Für viele Menschen ist Freiburg eine schöne Stadt, in der es sich gut leben lässt. Georg Gänswein, der frühere Sekretär von Papst Benedikt XVI. dürfte es eher als Strafe empfunden haben, als er vergangenes Jahr von Papst Franziskus ohne Aufgabe in die Universitätsstadt im Schwarzwald geschickt wurde. Und genau das war es wohl auch.
Franziskus kritisiert Gänsewein scharf – und gibt ihm einen Job?
Im Vatikan war Gänswein über Jahre einer der einflussreichsten Männer. Dann fiel er bei Papst Franziskus in Ungnade. Der Papst warf dem 67-Jährigen in einem jüngst erschienen Buch vor, es fehle diesem an Menschlichkeit. Außerdem kritisierte er, Gänswein habe Benedikt XVI. in dessen letzten Lebensjahren instrumentalisiert, bewusst von der Außenwelt abgeschottet und gegen den amtierenden Papst in Stellung bringen wollen.
Trotz dieser außergewöhnlich harschen öffentlichen Worte, kann sich Gänswein berechtigte Hoffnung machen, bald mit einem neuen Posten in der vatikanischen Diplomatie bedacht zu werden. Das berichtete vor einer Woche die argentinische Zeitung "La Nacion". Die Nachricht kam von Korrespondentin Elisabetta Pique, die zusammen mit ihrem Mann dem Papst sehr nahesteht, sagt Vatikanexpertin Severina Bartonitschek gegenüber BR24. "Die hätten diese Informationen nicht gestreut, wenn da nichts dran wäre und sie es nicht aus sicherer Quelle wüssten."
Motto des Papstes: "Halte deine Feinde näher als deine Freunde"
Doch wie passt Franziskus' Kritik und das gleichzeitige In-Aussicht-Stellen eines neuen Jobs zusammen? Es sei ein Zeichen dafür, dass der Papst "kein ewig Nachtragender ist, der über die Menschen ein für alle Mal den Stab bricht", sagt Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer beim Osteuropa-Hilfswerk Renovabis im BR24 Interview. Der Papst habe in demselben Buch, in dem er Kritik an Gänswein übt, auch gesagt, dass, "wenn ein Mensch sich ändert und einsieht, dass er einen Fehler gemacht hat, dass die Kirche aus ihrer eigenen Identität heraus, jemandem vergeben und einen neuen Anfang ermöglichen muss".
Severina Bartonitschek, die für die Katholische Nachrichtenagentur (kna) aus Rom berichtet, sieht hinter Franziskus' Handeln auch eine mögliche machtpolitische Komponente – gemäß dem Motto "Halte deine Freunde nah bei dir, aber deine Feinde noch näher". In den Augen des Papstes könnte es besser sein – nach ihren gemeinsamen Erfahrungen im Vatikan – Gänswein eine Aufgabe zu geben, als ihn mit für einen Erzbischof noch jungen 67 Jahren ohne Amt in Freiburg zu belassen, so Bartonitschek.
Gänsweins Schweigen könnte Zeichen eines Deals sein
Dass sich Gänswein bislang zu dieser Thematik genauso wenig äußert, wie zu den doch recht harschen Worten des Papstes über ihn in einem kürzlich erschienenen Interviewbuch, könnte Zeichen eines "Deals" zwischen den beiden sein. Der Deutsche bekommt einen Posten, soll sich dafür aber zunächst weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurückziehen.
Es wird wohl ein Botschafterposten werden – da sind sich Vatikanbeobachter einig. Die Stelle eines Nuntius, wie ein vatikanischer Botschafter genannt wird. In welchem Land ist jedoch noch unklar. Vor einem Jahr hieß es bereits, der deutsche Geistliche werde nach Costa Rica geschickt – eine "Nuntiatur der Ruhe", wie es "Religion Digital" damals ausdrückte. Mitte dieser Woche kamen nun Spekulationen auf, es könnte für den 67-Jährigen bald nach Litauen ins Baltikum gehen.
Stelle des Nuntius in Litauen gerade frei geworden
Im März hatte der Papst den Nuntius aus Litauen, der auch für Lettland und Estland zuständig ist, zum Nuntius von Italien ernannt. Franziskus wolle die Stelle im Baltikum aber vermutlich nicht lange unbesetzt lassen, glaubt Bartonitschek. "Es ist eine, in der derzeitigen weltpolitischen Situation, nicht unbedeutende Aufgabe, dort den Heiligen Stuhl zu vertreten", sagt Thomas Schwartz, Direktor des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis. Wer immer dort hinkomme, dem werde es nützen, wenn er "erfahren und gut vernetzt" sei.
Und Gänswein sei "sehr erfahren", betont Schwartz bei BR24. "Er hat alles, was kirchlich Rang und Namen hat, in den letzten 20 Jahren seiner Tätigkeit im Vatikan kennengelernt." Er kenne die osteuropäischen und auch die baltischen Bischöfe gut und sei dort auch weiterhin gut vernetzt. Eine der Herausforderungen für den künftigen Nuntius sei es, für Verständnis zu sorgen in der Region, in der der Vatikan vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs "durch manche unglückliche Formulierung in den vergangenen Monaten manches an Irritationen hervorgerufen hat".
Ukraine-Krieg prägt auch Kirchen im Baltikum
Die Kirchen in den drei baltischen Ländern seien seit Kriegsbeginn sehr in der Arbeit mit Flüchtlingen engagiert. Es gebe Flüchtlinge aus der Ukraine, aber auch aus Weißrussland und der Russischen Föderation, die "sich nicht an die russisch-orthodoxen Kirchen wenden möchten, weil sie in denen 'Agenten' Russlands sehen", sagt Schwartz.
Ansonsten sei die Situation der Kirchen in den drei baltischen Staaten sehr unterschiedlich. Estland habe nur 6.000 Katholiken bei einer Einwohnerzahl von 1,3 Millionen. "Die Katholiken sind sehr verstreut. Man muss mit der Lupe suchen, dass man katholische Gläubige findet. Und die zusammenzuhalten, ist eine große pastorale Aufgabe." In Lettland mit etwa 20 Prozent Katholiken sei es dagegen notwendig, in einer überwiegend protestantisch geprägten Umgebung ein ökumenisches Miteinander zu pflegen.
Litauen ist das katholischste Land dieser drei Staaten, so Schwartz. Dort seien etwa 80 Prozent der Einwohner katholisch und damit sei es auch das einzige mehrheitlich katholische Land der ehemaligen Sowjetunion. Für die Bischöfe in dem Land sei es eine "große Aufgabe", die Spaltung der Generationen zu überwinden: "Die Generation, die noch die sowjetische Zeit gekannt hat und in der Verfolgung gelebt hat. Und die Nachgeborenen, die eine ganz andere Erwartung an die Kirche haben – sich zu öffnen, sich der modernen Welt nicht zu verschließen, sondern Freiheiten zu gewähren."
Spekulationen werden weitergehen
Bis die Personalie Gänswein offiziell bekannt gegeben wird, werden die Spekulationen munter weitergehen. "Die Nuntiatur in Costa Rica ist auch noch immer vakant", gibt Vatikanexpertin Severina Bartonitschek zu bedenken. "Also es kann auch durchaus sein, dass der Papst Gänswein noch nach Costa Rica schickt – oder ganz woandershin."
Im Video: Einblicke in den Vatikan - Georg Gänswein
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.