seither mindestens 2.670 Menschen getötet und Tausende weitere verletzt. Am Freitag rief die israelische Armee rund 1,1 Millionen Zivilisten im Norden des Gazastreifens auf, das Gebiet Richtung Süden zu verlassen. Zehntausende Menschen sind seither aus dem Norden des Gebiets geflohen, die Uno sprach am Sonntag von einer Massenflucht.
Nach einer tagelangen vollständigen Sperre nahm Israel am Sonntag nach eigenen Angaben die Wasserversorgung im Süden des Gazastreifens wieder auf. Laut Energieminister Israel Katz sollten die Bewohner so zusätzlich dazu gebracht werden, den Norden des Palästinensergebiets Richtung Süden zu verlassen. Nach mehreren Evakuierungsaufrufen an die Zivilbevölkerung des Gazastreifens begaben sich inzwischen nach israelischen Militärangaben mehr als 600.000 Palästinenser in den Süden des schmalen Küstenstreifens. Im Gegensatz zur Hamas wolle Israels Militär unbeteiligten Bürgern möglichst wenig Schaden zufügen, betonte Israels Armeesprecher Daniel Hagari.
"Niemand sollte anderswo Öl ins Feuer gießen"
Auch im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon ist die Lage derweil extrem angespannt. Das israelische Militär sperrte das Grenzgebiet zum Südlibanon für Zivilisten. Die pro-iranische Hisbollah-Miliz im Libanon hatte sich in den vergangenen Tagen zu mehreren Raketenangriffen auf Nordisrael bekannt, Israel hatte in Reaktion auf den Beschuss Ziele im Südlibanon angegriffen. Nach Angaben der UN-Friedensmission Unifil schlug auch eine Rakete im Hauptquartier der Blauhelme im südlibanesischen Nakura ein.
Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant betonte am Sonntag, sein Land wolle keinen Krieg an seiner Nordgrenze. Sollte die Hisbollah jedoch "den Weg des Krieges wählen", werde sie dafür "teuer bezahlen", warnte der Minister.
US-Außenminister Antony Blinken sagte nach zahlreichen Treffen mit Politikern in der Region, die arabischen Verbündeten der USA wollten eine weitere Eskalation des Krieges zwischen Israel und der Hamas verhindern. "Niemand sollte anderswo Öl ins Feuer gießen", sagte Blinken. Diese Einschätzung werde von den arabischen Verbündeten der USA geteilt.
Bundeswehr fliegt 162 Menschen Israel aus
Drei deutsche Militärflugzeuge flogen am Wochenende laut Bundeswehr insgesamt 162 Menschen aus Israel aus. In den vorangegangenen Tagen hatten bereits zahlreiche Deutsche das Land mit Sonderflügen der Lufthansa verlassen. Das Auswärtige Amt erließ am Sonntag eine Reisewarnung für Israel, die Palästinensergebiete und den Libanon.
International wuchs derweil die Sorge um die humanitäre Lage im Gazastreifen. "Israels Handeln hat den Rahmen der Selbstverteidigung gesprengt", kritisierte der chinesische Außenminister Wang Yi. China will angesichts einer drohenden Eskalation im Nahen Osten einen Vermittler in die Region schicken. Saudi-Arabien legte wegen des Krieges seine Gespräche über eine diplomatische Annäherung mit Israel auf Eis.
Der einzige Grenzübergang aus dem Gazastreifen zum Nachbarland Ägypten soll einer ägyptischen Sicherheitsquelle zufolge am Montag für die Ausreise von ausländischen Staatsangehörigen geöffnet werden. Den Angaben zufolge laufen dafür die Vorbereitungen. Auch die Einfuhr von humanitären Hilfslieferungen über den Grenzübergang Rafah soll demnach ermöglicht werden.
Im Video: Bundeswehr fliegt Deutsche aus Israel aus
Mit Informationen von dpa, Reuters und AFP
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