So viele Menschen im Alter wie noch nie zuvor sind auf Grundsicherung angewiesen – das zeigen aktuell veröffentlichte Daten des Statistischen Bundesamts von März 2023. Demnach bezogen von insgesamt 1,2 Millionen Empfängern in ganz Deutschland über 684.000 Menschen im Alter Grundsicherung. Wie das Statistische Bundesamt auf BR24-Anfrage bestätigt, entspricht dies einem Anstieg um 15 Prozent im Jahresvergleich. Weiter heißt es, dass sechs von zehn Personen, die Grundsicherung im Alter bezogen, Frauen waren.
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Grundsicherung: Die Situation älterer Menschen in Bayern
In Bayern steigt die Zahl der auf Grundsicherung angewiesenen Menschen seit Jahren an: Waren es im Dezember 2021 noch über 129.000 Menschen (darunter gut 74.500 Menschen im Alter), stieg die Zahl im darauffolgenden Jahr auf insgesamt 140.000 Empfänger an (darunter 85.900 Menschen im Alter), um im März 2023 einen Höhepunkt zu erreichen: Von insgesamt 145.000 Empfängern sind es knapp 90.000 Menschen, die im Alter Grundsicherung beantragt haben.
Das Landratsamt Deggendorf bestätigt auf BR24-Anfrage den Anstieg der Anträge auf Grundsicherung vor Ort. Als Grund nennt Sozialamtsleiter Christian Holmer nicht nur die steigenden Lebensunterhaltskosten, sondern auch "neue Zahlfälle": Ukrainer im Rentenalter mit Anspruch auf Grundsicherung. Nach Holmer sind Rentner in der Stadt statistisch gesehen mehr auf finanzielle Unterstützung durch den Staat mit der Grundsicherung angewiesen als auf dem Land – in der Stadt seien die Mieten höher, auf dem Land "haben immer noch sehr viele Menschen ein Eigenheim".
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Trotz vieler Anträge: Dunkelziffer hoch, Scham zu groß
Obwohl insbesondere Menschen im Alter auf Grundsicherung angewiesen sind und diese beantragen, dürfte die Dunkelziffer hoch sein: Denn vor allem Rentner gehen nicht zum Sozialamt – aus Scham, wie Christian Holmer vom Deggendorfer Sozialamt sagt: "Gerade im ländlichen Raum, wo jeder jeden kennt, haben nach wie vor Bürgerinnen und Bürger ein gewisses Problem damit, für sich Leistungen zu beantragen." Auch im Rentenreport 2023 des Deutschen Gewerkschaftsbund Bayern wird darauf hingewiesen, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegen dürfte: Unter anderem Scham, aber auch Unwissenheit führten dazu, dass Menschen im Alter ihre Ansprüche gar nicht geltend machen.
Die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) betont auf BR24-Anfrage: "Es ist keine Schande, Beratungs- und Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Wir müssen hier noch mehr sensibilisieren und Bewusstsein für Hilfsmöglichkeiten schaffen!" Besonders Frauen seien gefährdet, in die Falle Altersarmut zu tappen, so Scharf. Auch im Jahr 2023 würden sie den Großteil der Kinderbetreuung übernehmen oder Angehörige zu Hause pflegen. Die bayerische Sozialministerin fordert daher, Erziehungsarbeit und Pflegezeiten in der Rente besser zu berücksichtigen: "Ich fordere den Bund auf, aktive Reformvorschläge auf den Tisch zu legen. An der Mütterrente III führt dabei für mich kein Weg vorbei – die Lebensleistung der Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, muss anerkannt und die Rente verbessert werden."
In Zeiten gestiegener Preise für Leben, Wohnen und Energie zeige sich nach Holmer jedoch, dass trotz aller Scham "irgendwann der Punkt erreicht ist, ab dem man Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Unterkunft beantragt."
Was ist Grundsicherung und wer bekommt sie?
Generell gilt: Grundsicherung ist keine Rente – sondern eine am persönlichen Bedarf orientierte Leistung, also eine staatliche Sozialleistung. Diese wird aus Steuern finanziert und vom Sozialhilfeträger gezahlt. Von der Deutschen Rentenversicherung heißt es hierzu als Faustregel: Wenn das gesamte Einkommen unter 973 Euro liegt, sollte ein Anspruch geprüft werden.
Grundsicherung erhalten Personen entweder aufgrund ihres Alters oder einer Erwerbsminderung:
1. Grundsicherung im Alter:
Reicht das Geld im Alter nicht aus, kann Grundsicherung beantragt werden. Jedoch gilt eine Altersgrenze: In den nächsten Jahren wird sie von 65 Jahren auf 67 Jahre angehoben.
Seit vergangenem Jahr haben auch Geflüchtete aus der Ukraine im Rentenalter Anspruch auf Grundsicherung statt wie zuvor nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
2. Grundsicherung aufgrund voller Erwerbsminderung:
Grundsicherung können auch Personen ab 18 Jahren erhalten, die dauerhaft und voll erwerbsmindert aufgrund einer Krankheit oder Behinderung sind.
Wofür gibt es die Grundsicherung?
Bei der Grundsicherung werden drei Bereiche beachtet:
- Notwendiger Lebensunterhalt
- Unterkunft
- Mehrbedarf
So soll die Grundsicherung einerseits helfen, den Bedarf des täglichen Lebens bezahlen zu können – denn jeden Monat entstehen bestimmte Kosten für Lebensmittel, Reparaturen oder Kleidung. Diese Kosten für den notwendigen Lebensunterhalt werden über sogenannte Regelbedarfsstufen sichergestellt: Demnach erhalten in Stufe 1 Alleinstehende monatlich 502 Euro. Personen mit Ehe- oder Lebenspartner sowie Menschen mit Behinderungen in Stufe 2 stehen 451 Euro zu. In Stufe 3 gibt es für Erwachsene in stationären Einrichtungen wie Heimen 402 Euro.
Andererseits werden mithilfe der Grundsicherung die Kosten der Unterkunft übernommen, also Miet-, Neben- und Heizungskosten, ebenso wie Kranken- oder Pflegeversicherungsbeiträge.
Menschen mit Behinderung können zusätzlich einen Mehrbedarf erhalten, beispielsweise für Gehhilfen oder notwendige, aber kostenaufwendigere Ernährung aufgrund einer Krankheit.
Wie hoch ist die Grundsicherung?
Eine Mindesthöhe der Grundsicherung zu benennen, ist kaum möglich, da es sich um individuelle Berechnungen handelt. Wie viel Geld man tatsächlich erhält, hängt vom eigenen Einkommen und Vermögen ab, sowie dem des Ehepartners. Von der Grundsicherung abgezogen werden beispielsweise Renten, Kinder- und Elterngeld (Einkommen). Außerdem wird auch das Vermögen abgezogen, wie Bargeld, Wertpapiere, Haus- und Grundvermögen sowie Sparguthaben.
Allerdings gilt: Nicht jedes Vermögen wird von der Grundsicherung abgezogen. Jeder Antragsteller darf 10.000 Euro Vermögen beispielsweise auf dem Konto oder dem Sparbuch als sogenannten Vermögensfreibetrag haben – ohne negative Auswirkung auf den Betrag der Grundsicherung. Dasselbe gilt für den Ehe- oder Lebenspartner.
Auch werden Freibeträge bei der Grundsicherungs-Berechnung beachtet: Wer Grundrente bezieht, kann einen sogenannten Grundrentenfreibetrag erhalten. Das bedeutet: Die gesetzliche Rente wird dann nicht in voller Höhe von der Grundsicherung abgezogen. Aber: Nur wer 33 Jahre lang in die gesetzliche Rente eingezahlt hat, erhält diesen Grundrentenfreibetrag. Wer diese Grundrentenzeit nicht erfüllt – oftmals Frauen, die wegen der Kinderbetreuung zu Hause geblieben sind – dem wird die Rente als Einkommen von der Grundsicherung abgezogen.
Musterrechnungen bieten Orientierung
Sowohl das Bundesministerium für Arbeit und Soziales als auch die Deutsche Rentenversicherung liefern Musterrechnungen zur Orientierung. Ein Beispiel:
Gerda M. ist 67 Jahre alt und hat einen Schwerbehindertenausweis. Sie lebt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, die Miete beträgt monatlich 285 Euro, dazu kommen Heizkosten von 35 Euro und Nebenkosten von 50 Euro. Gerda M. erhält monatlich eine Witwenrente von 325 Euro (netto). Sie hat weniger als 33 Jahre mit Grundrentenzeiten zurückgelegt. Ihre Tochter verdient im Jahr 30.000 Euro.
Der Grundsicherungsbedarf von Gerda M. liegt in Regelbedarfsstufe 1 bei 502 Euro (alleinstehend). Addiert man hierzu alle Ausgaben (Miete, Heizung, Nebenkosten, Mehrbedarf Gehbehinderung), ergibt sich ein Bedarf von 957,34 Euro. Jedoch wird von dieser Summe das Einkommen abgezogen: die Witwenrente in Höhe von 325 Euro. Demnach erhält Gerda M. als Grundsicherung 632,34 Euro monatlich.
Wie kann man Grundsicherung beantragen?
Für die Beantragung gibt es Formulare – mit diesen müssen die Antragsteller ihre Hilfebedürftigkeit nachweisen (Einkünfte und Vermögen), dann erst kann der individuelle Betrag der Grundsicherung errechnet werden. Zuständig für die Leistung der Grundsicherung ist jeweils der Landkreis oder die kreisfreie Stadt, in der man lebt. Dort kann beim zuständigen Sozialamt einen Antrag gestellt werden.
Die Zahlung beginnt mit dem ersten Tag des Monats, in dem der Antrag gestellt wurde, und erfolgt generell für ein Jahr. Danach muss ein neuer Antrag gestellt werden. Wie es von der Deutschen Rentenversicherung heißt, werden Rentnerinnen und Rentner mit kleiner Rente über die Grundsicherung mit dem Rentenbescheid informiert.
Dieser Artikel ist erstmals am 18. Juli 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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