Kind schaukelt, man sieht seinen Schatten und den einer erwachsenen Person
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Alleinerziehend sein ist in Deutschland immer noch ein Armutsrisiko.

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Jeden Tag verzichten: Armut trifft Alleinerziehende am stärksten

Das "Nein" gehört für Arme zum Alltag: Public Viewing in der Kneipe, ein Eis mit Freunden – das kann sich nicht jeder leisten. Am stärksten betroffen: Alleinerziehende. Das ist schon länger bekannt. Aber es ändert sich wenig, zeigt eine neue Studie.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Armut droht in Deutschland vor allem Alleinerziehenden, und das sind hauptsächlich Frauen. Bekannt ist das schon länger – es hat sich aber auch kaum geändert, zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung. Die geplante Kindergrundsicherung werde bei weitem nicht reichen, um Alleinerziehende und ihre Kinder aus der Armutsfalle zu befreien.

Vier von zehn Alleinerziehenden gelten als "einkommensarm"

Der Bertelsmann Stiftung zufolge gelten von den rund 1,7 Millionen Alleinerziehenden in Deutschland 41 Prozent als "einkommensarm". Zum Vergleich: Bei Paar-Familien waren es acht Prozent (bei einem Kind) und 30 Prozent (bei drei oder mehr minderjährigen Kindern.) Bei den Ein-Eltern-Familien handelt es sich zu gut 82 Prozent um eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Nachwuchs, zu knapp 18 Prozent um einen alleinerziehenden Vater. An ihrer seit Jahren bekannten, häufig prekären Situation habe sich trotz punktueller Erleichterungen kaum etwas verbessert, kritisierten die Studienautorinnen.

Knapp die Hälfte aller Kinder, die in einer Familie mit Bürgergeldbezug aufwachsen, lebte mit nur einem Elternteil zusammen, erklärte die Stiftung. Für das heute vorgestellte "Factsheet Alleinerziehende" hat die Bertelsmann Stiftung unter anderem Daten vom Statistischen Bundesamt und der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2023 verwendet.

Alleinerziehende oft arm, weil Männer keinen Unterhalt zahlen

Die Armutsfalle für Alleinerziehende sei jedoch nicht auf Erwerbslosigkeit zurückzuführen, hieß es. Mehr als 70 Prozent der alleinerziehenden Mütter und 87 Prozent der alleinerziehenden Väter gingen einer Arbeit nach. Trotzdem seien viele von ihnen von Armut gefährdet; die Studie spricht von "relativer Einkommensarmut". Die betrifft Personen, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügen. Konkret könne das bedeuten: kein Familienurlaub, tagtäglich verzichten, keine Rücklagen für eine gewisse finanzielle Sicherheit, kaum kulturelle oder soziale Teilhabe, so die Familienexpertin der Bertelsmann-Stiftung, Anette Stein. Für alleinerziehende Mütter sei das Risiko besonders hoch. Zudem schulterten sie den Großteil der Kinderbetreuung.

Wesentlicher Grund für eine finanziell schwierige Situation vieler Alleinerziehender seien ausfallende Unterhaltszahlungen. Reformen des Unterhaltsvorschusses oder der Kinderzuschlag habe die belastende Situation für viele Alleinerziehende nicht entscheidend verbessert. Es brauche mehr Kitaplätze, eine verlässliche Ganztagsbetreuung in der Schule, flexiblere Arbeitszeitmodelle und weitere Anreize für Väter, mehr Verantwortung für ihre Kinder und Care-Arbeit zu übernehmen, fordert die Stiftung. 

Geplante Kindergrundsicherung reiche nicht

Die geplante Kindergrundsicherung reiche bei Weitem nicht, um Armut wirksam entgegenzuwirken, kritisierte Anette Stein. Der aktuelle Gesetzentwurf sieht laut den Experten der Bertelsmann-Stiftung zu wenig Geld für die Alleinerziehenden, die Kinder und Jugendlichen vor. Wichtig wäre aus Sicht der Stiftung auch eine zuständige Anlaufstelle mit niedrigschwelliger Beratung aus einer Hand. Solche "Familienservicestellen" müssten im Gesetz verankert und dann sukzessiv aufgebaut werden. Ob die Kindergrundsicherung aber Anfang 2025 kommt, wie von Paus angestrebt, ist offen. Viele Fragen sind ungeklärt.

Angesichts der Armutsgefährdung vieler alleinerziehender Familien haben auch Verbände mehr Unterstützung verlangt. Das Deutsche Kinderhilfswerk beklagte: "Die Leidtragenden sind vor allem die Kinder." Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann sagte, um den Armutskreislauf zu durchbrechen, brauche es neben materieller Absicherung auch eine entsprechende Infrastruktur für Alleinerziehende, "armutsfeste" Löhne, bezahlbaren Wohnraum und flexible Kinder-Betreuungsmöglichkeiten.

In Bayern verhältnismäßig am wenigsten Alleinerziehende

Unter allen 8,5 Millionen Familien deutschlandweit mit Kindern unter 18 Jahren machten alleinerziehende Familien etwa 20 Prozent aus, so die Bertelsmann-Stiftung. Der leichte Anstieg seit 2019 auf aktuell rund 1,7 Millionen Ein-Eltern-Familien mit minderjährigem Nachwuchs sei unter anderem auf Geflüchtete aus der Ukraine zurückzuführen. Es gebe regionale Unterschiede mit einem Alleinerziehenden-Anteil von 27,5 Prozent in Berlin und 16,5 Prozent in Bayern. 

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