Angesichts einer global verschlechterten Sicherheitslage bauen die Atomwaffenstaaten ihre nuklearen Arsenale aus. Das geht aus dem Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri hervor. Dabei gerät insbesondere China in den Blick.
Weniger Atomsprengköpfe, aber mehr einsatzfähige Nuklearwaffen
Die Gesamtzahl der nuklearen Sprengköpfe im Besitz der Atommächte Großbritannien, China, Frankreich, Indien, Israel, Nordkorea, Pakistan, USA und Russland ist zwar laut Sipri im vergangenen Jahr von 12.710 auf 12.512 zurückgegangen. Davon waren allerdings 9.576 in "militärischem Lagerbestand für potenziellen Gebrauch" - 86 mehr als im Vorjahr.
Die weltweite Zahl der Kernwaffen sinkt seit Jahrzehnten kontinuierlich. Der Rückgang liegt aber hauptsächlich daran, dass ausrangierte Sprengköpfe von Russland und den USA nach und nach demontiert wurden. Die Friedensforscher schauen deshalb nicht nur auf die geschätzten Gesamtbestände, sondern auch auf die einsatzfähigen Arsenale. Und bei diesen sei eine Trendwende zu beobachten: "Die globalen Reduzierungen einsatzbereiter Sprengköpfe scheinen ins Stocken geraten zu sein, und ihre Zahlen steigen wieder", hieß es im Sipri-Bericht. Die Zahl nutzbarer Atomwaffensprengköpfe sei aber noch weit entfernt von den mehr als 70.000 während der 1980er Jahre.
Insbesondere China rüstet auf
Der Großteil der aktuellen Steigerung sei auf China zurückzuführen, das seinen Lagerbestand von 350 auf 410 Atomwaffensprengköpfe erhöhte. Bis 2030 werde das Land mindestens so viele Interkontinentalraketen haben wie Russland und die USA, so die Friedensforscher. "Was wir sehen, ist Chinas Aufstieg zur Weltmacht, das ist die Realität unserer Zeit", sagte Sipri-Direktor Dan Smith.
- Zum Artikel: USA vs. China: Ein Krieg wäre eine "globale Katastrophe"
Indien, Pakistan, Nordkorea und in einem geringeren Maße auch Russland steigerten ebenfalls ihre Lagerbestände, die übrigen Atommächte behielten ihre Zahlen bei. Russland und die USA verfügen nach wie vor über fast 90 Prozent aller Atomwaffen weltweit. Deutschland besitzt keine derartigen Waffen.
Weniger Transparenz bei Atomwaffenkontrolle und -abrüstung
Die Sipri-Forscher wiesen außerdem darauf hin, dass diplomatische Bemühungen zur Atomwaffenkontrolle und -abrüstung seit der russischen Invasion der Ukraine Rückschläge erlitten hätten. So stoppte Washington seinen "bilateralen strategischen Stabilitätsdialog" mit Moskau. Russland hatte im Februar angekündigt, seine Beteiligung am 2010 abgeschlossenen Atomwaffen-Kontrollvertrag New Start zu beenden - laut Sipri "der letzte verbliebene" Vertrag, der die strategischen Atomwaffen der USA und Russland beschränkt.
Hinzu kommt, dass die Verhandlungen über eine Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Iran von dessen militärischer Unterstützung für die russischen Streitkräfte in der Ukraine und der politischen Lage im Land überschattet werden. Eine Wiederbelebung des Abkommens scheine derzeit zunehmend unwahrscheinlich, so Sipri.
Sipri-Direktor: "Eine der gefährlichsten Perioden der Menschheitsgeschichte"
Es sei daher dringend notwendig, "die Nukleardiplomatie wiederherzustellen und die internationalen Kontrollen von Atomwaffen zu verstärken". Die Regierungen der Welt müssten rasch "Wege der Zusammenarbeit finden, um geopolitische Spannungen zu beruhigen, das Wettrüsten zu verlangsamen und die sich verschlimmernden Folgen des Umweltzerfalls und des zunehmenden Hungers in der Welt zu bewältigen". Sipri-Direktor Smith machte klar: "Wir driften in eine der gefährlichsten Perioden der Menschheitsgeschichte ab."
Video: Schwerpunkt Sipri
Mit Informationen von dpa und AFP
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