Wie steif gefroren - so wirkte die IS-Rückkehrerin Jennifer W. lange Zeit vor dem Oberlandesgericht München. Nur im Austausch mit ihren Anwälten Seda Basay-Yildiz und Ali Aydin machte sie gelegentlich einen entspannteren Eindruck.
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Bundesanwaltschaft fordert lebenslange Haft
Aber die Last der Vorwürfe war der Angeklagten anzumerken. Besonders als sie vor Gericht in Tränen ausbrach. Jennifer W. soll sich während ihrer Zeit beim sogenannten Islamischen Staat (IS) mitschuldig gemacht haben am mutmaßlichen Tod eines fünfjährigen jesidischen Mädchens.
Die Bundesanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer lebenslange Haft gefordert. Und die Nebenklage hat sich dieser Forderung angeschlossen. Nun sind die Verteidiger an der Reihe. Auch Jennifer W. will sich noch einmal äußern. Es ist schwer vorstellbar, dass die Verteidiger mit Bundesanwaltschaft und Nebenklage übereinstimmen werden. Bis zuletzt haben sie sich für ihre Mandantin eingesetzt und offensichtlich versucht, die Schuld der Angeklagten zu schmälern.
Der Druck des Ehemanns
Eigentlich stammt Jennifer W. aus Niedersachsen. Weil sie aber 2018 in Bayern auf der Durchreise verhaftet wurde, findet der Prozess in München statt. Als sie noch bei der Terrormiliz IS lebte, hatte Jennifer W. eigenen Worten zufolge Angst vor ihrem Ehemann. "Mich hat er beschimpft, was für eine schlechte Frau ich sei", erzählte sie nach einer Einlassung auf Nachfragen des Gerichts.
Einst verliebt, habe er nach der Trauung sein wahres Gesicht gezeigt. Er schlug zu. Die Schläge waren eigentlich gegen eine jesidische Frau und das fünfjährige Mädchen gerichtet - Tochter und Mutter als Sklaven im Haushalt von Jennifer W. und ihrem Mann im irakischen Falludscha. Aber die Angeklagte machte vor Gericht deutlich, dass sie die Brutalität des Mannes ebenso fürchtete. Sie weinte und erklärte, wie abhängig sie doch damals von ihrem Ehemann gewesen sei: "Damals hatte ich nur ihn."
Vor Gericht haben IS-Rückkehrerinnen schon häufiger erzählt, dass Frauen den Männern folgen mussten, aber die Männer tun konnten, was sie wollten. Auch bei Jennifer W. geht es um die Frage, wie schuldig ist eine junge Frau in einem von Männern dominierten System. Darauf gibt es auch nach fast zweieinhalb Jahren Prozess keine klare Antwort. So schwer die Vorwürfe wiegen, so komplex ist das Verfahren.
Der Tod des jesidischen Mädchens
Im Sommer 2015 hatte Jennifer W. der Anklage zufolge zugesehen, wie das kleine Mädchen ungeschützt in praller Sonne starb, nachdem ihr Ehemann es angebunden hatte. Laut Anklage war die Fünfjährige krank und hatte ins Bett gemacht. Draußen bei 45 Grad angebunden zu werden, sei die Strafe dafür gewesen. W. habe nichts unternommen. "Entweder er hätte mich geschubst und in die Ecke gedrückt oder mich eingesperrt", gab Jennifer W. später zu Protokoll.
Auch nach der Zeit in Syrien war sie mit ihrem Mann in Kontakt. Vor allem, als Jennifer W. zurück in Deutschland das gemeinsame Kind zur Welt brachte. Sie habe sich von ihrem Mann unter Druck gesetzt gefühlt.
Der Mann muss sich inzwischen seit April vergangenen Jahres vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verantworten. Ihm werden unter anderem Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
Plädoyers der Verteidiger erwartet
In München läuft das Verfahren um das mutmaßlich getötete Kind schon seit April 2019. Die Plädoyers sind nun wohl einer der letzten Akte in einem zähen Verfahren.
Kürzlich warf Anwältin Basay-Yildiz dem Gericht vor, es habe die Aussage von W. ignoriert, laut der ein Angehöriger der Familie des Ehemanns das leidende, aber noch lebende Kind in ein Krankenhaus gebracht habe. Diese Version werde durch die Angaben der Mutter des Mädchens gestützt. Zudem argumentierte sie, dass der Tod der Fünfjährigen einem Bericht des Krankenhauses von Falludscha zufolge auch durch eine Infektion mit Typhus oder Salmonellen zu erklären sei. Das Gericht lehnte den Antrag ab. Und die Bundesanwaltschaft bemerkte, die Angaben der Angeklagten seien nicht glaubwürdig und wiesen viele "logische Brüche" auf.
Als gegen die Verteidiger ermittelt wurde
Es gab den einen Moment, da wirkten Jennifer W. und ihre Verteidiger unsicher. Gemeinsam stellten sie vor einigen Monaten öffentlich die Frage, ob sie noch aufeinander bauen könnten. Aydin und Basay-Yildiz hatten in einem ihrer Beweisanträge vor dem Münchner Oberlandesgericht aus einem nicht-öffentlichen Islamismus-Prozess am Oberlandesgericht Düsseldorf zitiert, in dem sie ebenfalls als Pflichtverteidiger tätig waren. Die Generalstaatsanwaltschaft München ermittelte.
Unter diesen Umständen war aus Sicht der Verteidiger und der Angeklagten keine sachgerechte Verteidigung mehr möglich. Die Verteidiger fürchteten, sich selbst zu belasten. Das Verfahren gegen die Anwälte wurde jedoch gegen Geldauflage eingestellt.
Erinnerungen an den IS verfolgen Jennifer W. bis ins Gefängnis
Nun naht das Urteil gegen Jennifer W. Sie träume von einer Zukunft mit ihrem Kind, sagt sie. Im Gefängnis hat sie nach eigenen Angaben Flashbacks. Es gibt Momente, die sie an den IS erinnern, wie sie den Richtern erzählte: Wenn sie Hubschrauber höre etwa. Zudem könne sie kein Leitungswasser trinken.
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