Die Europäische Kommission zieht erneut gegen Polen vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Das teilte die Brüsseler Behörde am Mittwoch mit, die seit Jahren mit der Regierung in Warschau im Streit liegen. Auslöser der Auseinandersetzungen sind die umstrittenen Justizreformen. Aus Sicht der Kommission sei dadurch die Unabhängigkeit polnischer Richter nicht länger gewährleistet.
Brüssel fordert schon vor dem Urteil vorläufige Maßnahmen
Dass die Kommission es ernst meint, unterstreicht auch ein Aufruf an die Richter des Europäischen Gerichtshofs. Weil das Verfahren besonderer Dringlichkeit unterliegt, fordert Brüssel von den höchsten EU-Richtern bereits vor einem endgültigen Urteil entsprechende Maßnahmen.
Zwei zentrale Vorwürfe gegen Polens Justizreform
Dabei richtet sich das Augenmerk auf zwei Vorwürfe: Einerseits untergrabe das Gesetz zur Disziplinierung von Richtern nach Auffassung der EU-Kommission die Unabhängigkeit der Richter in Polen. Außerdem sei das Gesetz nicht mit der übergeordneten Stellung von EU-Recht im Einklang.
Disziplinarkammer weiter tätig – trotz einstweiliger Verfügung
Schwerer wiegt noch der Vorwurf gegen eine eigens installierte Disziplinarkammer zur Überprüfung von Richtern. Vor rund einem Jahr hatte der EuGH entschieden, dass die Kammer ihre Arbeit vorübergehend aussetzen muss, schließlich könne bereits eine nicht vollständig unabhängig besetzte Einrichtung zur Prüfung von Disziplinarverfahren die Unabhängigkeit der Richter beeinträchtigen.
Die EU-Kommission wirft Polen jedoch vor, die Disziplinarkammer viele ihrer Tätigkeiten weiter ausführen zu lassen – trotz der einstweiligen Verfügung des Europäischen Gerichtshofs. Zwar unterlässt die Kammer seit dem Urteil Amtsenthebungen, verhängt aber weiterhin Suspendierungen gegen Richter oder entzieht deren Immunität. Diese Auslegung des Urteils soll nun mit vorläufigen Maßnahmen unterbunden werden. Bereits getroffene Entscheidungen seien nach Ansicht der Kommission zudem rückwirkend aufzuheben.
Kommissionsvize: Es droht politische Kontrolle von Gerichtsentscheidungen
Vize-Kommissionschefin Vera Jourova erklärte am Mittwoch, sie sei "zutiefst besorgt über die fortgesetzten Maßnahmen". Der Druck auf polnische Richter nehme immer weiter zu, außerdem werde ihre Unabhängigkeit sukzessive ausgehöhlt. In ihrer Rolle als Kommissarin für Werte und Transparenz tritt Jourova seit Jahren als Verfechterin der Rechtsstaatlichkeitsprinzipien der EU auf. Schon früher warnte die tschechische Politikerin davor, dass das polnische Gesetz zur Disziplinierung von Richtern "unter anderem zur politischen Kontrolle des Inhalts von Gerichtsentscheidungen" verwendet werden könnte.
Polen rechtfertigt Reformen: Gerichte effektiver machen
Das Gesetz ist seit Februar 2020 in Kraft. Es verbietet Richtern Kritik an der Entscheidungskompetenz oder Eignung anderer Richter, Kammern oder Gerichte und untersagt politisches Engagement. Bei Verstößen drohen Geldbußen, Degradierung oder sogar die Entlassung. Die Regierung in Warschau begründet die Reformen mit der Zielsetzung, die Effektivität der Gerichte zu erhöhen.
Schon im September hatten Verfassungsrechtler eine gemeinsame Beschwerde bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgelegt und die Brüsseler Behörde aufgefordert, beim Europäischen Gerichtshof finanzielle Strafen gegen Polen zu beantragen, solange die Disziplinarkammer weiter tätig ist.
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