US-Präsident Joe Biden würde in der Umweltpolitik gern alles kombinieren: Wenn er über Klima spreche, dann meine er Arbeitsplätze, wiederholte Biden am Wochenende auf dem G20-Gipfel in Rom. Gut bezahlte Arbeitsplätze überall auf der Welt. Klingt fast zu gut, um wahr zu sein: noch mehr Wachstum für besseres Klima.
Dahinter steckt der Wunsch des US-Präsidenten und anderer Politiker in Industrienationen, Umweltschutz nicht wie Verzicht wirken zu lassen. Nur vorsichtig sprach Italiens Ministerpräsident Mario Draghi auf dem G20-Gipfel über die Notwendigkeit, Technologie und Lebensstil an eine veränderte Welt anzupassen. Biden erklärte auf seiner abschließenden Pressekonferenz, es brauche keine Bestrafungen, damit Menschen sich bewegen. Der US-Präsident verwies auf Anreize - wie Steuererleichterungen von 320 Milliarden US-Dollar für Solar-Paneele, Windenergie und die Dämmung von Häusern.
Investitionen sollen Klimaschutz und Wirtschaft helfen
Biden gründet seine Klimapolitik auf gigantische staatlichen Ausgaben, auf Investitionen in die geschliffene Infrastruktur der Vereinigten Staaten. Die US-Regierung verfolgt dabei mehrere Ziele: Die Wirtschaft soll sich nach der Corona-Pandemie dauerhaft erholen. Die Administration will die untere Mittelschicht stützen, um die weiten sozioökonomischen Gräben in der Gesellschaft zumindest etwas zu überbrücken. Und gleichzeitig wollen die USA den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 mit Hilfe der Investitionen um die Hälfte kürzen - Basis dafür ist das Niveau der Emissionen von 2005.
- Zur Übersicht: "Klimawandel und Umwelt: Aktuelle Infos zum Klimaschutz"
Es ist nach Ansicht von Wissenschaftlern und politischen Analysten unsicher, ob die aktuellen Pläne zum Umbau der Wirtschaft ausreichen, um dieses Ziel zu erreichen. Es ist ebenso unsicher, ob die USA ihre internationalen Verpflichtungen nach dem Pariser Klimaschutzabkommen erfüllen können. Das ständige vor und zurück in der Regulierung verunsichert zudem private Investoren. Momentan bremsen außerdem innenpolitische Brüche und Blockaden den Präsidenten. Der Streit um Infrastrukturpakete in Höhe von Billionen US-Dollar in der demokratischen Partei und der Umstand, dass sich die Republikaner komplett verweigern, zwingen Biden zu Kompromissen. Kritiker fürchten, wichtige Projekte zum Klimaschutz könnten verwässert werden oder ganz auf der Strecke bleiben.
"Man kann das nicht über Nacht erreichen"
"Seine maximalen Ziele kann der US-Präsident nicht durchsetzen, das ist richtig", sagt Robert Suttner von der Georgetown Universität in Washington DC. Aber Biden bringe die USA im Kampf gegen den Klimawandel voran. "Meine Güte, natürlich", ruft Sutter während der Videokonferenz. Die Leute sollten mal halblang machen: "Wir leben in einer Demokratie. Man kann das nicht über Nacht erreichen. Man kann nicht sagen, wir gehen in die Richtung, hört alle auf mich, mir alle nach", so der Professor.
Am Willen zur Veränderung liegt es häufig nicht: So hat die Biden-Regierung entschieden, keine neuen Rechte für das Bohren nach Öl und Gas zu vergeben. Der Schutz von Naturparks wurde wiederhergestellt. Und die Keystone-XL-Öl-Pipeline ist gestoppt. Weil die Regierung des abgewählten Präsidenten Trump aber schon viele Rechte erteilt hatte, könnten in diesem Jahr mehr neue Bohrungen nach Öl und Gas auf öffentlichem Gebiet gezählt werden als in den Jahren zuvor, berichtete die Nachrichtenagentur AP.
Höhere Energiepreise sorgen für Druck
Die höheren Preise für Benzin und Energie setzen die US-Regierung und die Führungen anderer Länder, wie zum Beispiel Brasilien, zusätzlich unter Druck. "Niemand hat erwartet, dass wir dieses oder nächstes Jahr in der Lage sind, auf Öl und Gas zu verzichten", erklärte Biden in Rom. Am ersten Gipfeltag hatte der Präsident die OPEC-Staaten sogar aufgefordert, in der Phase steigender Energiepreise mehr zu fördern. "Und ich frage: 'Warum stoppt ihr Öl und erhöht die Preise, nur damit es für uns schwieriger wird?'", sagte Biden.
Energieproduzierende Länder um höhere Förderquoten zu bitten und gleichzeitig ein Ende der Subventionen von fossilen Brennstoffen zu fordern, sei kein Widerspruch, erklärte Bidens Klimabotschafter John Kerry in einer Videokonferenz nach dem G20.
USA stellen sich hinter 1,5-Grad-Ziel
In Schottland, beim am Sonntag begonnenen UN-Klimagipfel COP26 will US-Präsident Biden erklären, auf welchen Wegen die USA erreichen wollen, dass die Wirtschaft bis 2050 CO2-neutral arbeitet. Mit dabei sind Minister, Staatssekretäre und Direktoren von Behörden. Die USA verschreiben sich dem Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.
Der britische Premier Johnson polterte auf seiner Abschlusskonferenz beim G20 in Rom, man werde das Ziel im Moment ohne Frage nicht erreichen - obwohl er den 1,5 Grad kurz zuvor noch zugestimmt hatte. Schwammige, verwässerte, schwache Sprache ermögliche, dass jedes Mitglied die Abschlusserklärung eines Gipfels unterzeichnet, klagt Tristen Naylor, G20-Experte an der Universität von Cambridge. Aber der Text nehme die Staats- und Regierungschefs nicht in die Verantwortung.
Ziel: Stahl langfristig CO2-neutral produzieren
Interessanterweise wird es immer dann sehr konkret, wenn Umweltpolitik und Geostrategie zusammenkommen. Die USA und China stehen sich in einer Konfrontation um Handel, Einfluss und internationale Regeln gegenüber. Klimaschutz könnte zum weiteren Werkzeug im Wettbewerb werden. So hatten sich zunächst Europa und die Vereinigten Staaten am Wochenende im Stahlstreit geeinigt.
Doch der Kompromiss ist an eine neue Initiative gekoppelt. Die teilnehmenden Staaten müssen nach Möglichkeiten suchen, Stahl "sauberer" und langfristig CO2-neutral zu produzieren. Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen sprach von einem Fortschritt, der für die Industrie faire Bedingungen schaffe. US-Präsident Biden wurde deutlicher: Die Lösung "beschränkt den Zugang zu unserem Markt für 'dreckigen' Stahl" - soll heißen, für Produkte, bei deren Produktion hohe CO2-Emissionen entstehen. Oder wie Biden sagte: Stahl aus Ländern wie China.
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